Politik

Österreich bereitet sich auf soziale Unruhen vor

In Österreich erhält das Bundesheer erstmals eine führende Rolle für den Einsatz im Inneren. Der Hintergrund: Österreich rechnet mit sozialen Unruhen im Zuge der Veränderungen durch die Flüchtlingskrise.
02.10.2016 02:28
Lesezeit: 4 min

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Der Ministerrat hat am 27.09.2015 ein Sicherheitspaket beschlossen, das darauf abzielt, in Krisenfällen rascher Entscheidungen treffen zu können, vor allem aber, das Bundesheer stärker als bisher mit Aufgaben und Befugnissen im Innern aufzuwerten. Als einer der Gründe für diese Maßnahme wird von der Bundesregierung die Gefährdung des nationalen Friedens durch Migration und Terrorismus genannt. Aushängeschild dieses Sicherheitspaketes ist die Einrichtung eines Sicherheitskabinetts, bestehend aus Bundeskanzler, Vizekanzler, Innenminister, Verteidigungsminister und Finanzminister.

Die Erfahrungen im Umgang mit den sicherheitspolitischen Herausforderungen der letzten Jahre haben gezeigt, dass das Krisenmanagement der Bundesregierung strukturelle Mängel aufzeigt, die durch das Sicherheitspaket verbessert werden sollen, so die offiziellen Stellungnahmen zum Sicherheitspaket. De facto geht es jedoch um die Ausweitung des Einsatzes des Bundesheeres im Inneren, nicht nur, um die Exekutive zu entlasten.

Im veröffentlichten Ministerratsvortrag ist von einer Reihe sicherheitspolitischer Herausforderungen die Rede, denen man strukturell und inhaltlich begegnen will. Angesprochen sind Bedrohungen, wie der internationale Terrorismus sowie neue, nicht näher spezifizierte hybride Bedrohungsszenarien. Aufhorchen lässt der Ministerratsvortrag durch eine bemerkenswerte und politisch hochbrisante Einschätzung der Regierung, wonach Terrorismus in Verbindung mit Migration zunehmend „den nationalen Frieden und gesellschaftlichen Zusammenhalt“ gefährdet. Darum werden die Aufgaben des Bundesheeres für Einsätze im Innern erweitert und eine enge Zusammenarbeit zwischen Verteidigungs- und Innenministerium in die Wege geleitet. Vor diesem Hintergrund erhält die Aufwertung des Bundesheeres für Aufgabenstellungen im Inneren einen ganz anderen, demokratiepolitischen Stellenwert. Kritiker sehen in einer Verzahnung zwischen Innen- und Verteidigungsministerium einen ersten Schritt in die Richtung eines Sicherheitsministeriums. Die Beschlüsse des Ministerrates müssen jedoch erst noch vom Parlament bestätigt werden, womit in den kommenden Monaten zu rechnen ist.

Innenpolitisch kann die Einigung auf das Sicherheitspaket als letztes Aufbäumen einer brüchigen Koalition der Regierungsparteien SPÖ und ÖVP gesehen werden. Schon aus parteitaktischen Erwägungen bleibt das politische Kräftespiel zwischen politischen Parteien, Legislative und Exekutive auch durch das beschlossene Sicherheitspaket offen. Bewusst wurde dem Kanzler keine Führungsrolle oder Richtlinienkompetenz im neu geschaffenen Sicherheitskabinett eingeräumt, um nicht einen künftigen Kanzler ein Instrumentarium in die Hand zu geben, das auch politisch missbraucht werden könnte.

Die wesentlichen Punkte des Sicherheitspaketes sind:

- Verankerung des Begriffes der Umfassenden Sicherheitsvorsorge (USV) in der Verfassung als Staatszielbestimmung. Der Begriff umfasst auch die „Umfassende Innere Sicherheit” und die „Umfassende Äußere Sicherheit”, die im Papier ausdrücklich angesprochen sind. Die USV soll, den Verfassern nach, den bis dato gültigen Begriff der Umfassenden Landesverteidigung (ULV) ablösen. Die ULV wurde 1975 als Verteidigungsgrundlage der Neutralität als Bundesverfassungsgesetz beschlossen. Die USV versteht sich, anders als die ULV, als sicherheitsrelevante Querschnittsmaterie über die Zuständigkeiten der Ministerien hinweg. Genau in diesem Punkt musste die Koalitionsregierung jedoch zurückrudern. An den Kompetenzen der Ministerien soll nicht gerüttelt werden.

- Ein Sicherheitskabinett, bestehend aus dem Bundeskanzler, Vizekanzler, Verteidigungsminister, Innenminister und Finanzminister soll zeitlich befristet eingerichtet werden. Dem Bundeskanzler wird weder ein Weisungsrecht noch eine Richtlinienkompetenz eingeräumt. Anders als in Deutschland, hat der Bundeskanzler kein Weisungsrecht gegenüber den Ministern. Dieses Prinzip ist im Sicherheitskabinett fortgeschrieben. Auch fehlen dem Sicherheitskabinett jegliche Befugnisse, denn an den Zuständigkeiten der Ressorts wird sich nichts ändern. Letztlich werden es nicht mehr als Empfehlungen sein, die das Sicherheitskabinett verabschieden wird.

- Schon bisher hatte es sich eingebürgert, dass bei krisenhaften Entwicklungen die oberste Beamtenebene des Außenamtes, des BMI und der Landesverteidigung sich zu Beratungen zusammenfindet. Diese sogenannte 3er-Lage kann, je nach Anlassfall durch weitere Ressortvertreter, z.B. Gesundheitsministerium, verstärkt werden. An dieser Praxis wird sich nichts ändern. Was sich aber ändert: Das Sicherheitskabinett wird künftig um eine „Organisationseinheit für Umfassende Sicherheitsvorsorge“ verstärkt werden. Diese Einheit ist im Bundeskanzleramt angesiedelt. Was sich dahinter verbirgt, ist mehr als nur weitere Organisationseinheit. Hier sollen Informationen zusammengefasst, gebündelt, ressortübergreifend eingeholt und Informationssteuerung betrieben werden. Solcherweise erstellte Lagebilder sollen den politischen Akteuren nicht nur Information liefern, sondern auch Handlungsoptionen aufzeigen. Was hier beiläufig und durch die Hintertür eingeführt wurde, ist nichts anderes als eine kanzlerunmittelbare Abteilung, welche die österreichischen Nachrichtendienste inhaltlich aufeinander abstimmen soll. Schon heute wird hinter den Kulissen lobbyiert, welcher der drei Dienste den größten Einfluss auf diese Organisationseinheit ausüben wird.

- Kernstück des Sicherheitspaketes ist jedoch die Aufwertung des Bundesheeres für Einsätze im Rahmen der Umfassenden Inneren Sicherheit. Angeregt wird, die Aufgaben des Bundesheeres um den Schutz kritischer Infrastruktur zu erweitern und dies als originäre Aufgabe in der Bundesverfassung zu verankern. Bereits seit Mitte des Jahres hat das Bundesheer die Bewachung ausländischer Botschaften in Wien übernommen. An der für solche Einsätzen zu erteilenden sicherheitsbehördlichen Ermächtigung, soll aber nicht gerüttelt werden. Nach diesen Vorstellungen wäre ein solcher Einsatz durch Beschluss des Ministerrates ausreichend. Im Klartext bedeutet das, wenn das Bundesheer zur Durchführung einer solchen Aufgabe ermächtigt wird, agiert es weitgehend unabhängig und selbstständiger als bisher. Bisher war die Durchführung von Assistenzdienstleistungen durch das Bundesheer zu eng an die Hierarchie und die Einsatzvorgaben des Innenministeriums gebunden. Das wird sich ändern.

- Als weitere Aufgabe für das Bundesheer wird die Gefahrenabwehr aus der Luft als zusätzliche originäre Aufgabe gefordert. Die bisher schwammigen, gesetzlichen Vorgaben für einen Assistenzeinsatz der Luftstreitkräfte bei einer Terrorlage waren wenig befriedigend. Zu zeitaufwendig waren die Verfahren eines solchen Assistenzeinsatzes und die Koordinierung von Abwehrmaßnahmen zwischen Innen- und Verteidigungsministerium. Wird dieses Vorhaben umgesetzt, so erhält das Verteidigungsministerium wesentlich mehr Handlungsfreiheit für die Luftsicherheit allgemein, vor allem bei Terrorlagen rund um Großveranstaltungen.

- Die Terrorismusprävention soll ausgebaut werden. Angesprochen werden hier der polizeiliche Dienst im Innenministerium und die beiden Heeresdienste, die mehr an Ressourcen erwarten dürften. Hier wird sehr deutlich zwischen sicherheitspolizeilicher Gefahrenabwehr/-prävention und den Heeresdiensten unterschieden. Von einer verstärkten Zusammenarbeit der drei Dienste zum Zwecke der Terrorismusprävention ist die Rede. Indirekt wurde damit die Aufgabe der Terrorismusbekämpfung/Prävention in den Aufgabenkatalog der Heeresdienste verankert, sind doch die Grenzen zwischen Prävention und Terrorismusbekämpfung fließend. In der Praxis ist die Zusammenarbeit der drei Dienste nur in bescheidenem Maße gegeben. Das liegt an der unterschiedlichen Organisationskultur zwischen Polizei und Militär, es liegt aber vor allem auch daran, dass der polizeiliche Dienst uneingeschränkt dem Legalitätsprinzip verpflichtet ist. Das bedeutet, strafrechtlich relevante Tatbestände in einem Frühstadium den Strafverfolgungsbehörden anzuzeigen. Eines der bisher ungelösten Probleme bei der Zusammenarbeit der Dienste in Österreich ist die Schnittstellenproblematik in der Informationsweitergabe zwischen Strafverfolgungsbehörde und Nachrichtendienst. Das ist auch der Grund, warum sich das HNaA als strategischer Nachrichtendienst versteht und selbst nicht operativ wird. Mit der Einrichtung der neuen Organisationseinheit im Bundeskanzleramt besteht jedoch erstmals die Chance auf eine engere Zusammenarbeit der Dienste.

Bis Ende Oktober soll eine eingesetzte Expertengruppe unter Leitung des Verteidigungs- und Innenministeriums über den Umsetzungsstand berichten. Die angedachten Strukturen für die Verschlankung sicherheitsrelevanter Entscheidungsabläufe sind in Österreich längst überfällig. Selbst wenn sich das Sicherheitskabinett als lahme Ente herausstellen sollte, was bleibt, ist eine stärkere Rolle der Streitkräfte im Inneren.

Dr. Gert R. Polli ist der ehemalige Leiter des österreichischen Bundesamtes für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung.

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