Politik

Mehrheit der Deutsch-Türken will starken Präsidenten Erdogan

Lesezeit: 3 min
17.04.2017 01:26
Die Mehrheit der Deutsch-Türken will einen starken Präsidenten Erdogan. (Artikel nur für Abonnenten zugänglich)

Mehr zum Thema:  
Benachrichtigung über neue Artikel:  

Inhalt wird nicht angezeigt, da Sie keine externen Cookies akzeptiert haben. Ändern..

Die Türken in Deutschland stimmten nach vorläufigen Teilergebnissen mit großer Mehrheit für das Präsidialsystem. Nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu kam das «Ja» nach Auszählung von mehr als der Hälfte der Stimmen auf 63,2 Prozent. Die Wahlbeteiligung in Deutschland lag bei knapp 50 Prozent.

Angesichts von mehr als 60 Prozent Zustimmung für die Verfassungsreform unter den in Deutschland lebenden Türken müssten Wege gefunden werden, "wie man diese Menschen besser erreicht, die in Deutschland in Freiheit leben, aber sich für die Menschen in der Türkei die Autokratie wünschen", sagte Gökay Sofuoglu von der politischen Lobbygruppe Türkische Gemeinde. Polarisierende Forderungen wie die Abschaffung der doppelten Staatsbürgerschaft seien "keine guten Ansätze", sagte Sofuoglu mit Blick auf die Bundestagswahl. Der Vorsitzende der Kurdischen Gemeinde in Deutschland, Ali Toprak, bezeichnete das Ergebnis als "Farce". Der "Huffington Post" sagte Toprak, der nationale Wahlausschuss habe "eine Freigabe für nicht-gestempelte Wahlzettel und nicht versiegelte Wahlurnen erteilt". So lange nicht explizit nachgewiesen werde, "dass diese extern ausgefüllt oder befüllt wurden, werden sie bei der Auszählung berücksichtigt", kritisierte er.

Der Vorsitzende der Islamischen Gemeinschaft Milli Görus, Kemal Ergün, erklärte, das Votum beider Lager genieße "gleichermaßen Respekt". "Jetzt gilt es, diese Wahl zu respektieren und gemeinsam nach vorne zu schauen", forderte er. Vor allem im Ausland lebende Türken dürften aufgrund ihrer Wahl für oder gegen die Verfassungsänderung weder angefeindet noch ausgegrenzt werden. Alle Akteure seien aufgerufen, "sich für die Etablierung der Kompromisskultur einzusetzen und zur Versöhnung und Vereinigung der Lager beizutragen", erklärte Ergün.

Das Stimmverhalten der Deutsch-Türken war deutlich anders als das der Türken in den urbanen Räumen in der Türkei: In den großen Städten wie Istanbul und Ankara sowie in den Tourismusregionen von Izmir und Antalya sowie in den Kurdenregionen lag das Nein-Lager vorne.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hat das «Ja»-Lager trotz Unregelmäßigkeiten bei der Abstimmung zum Sieger des Referendums erklärt. Das Volk habe eine «historische Entscheidung» getroffen und der Verfassungsänderung zur Einführung eines Präsidialsystems zugestimmt, das ihn künftig mit deutlich mehr Macht ausstattet. Seine «erste Aufgabe» werde sein, die Wiedereinführung der Todesstrafe auf die Tagesordnung zu setzen, kündigte der Präsident am Sonntagabend in Istanbul vor begeisterten Anhängern an.

Nach dem vorläufigen Resultat habe das «Ja»-Lager gewonnen, bestätigte der Vorsitzende der Wahlkommission, Sadi Güven, im Fernsehen. 24,8 Millionen Wähler hätten mit «Ja» votiert, 23,5 Millionen hätten das Präsidialsystem abgelehnt. Nach inoffiziellen Angaben staatlicher Medien lag der «Ja»-Anteil nach Auszählung von 99,97 Prozent der Stimmen bei 51,41 Prozent.

Bundesaußenminister Sigmar Gabriel (SPD) erklärte in Berlin: «Wir sind gut beraten, jetzt kühlen Kopf zu bewahren und besonnen vorzugehen». Er zeigte sich erleichtert, dass der «erbittert geführte Wahlkampf» vorbei sei. Dieser hat die deutsch-türkischen Beziehungen massiv belastet.

Die türkische Opposition, die eine Ein-Mann-Herrschaft befürchtet, will den Ausgang des Referendums anfechten. «Dieses Referendum hat eine Wahrheit ans Licht gebracht: Mindestens 50 Prozent dieses Volkes hat dazu "Nein" gesagt», sagte Oppositionsführer Kemal Kilicdaroglu von der Mitte-Links-Partei CHP. Die Wahlkommission habe ihre eigenen Vorgaben nicht beachtet. «Das werden wir bis zuletzt verfolgen.» Die prokurdische HDP kündigte an, man werde Beschwerde gegen das Ergebnis von zwei Dritteln der Wahlurnen einlegen.

Ministerpräsident Binali Yildirim beschwor die Einheit des Volkes. «Wir sind eine Nation», sagte er. «Wir werden unsere Einheit und Solidarität wahren.» Er fügte hinzu: «Es gibt keine Verlierer dieser Volksabstimmung. Gewonnen hat die Türkei und mein edles Volk. Jetzt ist es Zeit, eins zu sein.» Das Volk habe das letzte Wort gesprochen. Es hat "Ja" gesagt und einen Punkt gesetzt», sagte Yildirim am Abend in Ankara.

Erdogan sagte vor begeisterten Anhängern: «Wir haben viel zu tun, wir haben noch viel zu erledigen in diesem Land.» Als er fortfuhr: «So Gott will, wird die erste Aufgabe sein...» unterbrach ihn die Menge mit: «Todesstrafe, Todesstrafe»-Rufen. Wenn er dafür nicht die nötige Unterstützung im Parlament bekomme, «dann machen wir eben auch dazu eine Volksabstimmung», bekräftigte Erdogan.

Der Staatschef hatte eine Wiedereinführung der Todesstrafe nach dem Putschversuch vom Juli 2016 ins Spiel gebracht. Die EU hat angekündigt, dass der Beitrittsprozess der Türkei beendet würde, sollte dort die Todesstrafe wieder eingeführt werden.

Der Vorsitzende der EVP-Fraktion im Europaparlament, Manfred Weber (CSU), forderte einen Abbruch der EU-Beitrittsverhandlungen mit Ankara. «Diese Lebenslüge, die wir in den Beziehungen zwischen der Europäischen Union und der Türkei haben, nämlich die Vollmitgliedschaft, die muss jetzt ernsthaft diskutiert werden und aus unserer Sicht vom Tisch genommen werden», sagte er im ZDF-«heute journal».

Auch FDP-Präsidiumsmitglied Alexander Graf Lambsdorff forderte ein Ende der Beitrittsverhandlungen, «damit die Beziehungen zu diesem wichtigen Nachbarland sich endlich von diesem gescheiterten, zombiehaften Prozess lösen und auf eine ehrliche Grundlage gestellt werden können».

Die Linksfraktionschefin im Bundestag, Sahra Wagenknecht, sagte der Deutschen Presse-Agentur: «Der heutige Tag ist eine Zäsur für die Türkei. (...) Durch Manipulationen ist es dem türkischen Präsidenten Erdogan gelungen, eine Mehrheit für eine Diktatur zu erreichen.» Der Grünen-Vorsitzende Cem Özdemir forderte eine Neubewertung der deutsch-türkischen Beziehungen: «Ein "Weiter so" kann es jedenfalls nicht geben».

Insgesamt waren rund 58,2 Millionen Wahlberechtigte zur Abstimmung aufgerufen: 55,3 Millionen in der Türkei und 2,9 Millionen im Ausland. Letztere hatten bis zum Sonntag vergangener Woche die Möglichkeit, in ihren jeweiligen Ländern abzustimmen.


Mehr zum Thema:  

Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Zu Weihnachten Zukunft schenken

Gerade zu Weihnachten wünschen sich viele Menschen, etwas von ihrem Glück zu teilen und sich für diejenigen zu engagieren, die es nicht...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Stromerzeugung aus Erneuerbaren Energien: Photovoltaik und Offshore-Windkraft boomen
30.12.2024

Deutschland erzielt 2024 einen Rekordwert bei der Stromerzeugung aus Erneuerbaren Energien: Mit einem Anteil von 55 Prozent am...

DWN
Technologie
Technologie Blauer Wasserstoff: Herstellung und Nutzen
30.12.2024

Blauer Wasserstoff gilt als Schlüsseltechnologie der Energiewende. Aber was verbirgt sich dahinter? Hier erfahren Sie, wie blauer...

DWN
Politik
Politik Slowakische Regierung: Ukraine muss Gebiete aufgeben
30.12.2024

Ministerpräsident Robert Fico droht, Kalinak fordert und der Gasstreit zwischen der Ukraine und der Slowakei eskaliert. Während die...

DWN
Panorama
Panorama Flugzeugunglück Südkorea: Staatstrauer und Untersuchungen nach verheerendem Absturz
30.12.2024

Ein Flugzeugunglück erschüttert Südkorea: Eine Boeing 737-800 zerschellt am Flughafen Muan, nur zwei Menschen überleben. Während...

DWN
Finanzen
Finanzen Goldpreis: Die Hausse beim Gold ist Resultat der Ankäufe Chinas und Indiens
30.12.2024

Es ist nicht alles Gold, was glänzt. Im Englischen spricht man von „Fool´s gold“, wenn mal wieder der Schein trügt – und...

DWN
Politik
Politik Estlink 2: Russlands Schattenflotte bedroht die europäische Infrastruktur
30.12.2024

Die Spannungen in der Ostsee nehmen zu: Nachdem vergangene Woche ein Unterwasserkabel vor Finnland beschädigt wurde, rückt Russlands...

DWN
Politik
Politik Merz fordert Abschiebung von Straftätern nach Syrien und Afghanistan
30.12.2024

Kanzlerkandidat Merz möchte nach einem Wahlsieg die Asyl- und Einwanderungspolitik verändern. Gegenüber Mittätern des Assad-Regimes in...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Schluss mit Just-in-Time: Warum Lagerhaltung ein Comeback feiert
30.12.2024

Just in time war der Kern weltweiter Wertschöpfungsketten: ohne Lagerhaltung produzieren, aber pünktlich liefern. Das funktioniert nicht...