Politik

Frankreich vor Umbruch: Der Investmentbanker als Präsident

Lesezeit: 5 min
24.04.2017 01:19
Der Investmentbanker Macron hat beste Chancen, Präsident in Frankreich zu werden. Das bedeutet einen radikalen Umbruch. (Dieser Artikel ist nur für Abonnenten zugänglich)

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Aus der Stichwahl in Frankreich dürfte mit hoher Wahrscheinlichkeit Emmanuel Macron als Sieger hervorgehen. Die Verlierer vom Sonntag haben bereits Wahlempfehlungen für Macron ausgesprochen. Macron käme auf einen Stimmenanteil von etwa 62 Prozent, wenn nicht plötzlich ein gravierendes Ereignis eintritt, das alle bekannten Regeln außer Kraft setzt.

Damit würde sich die französische Postdemokratie in einem interessanten Experiment zu einer neuen Form der „Kohabitation“ weiterentwickeln: Ein technokratischer Präsident müsste sich nämlich erst seine Partei zusammensuchen, um Gesetze beschließen zu können. Das Experiment erinnert an Italien zur Zeit von Mario Monti: Der Goldman-Banker war an die Spitze der Regierung gerutscht, um das Land nach Silvio Berlusconi wieder auf Kurs zu bringen. In Italien ist das Experiment misslungen. Monti konnte kaum eine der von ihm erwarteten "Reformen" durchsetzen. Er scheiterte vor allem daran, dass es im italienischen Parlament keine stabilen Mehrheiten gab.

Vor einem ähnlichen Problem steht auch Emmanuel Macron: Ob er, sollte er Präsident werden, auch eine Regierungsmehrheit bekommt, wird sich nämlich erst bei der Parlamentswahl im Juni entschieden.

Seit 15 Jahren gilt in Frankreich eigentlich ein ungeschriebenes Gesetz: Die Franzosen verschaffen ihrem neugewählten Präsidenten bei den kurze Zeit später folgenden Parlamentswahlen eine Regierungsmehrheit. Der Staatschef kann also seinen Wunschkandidaten als Premierminister einsetzen und Gesetze durch die Nationalversammlung bringen.

Grob gesprochen ist der Präsident für die Außen- und Militärpolitik zuständig, der Premier für die Wirtschafts- und Sozialpolitik. Gemäß der französischen Verfassung hat der Präsident keine Machtfülle. Ihm kommt die Rolle des Schiedsrichters zu – allerdings mit einer wichtigen Einschränkung: Er kann in Ausnahmesituationen als „Diktator auf Zeit“ regieren, wie Ariane Bogain in einer sehr interessanten Analyse in The Conversation erklärt. Die Voraussetzungen dafür gibt es in Frankreich jetzt schon: Seit dem Terror herrscht der Ausnahmezustand.

Eine sogenannte Kohabitation, bei der ein Staatschef mit einem Premier aus einem anderen politischen Lager auskommen muss, hat es seit 2002 nicht mehr gegeben.

Doch diesmal ist alles anders. Denn die Kandidaten der beiden großen Traditionsparteien, François Fillon von den konservativen Republikanern und Benoît Hamon von den regierenden Sozialisten, sind in der ersten Runde der Präsidentschaftswahl ausgeschieden.

Macron hat die erste Wahlrunde für sich entschieden, indem er sehr geschickt behauptet hat, ein „unabhängiger Kandidat“ zu sein. Das war natürlich eine reine PR-Nummer. Doch die Öffentlichkeit hat es ihm gern geglaubt – weil sie eine Alternative zu Marine Le Pen gesucht hat, die als extreme Rechte von der Mehrheit der Franzosen kaum gewählt werden dürfte.

Macron gründete eine Kunst-Bewegung mit dem Namen "En Marche!", von der kein Mensch weiß, ob sie überhaupt existiert oder von wem sie finanziert wird. Fragen nach seinen Spendern lehnt Macron mit dem Hinweis auf das Steuergeheimnis ab.

Macrons Devise wird von der öffentlich-rechtlichen Nachrichtenagentur AFP so interpretiert: "Wenn die Franzosen mich zum Präsidenten wählen, werden sie mir eine Mehrheit in der Nationalversammlung geben." Der frühere Wirtschaftsminister hat jedenfalls versprochen, für jeden der 577 Sitze in der Nationalversammlung einen Kandidaten aufzustellen. Die Hälfte der Kandidaten soll der Zivilgesellschaft entstammen.

Seine Regierungsmehrheit werde er sich mit "neuen Gesichtern und neuen Talenten" sichern, sagte Macron am Sonntagabend. "Jede und jeder kann dabei seinen Platz haben", sagte er. Auch viele Politiker anderer Parteien wie der Sozialisten könnten sich Macrons Bewegung anschließen – zumal sie auf der Suche nach Rettungsbooten aus dem sinkenden Schiff sind. Macron ist bereits mit der Mitte-Partei MoDem des Politikveteranen François Bayrou ein Bündnis eingegangen- hier winken gute Posten in der Nationalversammlung.

Ob das für eine Parlamentsmehrheit reicht, kann derzeit niemand sagen. Vermutlich müsste Macron sich in der Nationalversammlung Koalitionspartner suchen, etwa bei Vertretern des rechten Flügels der Sozialisten, oder sich mühsam für einzelne Reformvorhaben eine Mehrheit zusammensuchen.

Nicht auszuschließen ist aber auch, dass die Franzosen einem Präsidenten Macron eine konservativ-bürgerliche Mehrheit in der Nationalversammlung vor die Nase setzen würden - damit hätte Frankreich wieder eine Kohabitation. Und Macron nur einen sehr begrenzen Einfluss auf die Innen- und Wirtschaftspolitik.

Macron dürfte also versuchen, völlig neue Mehrheiten zu bilden. Dies erklärt auch, warum er sich im Wahlkampf im Hinblick auf sein Wirtschaftsprogramm völlig bedeckt hielt. Die Franzosen kennen ihn vor allem von einem nach ihm benannten Gesetz, das die Rechte der Arbeitnehmer einschränkt.

Es ist ein interessanter Zufall, dass auch in den USA aktuell die Investmentbanker eine führende Rolle in der Regierung spielen. Die Truppe von Goldman Sachs dürfte entscheidenden Einfluss auf die Entwicklung der Weltwirtschaft haben - wenn sie es schafft, ihre Denkweisen in die politischen Prozesse einzuspeisen.

Macron ist ein klassischer Vertreter des Primats der Finanzindustrie und der internationalen Konzerne. Frankreich hat große Banken und viele Konzerne – die im Land kaum noch Arbeitsplätze schaffen. Die Finanzindustrie hat sich bereits sehr positiv geäußert.

Frankreich hat allerdings einen aufgeblähten Beamtenapparat. Sollte dieser im Zuge von Austeritätsprogrammen verkleinert werden sollen, um die Staatsfinanzen zu entlasten, wird es Ärger geben. Der Apparat ist gewerkschaftlich straff organisiert und ohne massive Auseinandersetzungen kaum zu reformieren.

Macron hat es bisher ausgezeichnet verstanden, sich öffentlich ins rechte Licht zu setzen. Stellvertretend dazu wollen wir dazu ein geradezu enthusiasmiertes Porträt von Emmanuel Jarry und Reinhard Becker von Reuters im Wortlaut liefern – weil es vielleicht weniger über Macron aussagt als vielmehr Rückschlüsse auf die Wünsche jener zulässt, die sich von Macron eine Weiterentwicklung des postdemokratischen Status Quo erwarten:

Der unabhängige Kandidat greift mit knapp 40 Jahren nach dem höchsten politischen Amt in Frankreich: Emmanuel Macron will nach Stationen als Berater des Staatschefs und auf dem Posten des Wirtschaftsministers im Mai Präsident werden. Der frühere Investmentbanker hat sich aus dem Schatten seines Mentors im Elysee-Palast, Francois Hollande, gelöst und will nach einer politischen Blitzkarriere den Sozialisten nun beerben. Mit Erreichen der Stichwahl hat er laut Umfragen die besten Aussichten, das zu schaffen.

Der fast jugendlich wirkende Kandidat mit Seitenscheitel und markanten Koteletten ist wie so viele andere Spitzenpolitiker Absolvent der Elite-Hochschule ENA. Doch der smarte Jungstar sieht sich nicht als Teil des politischen Establishments, sondern als Revoluzzer, der Frankreich aufrütteln und modernisieren will.

Macron hat mit "En Marche" (Vorwärts) binnen Jahresfrist eine eigene Bewegung mit mehr als 230.000 Anhängern auf die Beine gestellt. Sie soll den 39-Jährigen ins Präsidentenamt tragen und einen Durchmarsch der Rechtsextremen Marine Le Pen verhindern.

Der im nordfranzösischen Amiens geborenen Sohn eines bürgerlichen Ärzte-Ehepaars war schon als Kind ein Bücherwurm, wie er in seinem eigenen Werk mit dem Titel "Révolution" schreibt. Macron, der auch ein begabter Klavierspieler ist, hat seit den Zeiten als Berater Hollandes zudem den Spitznamen "Mozart aus dem Elysee-Palast". Doch der Feingeist und studierte Philosoph zeigt auch eine andere Seite: Macron liebt das Kickboxen, auch wenn er inzwischen öfter zum Tennisschläger greift.

Mit dieser Mischung aus Talent und Schlagkraft hat er sich den Weg nach ganz oben gebahnt. Als Investmentbanker bei Rothschild bewies er auch in der Geschäftswelt Durchsetzungsvermögen: 2012 boxte Macron den milliardenschweren Kauf der Säuglingsnahrungssparte des US-Pharmakonzerns Pfizer für den Nahrungsmittelkonzern Nestle durch, der dabei Mitbewerber ausstach. Zugleich erwarb sich Macron damals als Präsidentenberater den Ruf, stets ein offenes Ohr für die Belange der Unternehmer zu haben. "Er ist unsere Anlaufstelle beim Präsidenten", bescheinigte ihm der Chef von France Telecom, Stephane Richard, im September 2012.

Diese Nähe zur Wirtschaft bietet seinen politischen Gegnern Angriffsfläche. Laut En-Marche-Generalsekretär Richard Ferrand hat Russland sogar eine "Fake news"-Kampagne gegen den bekennenden Pro-Europäer losgetreten. Russland weist die Vorwürfe zurück, auch wenn in staatlichen Medien Macron als "Agent der amerikanischen Hochfinanz" tituliert wird. Laut Ferrand gab es auf die Computer der En-Marche-Kampagne zudem Hunderttausende Angriffe, die von Orten in Russland ausgingen.

Für Aufregung im Wahlkampf sorgten zudem Gerüchte im Netz, in denen Macron eine außereheliche Liebesaffäre mit dem fast gleichaltrigen Rundfunkintendanten Mathieu Gallet nachgesagt wurde. Macron, der seit 2007 mit seiner früheren Französischlehrerin Brigitte Trogneux verheiratet ist, versuchte die Gerüchte mit Ironie aus der Welt zu schaffen: Falls er tatsächlich ein Doppelleben mit Gallet führen sollte, könne es nur daran liegen, dass sein eigenes "Hologramm ausgebüchst" sei. Er spielte auf einen skurril anmutenden Wahlkampfauftritt seines linken Konkurrenten Jean-Luc Melenchon an: Dieser nutzte moderne 3-D-Technik und zauberte sein virtuelles Ich via Hologramm auf eine Bühne in Paris, während er in Lyon redete.

Dass ihm nach dem Bruch mit der Regierung von Teilen der Linken Verrat vorgeworfen wird, findet Macron weniger lustig. Er hatte seinen Ministerposten nach nur zwei Jahren im Amt im August 2016 aufgegeben, um fortan seine Kandidatur um das höchste Staatsamt vorzubereiten. Er sei von den Vertretern des politischen Systems nicht als einer der Ihren akzeptiert worden, klagt der selbst ernannte Revolutionär in seinem Buch: "Wenn ich mich über die politischen Regeln hinweggesetzt habe, dann nur deshalb, weil ich sie niemals akzeptiert habe."


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