Die Europäische Zentralbank hat in überraschend deutlichen Worten vor schweren Verwerfungen an den Finanzmärkten gewarnt. In ihrem am Donnerstag veröffentlichten Financial Stability Review liefert sie eine ungeschminkte Zustandsbeschreibung der gegenwärtigen Situation. Demnach habe sich das Risiko einer „abrupten“ Korrektur an den Anlagemärkten „intensiviert“. Grund dafür sei eine gestiegene politische Unsicherheit, welche Banken, die Finanzstabilität und das Wirtschaftswachstum bedrohe.
„Mehr Volatilität in naher Zukunft ist wahrscheinlich und das Potential eines abrupten Abschwungs bleibt signifikant aufgrund der erhöhten geopolitischen Unsicherheit weltweit und den unterschwelligen Marktverwerfungen in den Schwellenländern.“ Diese Faktoren könnten zusammen mit zahlreichen wichtigen Wahlen – wie dem Verfassungs-Referendum in Italien Anfang Dezember, den Parlamentswahlen in Frankreich und den Niederlanden im Frühjahr 2017 und der Bundestagswahl im Herbst 2017 – „eine weltweite Risikoaversion entzünden und einen großen Vertrauensverlust auslösen.“ Diese Unsicherheiten könnten sich negativ für Staaten oder Banken auswirken, die unter hohen Schuldenständen leiden.
Mit Sorge blickt die Notenbank insbesondere nach Italien. Dort könnten politische Unsicherheiten nach dem Ausgang des Verfassungsreferendums Turbulenzen an den Börsen auslösen. „Abhängig vom Ausmaß eines Schocks haben wir dann zu erwägen, ob wir etwas tun müssen oder nicht“, sagte EZB-Vizepräsident Vitor Constancio am Donnerstag in Frankfurt bei der Vorlage des Berichts. Es gebe am Markt allerdings keine Sorge, dass die Euro-Zone auseinanderfalle. Die Italiener stimmen am 4. Dezember über Verfassungsänderungen ab. Ministerpräsident Matteo Renzi hat sein politisches Schicksal an den Ausgang der Wahl geknüpft.
Auch die Aussichten für den Welthandel seien ungewiss. Sollten die USA protektionistische Schritte in der Wirtschaftspolitik einleiten, könne das entsprechende Reaktionen in anderen Ländern auslösen. Ein ohnehin bereits schwacher Welthandel würde weiter gebremst – mit negativen Folgen für die Währungsgemeinschaft. „Dieses Risiko ist zuletzt gestiegen“, sagte Constancio.
Die Situation im europäischen Bankensystem ist aus Sicht der EZB höchst angespannt. Wie die Zentralbank bekanntgab, bleibt die Verwundbarkeit der Banken der Eurozone signifikant hoch. „Die Gewinn-Aussichten bleiben in der Eurozone in einem schwächelnden wirtschaftlichen Gesamtumfeld schlecht.“ Ein Lichtblick sei, dass der nächste US-Präsident Donald Trump die Regulierung der Banken zurückdrehen wolle und so neue Wachstumsaussichten schaffe. Sie merkte jedoch auch an, dass der Sieg Trumps zu jenen Faktoren gehöre, welche neue Unsicherheiten an den Finanzmärkten auslösen könnten. „Die Implikationen zur Finanzstabilität in der Eurozone, die sich aus Spekulationen zur neuen amerikanischen Wirtschaftspolitik ergeben, sind zu diesem Zeitpunkt hochgradig ungewiss.“