Politik

Ostausschuss der Deutschen Wirtschaft stößt Dialog mit Russland an

Der europäisch-russische Dialog ist auch ein Kulturproblem: Beide Seiten haben unterschiedliche Vorstellungen von einer Partnerschaft.
26.11.2016 22:36
Lesezeit: 3 min

Am Donnerstag fand in Berlin das Gaidar-Naumann-Forum 2016 der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit in Kooperation mit dem Ostausschuss der Deutschen Wirtschaft statt unter dem Titel „Russland, Deutschland und Osteuropa – Beziehung im Wandel“ statt. Es waren insgesamt 20 deutsche, russische, polnische und armenische Persönlichkeiten, wie zum Beispiel der ehemalige Chef der russischen Notenbank, Sergej Dubinin, der ehemalige Finanzminister von Sachsen-Anhalt, Karl-Heinz Paque, der stellvertretende Direktor des Instituts für Weltwirtschaft und Internationale Beziehungen der Russischen Akademie der Wissenschaften, Jevgeni Gontmakher und der ehemalige armenische Premier- und Wirtschaftsminister Armen Darbinyan, anwesend, die auf die europäisch-russischen und deutsch-russischen Beziehungen eingingen.

Die Teilnehmer der Konferenz versuchten, in einem schwierigen Umfeld zu einem besseren Verständnis der Wirtschaftsbeziehungen zwischen der EU und Russland zu kommen. Seit der EU-Sanktionen und russischen Gegensanktionen versucht Russland im Rahmen einer Importsubstitution vor allem in der Landwirtschaft und Viehzucht eigene Produkte herzustellen. Nach Ansicht des Vizedirektors am Institut für Weltwirtschaft und Internationale Beziehungen der Russischen Akademie der Wissenschaften, Jevgeni Gontmakher, habe Russland vor allem in der Viehzucht Defizite. Das Land könne kein Rindfleisch produzieren. Die Landwirtschaft entwickelt sich, doch eine Importsubstitution gestalte sich schwierig und brauche mehr Zeit, so Gontmakher. Auf Nachfrage der Deutschen Wirtschafts Nachrichten mit Hinweis auf das jüngste Treffen zwischen dem russischen Premier Dmitri Medwedew und seinem israelischen Amtskollegen Benjamin Netanjahu, ob ein israelischer Technologietransfer in der Viehzucht und Landwirtschaft die russische Importsubstitution im Agrar- und Viehzuchtsektor beschleunigen könnte, antwortete Gontmakher: „Der Agrarsektor wird sich weiter entwickeln, und die geplante Zusammenarbeit zwischen Israel und Russland ist positiv zu sehen. Es wird einen Technologietransfer geben, was zu einer schnellen Entwicklung in Russland führen wird.“

Bei der Sanktionspolitik des Westens gegen Russland gab es unter den Konferenzteilnehmern gegensätzliche Positionen. Joachim Zweynert von der Universität Witte/Herdecke sagte, dass die Russland-Sanktionen des Westens richtig seien. Diese hätten auch den Zweck, den Dialog mit Russland aufrechtzuerhalten, um eine künftige Kooperation zu ermöglichen. Zweynert machte deutlich, dass sich seine Kritik nicht gegen das russische Volk, sondern gegen die russische Führung richte. Er gehe davon aus, dass die russische Wirtschaft am Ende kollabieren werde.

Alexander Libman, Professor für Soziologie und Osteuropäische Studien an der Ludwig-Maximilians-Universität, sagte, dass es aufgrund der aktuellen großen fundamentalen Probleme zwischen Europa und Russland keine Kooperationsmöglichkeiten gebe. „Wir müssen da einfach realistisch sein“, so Libman. Europa und Russland würden sich „systematisch“ gegenseitig „missinterpretierten“.

Libman wörtlich: „Die Initiative, die Vorschläge, die beispielsweise die russische Regierung unternimmt, werden in Europa ganz anders gesehen, ja werden sogar in Russland ganz anders gesehen (…) Ein gutes Beispiel ist die Eurasische Wirtschafts Union (…) Zum einen wurde sie als ein Wiedererstarken der UdSSR gesehen und zum anderen wurde sie als eine de facto EU gesehen (…) Man hat aber auch sehr selten versucht, zu verstehen, was die Eurasische Wirtschafts Union wirklich macht, oder nicht macht. Dasselbe haben wir bei der russischen Reaktion auf die europäische Nachbarschaftspolitik. Auch die wurde ganz klar durch die politische Rhetorik, durch die allgemeinen Konzepte interpretiert, und deutlich weniger aus der Sichtweise, was genau bei diesen Projekten passieren kann. Wenn wir über Kooperation sprechen, meinen wir in der EU und in Russland sehr unterschiedliche Sachen. Wir haben zum Beispiel über den gemeinsamen Raum Lissabon-Wladiwostok gesprochen (..) Wenn sie nun die russischen und europäischen Eliten fragen: ,Was meinen sie denn genau unter Kooperation?‘, dann bekommen sie sehr unterschiedliche Antworten. Aus Sicht der EU ist die Kooperation im Endeffekt die Folge eines Regelwerks, eines Systems von Normen, an die sich alle Akteure – auch die privatwirtschaftlichen – halten müssen. Wenn sie mit russischen Akteuren sprechen, dann bekommen sie ein Gefühl dafür, dass die Normen als solche doch nicht so wichtig seien. Wichtig sind konkrete Projekte, die wir gemeinsam unternehmen.“

Libman erwähnte, dass er die Sanktionspolitik der EU gegen Russland nicht hilfreich finde.

Der russische Notenbanker Dubinin wies auf der Konferenz auf die fünf globalen Risiken hin, die die Welt in den kommenden 18 Monaten erwarten und die Auslöser von Instabilität sind. Diese seien nicht freiwillige Migration, was mit einer Wahrscheinlichkeit von 52 Prozent eintreten wird. Zu 27,9 Prozent werden diverse Regierungen kollabieren. Zu 26,9 Prozent werden weitere geopolitische Konflikte ausgelöst werden. Mit einer 26-prozentigen Wahrscheinlichkeit wird die Arbeitslosigkeit weiterhin ein Risiko bleiben und zu 25,2 Prozent werden Regierungen Fehlentscheidungen treffen.

In diesem Zusammenhang ging Konferenzteilnehmer Krassen Stanchev, Aufsichtsratsvorsitzender des Institute for Market Economics, auf die aktuelle Migrationsbewegungen und den Terrorismus ein. Stanchev sagte, dass dem aktuellen religiös motivierten Terrorismus faktisch gesehen mehr Muslime als andere Religionsangehörige zum Opfer gefallen seien. „In den vergangenen 20 Jahren sind durch Terror-Attacken über 160.000 Muslime ums Leben gekommen. In Europa liegt die Zahl bei etwa 500. Es ist wahrscheinlicher, dass sie in den Alpen erfrieren, als bei einem Terror-Anschlag ums Leben zu kommen“, so Stanchev.

Zu den Migrationsbewegungen in Europa sagte Chris Pyak, Geschäftsführer der Personalberatung Immigrant Spirit GmbH, dass die Anti-EU-Bewegungen in Europa vor allem etwas mit der „Angst“ und „Unzufriedenheit“ der Bürger zu tun hätten. Die aktuellen sozialen Umwälzungen würden bei den Bürgern ein tiefes Gefühl der Unsicherheit auslösen. Die Eliten hätten die Aufgabe, diese Ängste und die Unzufriedenheit zu zerstreuen, um die realen Probleme zu lösen. In diesem Zusammenhang habe die Migration nicht viel mit den aktuellen Problemen zu tun. Das Internetzeitalter habe viele Branchen, in denen Menschen tätig gewesen sind, überflüssig werden lassen. Es gebe keinen Zusammenhang zwischen Einwanderung und dem drohenden Verlust des Arbeitsplatzes.

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