Politik

Jemen: „Sieben Millionen Menschen sind vom Hungertod bedroht“

Lesezeit: 5 min
28.05.2017 00:38
Im Jemen sind sieben Millionen Menschen vom Hungertod bedroht. Die Ursache ist ein völkerrechtswidriger Krieg der Saudis und seiner Verbündeten.
Jemen: „Sieben Millionen Menschen sind vom Hungertod bedroht“

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Markus Bickel, Autor des Buches „Die Profiteure des Terrors“, rechnet im Jemen mit einer weiteren Eskalation der Gewalt. Bereits jetzt seien entscheidende Teile der jemenitischen Infrastruktur zerstört, der Jemen ein gescheiterter Staat. Mehr als drei Millionen Bewohner seien innerhalb des Landes auf der Flucht.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Wer kämpft im Jemen gegen wen und warum? Welche Allianzen bestehen?

Markus Bickel: Seit März 2015 bombardiert eine von Saudi-Arabien geführte Militärkoalition Stellungen der Huthis und von Teilen der jemenitischen Armee. Die Vereinigten Arabischen Emirate, Bahrein, der Sudan, Ägypten und andere arabische Staaten gehören der Allianz an, die die schiitisch-zaiditischen Huthi-Milizen besiegen will. Auslöser für die Militärintervention war die Eroberung der Hauptstadt Sanaa im Herbst 2014 durch Kämpfer von Ansar Allah (Helfer Gottes), wie sich die von Iran unterstützten Huthis offiziell nennen. Ihre Bezeichnung geht auf den 2004 getöteten Gründer der Bewegung, Hussein Badr al-Din al-Huthi zurück.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Welche Ziele verfolgt Saudi-Arabien in diesem Krieg?

Markus Bickel: Das Königshaus in Riad verfolgt die Wiedereinsetzung des 2015 vor den Huthis geflohenen Präsidenten Abed Rabbo Mansur Hadi. Zugleich begreift die Führung um König Salman und dessen Sohn, den stellvertretenden Thronfolger und Verteidigungsminister Mohammed bin Salman, den Konflikt im Jemen als Stellvertreterkrieg mit dem Iran. Da in Bagdad, Beirut und Damaskus Regierungen herrschen, die mit Teheran verbündet sind, fürchtet Riad, dass auch sein südlicher Nachbar unter Kontrolle iranischer Partner fällt. Allerdings lässt sich die vom Königshaus zu Beginn des Kriegs erhobene Behauptung, die Huthis würden maßgeblich von Teheran unterstützt, nicht belegen – weder finanziell noch militärisch.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Mit welchen Mitteln versucht Saudi-Arabien seine Ziele durchzusetzen?

Markus Bickel: Bis zu den Massendemonstrationen in Sanaa im Jahr 2011 hatte Riad politisch den langjährigen Machthaber Ali Abdallah Salih unterstützt. Doch dieser schlug sich im Zuge der Proteste auf Seiten der Huthis – unter anderem deshalb, weil Saudi-Arabien sich dazu entschloss, die mit der Muslimbruderschaft verbundene Islah-Partei nicht mehr zu finanzieren. So fehlte Riad ein starker lokaler Bündnispartner, um dem Vormarsch der Huthis im Sommer 2014 etwas entgegenzusetzen. In der Folge führte das dazu, dass mit der Partei verbundene Stämme kein Geld mehr bekamen – ein gravierender Fehler in der sehr stark entlang tribaler Linien organisierten Gesellschaft des Jemens. Auch deshalb läuft das militärische Vorgehen der Saudis immer mehr aus dem Ruder. Weder der Einmarsch von Bodentruppen entlang der Landgrenze mit dem Jemen noch die Bombardierungen haben bislang dazu geführt, dass die Sicherheit für Saudi-Arabien sich erhöht hätte. Im Gegenteil.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Welche Folgen hat das Eingreifen Saudi-Arabiens für die jemenitische Bevölkerung?

Markus Bickel: Nach Angaben der Vereinten Nationen sind seit Beginn der saudischen Militärintervention im März 2015 mehr als 10.000 Menschen getötet worden. Mehr als drei Millionen Bewohner sind innerhalb des Landes auf der Flucht. Außerdem benötigen zwei Drittel der 24 Millionen Jemeniten humanitäre Hilfe, sieben Millionen sind vom Hungertod bedroht. Durch die Bombardierung von Straßen, Häfen, Krankenhäusern und Industrieanlagen wurden entscheidende Teile der Infrastruktur zerstört. De facto ist der Jemen ein gescheiterter Staat – und damit das Gegenteil dessen, was Saudi-Arabien zu Beginn des Kriegs anstrebte: Stabilität und die Rückkehr der international anerkannten Regierung nach Sanaa.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Ist das Eingreifen Saudi-Arabiens völkerrechtlich gedeckt?

Markus Bickel: Der UN-Sicherheitsrat hat die Huthis im April 2015 in seiner Resolution 2216 aufgefordert, sich aus den von ihnen besetzten Gebieten zurückzuziehen und die Waffen abzugeben, um eine Rückkehr der von den Vereinten Nationen anerkannten Regierung Präsident Hadis zu ermöglichen. Insofern gibt es eine völkerrechtliche Grundlage für die saudische Forderung nach Wiedereinsetzung der 2014 gestürzten Regierung. Dieser verfügt allerdings über keine Legitimität mehr im eigenen Land. Das ist neben der durch die Bombardierungen verursachten humanitären Katastrophe die zweite große Schwäche der saudischen Politik.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Leisten die USA und Großbritannien den Saudis logistische und strategische Hilfe?

Markus Bickel: Die Entscheidung Donald Trumps, bei seinem Besuch in Riad am Wochenende Rüstungsdeals in Höhe von mehr als hundert Milliarden US-Dollar mit Saudi-Arabien abzuschließen, ist ein deutliches Zeichen: Künftig wird nicht mehr Zurückhaltung die Position Washingtons zu dem Konflikt im Jemen prägen, sondern noch stärkeres Engagement. Barack Obama hatte den Drohnenkrieg gegen Einheiten von Al Qaida auf der arabischen Halbinsel (Aqap) extrem ausgeweitet, nun dürften sich die Angriffe noch stärker gegen den Islamischen Staat (IS) und die Huthis richten. Appelle wie es sie in der Vergangenheit immerhin von einzelnen Kongressabgeordneten in Washington und britischen Parlamentariern gab, die Luftangriffe auszusetzen, dürften angesichts der Nähe zwischen Trump und der britischen Premierministerin Theresa May verhallen. Ich rechne mit weiterer Eskalation, nicht mit einer baldigen Verhandlungslösung.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Nutzen die Saudis Waffen aus deutscher Produktion?

Markus Bickel: Ja. Erst in diesem Frühjahr genehmigte der Bundessicherheitsrat den Export von zwei Patrouillenbooten an Saudi-Arabien. Eine erste Exportgenehmigung war bereits 2016 erteilt worden, obwohl die saudische Marine Schiffe für die Seeblockade der jemenitischen Küste einsetzt. Insgesamt hat Riad 48 der von der Lürssen-Werft aus Bremen produzierten Schiffe bestellt, die nun Stück für Stück ausgeliefert werden. Firmen aus dem süddeutschen Diehl-Konzern beliefern Saudi-Arabien außerdem seit Jahren mit Bunkerfäusten, Luftabwehrraketen für Tornado- und Eurofighterjets der Luftwaffe und mit Zündern für Artilleriegeschosse. Auch Gefechtsköpfe für Raketen und Flugkörpern der saudischen Streitkräfte kommen aus deutscher Produktion.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Auch wenn keine Waffen aus deutscher Produktion zum Einsatz kämen – würde dieser Krieg nicht mit anderen Waffen trotzdem geführt?

Markus Bickel: Das Argument, wenn deutsche Firmen nicht verkauften, würden es andere tun, ist wohlfeil: Es ist Aufgabe der deutschen Politik klarzustellen, dass Kriege neue Unsicherheiten kreieren, die sich durch die Profitinteressen von Rüstungskonzernen nicht aus der Welt schaffen lassen. Deshalb müssen Parlament und Regierung in Berlin diesen Geschäften Riegel vorschieben. Denn angesichts der Millionengewinne, die etwa die Rüstungssparte von Rheinmetall Jahr für Jahr erwirtschaftet, wird eins deutlich: Gerade im Bereich Munitionsexporte ließe sich die deutsche Rüstungsexportpolitik noch sehr viel restriktiver gestalten. Und ohne Munition wird jede Waffe nutzlos.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Sollte die Bundesregierung Waffenlieferungen an Saudi-Arabien unterbinden?

Markus Bickel: Ja, und zwar umgehend. Die humanitäre Katastrophe im Jemen ist nicht zuletzt auf den Luftkrieg der arabischen Militärkoalition zurückzuführen. Das haben Vereinte Nationen und Hilfsorganisationen wiederholt angeprangert. Und das Europaparlament hat bereits kurz nach Beginn der Luftangriffe 2015 die EU-Regierungen zur Verhängung eines Waffenembargos gegen Saudi-Arabien aufgefordert. Dem sind bislang aber nur Schweden und die Niederlande – und das auch nur für kurze Zeit – nachgekommen. Der Bundesregierung stünde es gut zu Gesicht, hier Farbe zu bekennen – und auf Rüstungsexporte an das Regime in Riad zu verzichten.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Sollte sich die Bundesregierung für Sanktionen gegen Saudi- Arabien aussprechen?

Markus Bickel: Ein Anfang wäre schon gemacht, wenn man die Waffenlieferungen aussetzen würde. Darüber hinaus sollten nach der Bundestagswahl in einem Rüstungsexportgesetz verankert werden, dass in Kriege verwickelte, autoritäre Staaten wie Saudi-Arabien, Katar und die Vereinigten Arabischen Emirate auf eine rote Liste kommen. Und die Politik der Internationalisierung, die es deutschen Rüstungskonzernen ermöglicht, Schwellenländer beim Aufbau eigener Waffen- und Munitionsfabriken zu unterstützen, gehört unter ein viel stärkeres Kontrollregime gestellt– auf Bundes-, aber auch auf europäischer Ebene.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Bestünde die Möglichkeit, den Nahen Osten zu befrieden?

Markus Bickel: Die Befriedung des Nahen Ostens ist ein Generationenprojekt, das zur Zeit nicht im Interesse der herrschenden Eliten liegt. Leider. Und er lässt sich anders als behauptet auch nicht militärisch allein gewinnen – soziale, politische und religiös-ideologische Komponenten spielen eine vielleicht noch wichtigere Rolle. Entscheidend dabei ist die Unterstützung jener Kräfte, die 2011 in Kairo, Tunis, Damaskus, Sanaa und Manama friedlich auf die Straßen gingen. Das ist ein langer Weg, der zum Beispiel durch Stipendien für junge Verfolgte gefördert werden kann. Das in Deutschland erworbene Wissen, verbunden mit demokratischem Geist, könnten jungen Menschen dann zurück in die arabischen Umbruchstaaten tragen. Denn eins darf man nicht vergessen: Auch die französische Revolution durchlief mehrere Phasen, ehe sie erfolgreich war.

***

Markus Bickel berichtete in den letzten zwei Jahrzehnten als Redakteur, Reporter, Balkan- und Nahostkorrespondent für zahlreiche Medien, u.a. aus Sarajevo, Beirut, Bagdad und Damaskus. Er ist Absolvent der Deutschen Journalistenschule (DJS) in München und Diplompolitologe. Zuletzt war er Nahostkorrespondent der Frankfurter Allgemeinen Zeitung in Kairo. Seit 2017 leitet er in Berlin das Amnesty Journal, die Zeitschrift für Menschenrechte.

Markus Bickels äußerst lesenswertes Buch „Die Profiteure des Terrors“ kann hier bestellt werden.


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