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Autobahnen: Hohe Risiken für Steuerzahler und Autofahrer

Lesezeit: 10 min
06.06.2017 00:21
Die Beteiligung von privaten Investoren am Betrieb der deutschen Autobahnen birgt hohe Risiken für Steuerzahler und Autofahrer.
Autobahnen: Hohe Risiken für Steuerzahler und Autofahrer

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Für Werner Rügemer, Mitbegründer des Vereins „Gemeingut in BürgerInnenhand“, dienen die kürzlich beschlossenen 13 Änderungen des Grundgesetzes auch dem Ziel, den privaten Betrieb der Autobahnen auszuweiten. Dies erfolge im Interesse internationaler Investoren und im Einklang mit einer zunehmend zentralistisch organisierten EU – und nicht zum Wohle der nationalen Volkswirtschaften oder Regionen.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Der Bundestag hat am 1. Juni auf einen Schlag 13 Änderungen des Grundgesetzes beschlossen, der Bundesrat hat dies schon am nächsten Tag durchgewunken. Eine der Änderungen ermöglicht die Privatisierung der Autobahnen. Wieso braucht es dafür eine Grundgesetzänderung?

Werner Rügemer: Es handelt sich um einen tiefen zentralistischen Eingriff in das deutsche Staatsgefüge. Der vielgepriesene Föderalismus wird zur Fassade. Und das geht noch weiter. Lassen Sie mich deshalb auf den Zusammenhang eingehen, der von der Bundesregierung nicht thematisiert und von der bisherigen Kritik und der Opposition nicht benannt wurde: Die Europäische Kommission fördert seit langem Transnationale Netze – bei Schnellstraßen, Eisenbahnen, Leitungen. Damit wird der internationale Güter- und Dienstleistungsverkehr der internationalen Konzerne gefördert, auch der Freihandel. Damit wird zugleich die Privatisierung in verschiedenen Formen gefördert: Private Konzerne, Investoren und Berater sollen die Aufgaben übernehmen, soweit sie bisher staatlich durchgeführt wurden. Und schließlich wird die sogenannte „Nutzerfinanzierung“ gefördert – in Gestalt verschiedener Mautsysteme: Wer eine Straße benutzt, muss dafür zahlen.

Und all das steht noch im Zusammenhang zentraler Finanzplanung und der Finanzaufsicht über die nationalen Haushalte der EU-Mitgliedsstaaten. Mit dem „Europäischen Semester“ wird das schon seit einigen Jahren angegangen: Die Europäische Kommission prüft und genehmigt die nationalen Haushalte. Übrigens hat der neue französische Staatspräsident, der aus dem Milieu der global tätigen Investmentbanken kommt – in seinem Fall aus der Bank Rothschild –, die Bildung eines europäischen Finanzministeriums vorgeschlagen. Das ist auch ein altes Projekt des deutschen Finanzministers Wolfgang Schäuble. Die Troika mit IWF, Europäischer Zentralbank und Europäischer Kommission exekutiert diesen EU-Zentralismus schon seit Jahren überall da, wo sie einen Einstieg findet, etwa wenn Mitgliedsstaaten wie Griechenland aus einer „Finanzkrise“ (angeblich) gerettet werden sollen.

Privatisierung, Abschaffung nationaler demokratischer Verfahren, bürokratischer EU-Zentralismus: Das bildet eine Einheit. Und pünktlich einen Tag vor der Grundgesetzänderung in Deutschland hat die Europäische Kommission ihr neues Verkehrskonzept vorgelegt.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Wie hängt das neue EU-Verkehrskonzept mit der Autobahn-Privatisierung in Deutschland zusammen?

Werner Rügemer: In einigen EU-Staaten werden Autobahnen durch private Konzerne betrieben, so schon länger in Frankreich und Italien. In Frankreich zum Beispiel wurde 2005 der staatliche Betreiber privatisiert, jetzt sind z.B. der Baukonzern Vinci und die australische Bank Macquarie Eigentümer. In einigen Staaten hat die EU stark nachgeholfen, so in Spanien, Portugal und Kroatien. Die privaten Betreiber haben vom Staat eine 25-30jährige Lizenz und erheben Maut von LKWs und PKWs.

Andere EU-Staaten haben ein staatliches Vignettensystem, so Österreich, Bulgarien, Lettland, Ungarn, Rumänien, Tschechei, Slowakei und Slowenien. In einigen Staaten wird örtliche Maut erhoben, übrigens auch schon seit 20 Jahren in Deutschland, nämlich in den beiden Tunneln in Lübeck (Trave-Tunnel) und Rostock (Warnow-Tunnel) – betrieben durch die Baukonzerne Hochtief und Bilfinger sowie durch den französischen Baukonzern Bouygues.

In Deutschland, von der damaligen Regierung unter Bundeskanzler Gerhard Schröder angeschoben, betreiben Daimler, Deutsche Telekom und der französische Autobahnbetreiber Cofiroute seit 2003 das Toll Collect-System, also das Erfassen der von den LKWs auf den Autobahnen gefahrenen Kilometer und das Einkassieren der Maut. 2017 hat die Bundestagsmehrheit noch die Vignette für deutsche und ausländische PKWs beschlossen. Ab 2018 müssen LKWs auch auf Bundesfernstraßen Maut bezahlen.

Die Europäische Kommission will nun auf diesen Vorleistungen aufbauen und daraus ein EU-weites, einheitliches privates Betreiber- und Mautsystem entwickeln. Die Fernstraßen sollen nicht mehr durch Steuern, sondern schrittweise durch Maut finanziert werden. Mautsysteme werden zahlreicher – und immer teurer.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Wie sehen dann also die jetzigen Grundgesetzänderungen in Deutschland aus?

Werner Rügemer: Mit ihnen verfolgt die Große Koalition vor allem drei Ziele, die den EU-Plänen zuarbeiten: Erstens die Zentralisierung der Entscheidungen über die Autobahnen und Fernstraßen, zweitens die Ausgliederung aus dem öffentlichen Haushalt und aus der politischen Entscheidung, drittens die Einbeziehung privater Investoren. Also der Reihe nach: Erstens die Zentralisierung: Bisher betreuen die 16 Bundesländer über eigene Straßenbauverwaltungen die jeweiligen Autobahnabschnitte auf ihrem Gebiet. Da arbeiten insgesamt etwa 12.000 Landesbedienstete. Bei Planung und Betrieb bestimmen die Landesregierungen mit. Diese sogenannte Auftragsverwaltung wird bis 2020 abgeschafft.

Zweitens die Ausgliederung: Die Bundesregierung gründet diese Infrastruktur-Gesellschaft als zentrale privatrechtliche Gesellschaft. Die Änderung im Artikel 90 des Grundgesetzes klingt harmlos: „Der Bund kann sich zur Erledigung seiner Aufgaben einer Gesellschaft privaten Rechts bedienen.“ Das bedeutet aber: Die Entscheidungen über Finanzierung, Auftragsvergabe, Reparatur, Unterhaltung, Neubau, Mauterhebung, Datenverwertung und so weiter fallen außerhalb der Öffentlichkeit und des Bundestages. Das bedeutet noch weitere Entmachtung des Parlaments, Schattenhaushalt und noch stärkere Geheimhaltung als bisher.

Drittens Einbeziehung privater Investoren: Da wird das erweitert fortgeführt, was bisher schon bei Toll Collect und bei einem Dutzend Autobahnabschnitten gemacht wird: Baukonzerne wie Hochtief, Bilfinger, Vinci und Investoren wie die Versicherer AXA, Sun Life, Macquarie und Dutch Investment Fund bekommen Verträge nach dem Muster Public Private Partnership (PPP, auch genannt Öffentlich-Private Partnerschaft, ÖPP).

Damit übernehmen sie in der Regel für 30 Jahre alle Aufgaben für Bau, Reparatur, Erweiterung oder Neubau der Autobahnen, der dazugehörigen Anlagen, Brücken, Mittel- und Randstreifen, Ausfahrten, Entwässerung und so weiter. Sie können alle Subunternehmer selbst bestimmen (und im Preis drücken).

Schon bisher sind diese Verträge, die meist von US-Wirtschaftskanzleien wie Freshfields ausgehandelt werden und Zehntausende von Seiten haben, geheim. Schon bisher hat kein einziger Abgeordneter des Bundestages trotz teilweise erheblicher Bemühungen einen vollständigen, rechtsgültigen Vertrag sehen dürfen. Wenn das nun alles noch geheimer außerhalb des Bundestages und der Landesparlamente nur noch in der privatrechtlichen Autobahngesellschaft passiert, können die privaten Investoren noch freier, unkontrollierter und profitabler wirtschaften als bisher.

Übrigens: Es verlautet, dass der DGB und die Gewerkschaft verdi in letzter Minute der Änderung zugestimmt haben, weil man ihnen versprochen hat, die „wechselbereiten“ der 12.000 Landesbediensteten in die geplante private Infrastruktur-Gesellschaft zu übernehmen. Gesetzlich ist das nicht geregelt.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Wegen der öffentlichen Kritik, der sich teilweise der Koalitionspartner SPD angeschlossen hatte, sollte doch die Privatisierung vermieden werden?

Werner Rügemer: Ja, im Artikel 90,1 des Grundgesetzes heißt es deshalb jetzt: „Der Bund bleibt Eigentümer der Bundesautobahnen und der sonstigen Bundesstraßen des Fernverkehrs. Das Eigentum ist unveräußerlich“. Und in 90,2 heißt es zur neugegründeten Privatgesellschaft ebenso: „Sie steht im unveräußerlichen Eigentum des Bundes.“

Das ist aber Demagogie, denn die Privatisierung der Autobahnen überall in der EU läuft anders. Die private Gesellschaft kann so viele PPP-Verträge vergeben wie sie will, neue Autobahnen in Auftrag geben, Kredite aufnehmen, Staatszuschüsse bekommen, Tochtergesellschaften gründen, Aufträge in Saudi-Arabien oder sonstwo suchen und so weiter.

Die Investoren legen ja sowieso keinen Wert darauf, die Autobahnen zu kaufen. Das ist nirgends in der EU der Fall, auch nicht in Frankreich, Spanien und Italien, wo es die privaten Maut-Autobahnen schon länger gibt. Der französische Baukonzern Vinci verdient jährlich 6 Milliarden Euro mit dem Betrieb von Autobahnen – vor allem in Südfrankreich. Der hat noch nie auch nur einen Zentimeter Autobahn gekauft. Die bleibt im Staatseigentum. Denn in der neoliberalen, ach so staatskritischen Wirtschaft ist der Staat in Wirklichkeit als letzte Rückversicherung doch immer viel besser, nicht nur für die Banken. Auch in Deutschland ging es nie um den Verkauf der Autobahnen. Wenn trotzdem jetzt behauptet wird, es gebe keine Privatisierung, dann ist das eine Lüge.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Würden die deutschen Steuerzahler und PKW-Besitzer durch die Privatisierung nicht entlastet? Die Autobahnen und Fernstraßen werden dann ja nicht mehr über Steuern finanziert!

Werner Rügemer: Die KfZ-Steuer bleibt, aber hinzu kommt die Maut. Zudem ist die private Finanzierung viel teurer. Der Staat kann gegenwärtig Kredite zum Nullzins bekommen. Die Privaten müssen ein paar Prozent Zinsen zahlen, und die Investoren rechnen mit etwa 6,5 Prozent dauerhaftem Gewinn, wie der Chef der Allianz-Versicherung, Markus Faulhaber, erklärte. Die private Finanzierung ist also pro Jahr etwa 10 Prozent teurer – rechnen Sie das mal auf 30 Jahre hoch! Um das zu finanzieren, gibt es zwei Wege: Die Maut wird erhöht – und/oder der Staat schießt dann doch Steuergelder in die private Gesellschaft zu.

Die vom damaligen Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel beauftragten Berater von Price Waterhouse Coopers haben ein Gutachten erstellt: Die LKW-Maut reicht für die Finanzierung der privaten Verkehrsgesellschaft nicht aus, die PKW-Maut muss dazukommen. Außerdem müssen die LKWs ab 2018 auch auf weiteren Bundesfernstraßen Maut bezahlen.

Auch die EU-Kommission hat in ihrem Verkehrskonzept erklärt, dass die bisherigen Gebühren zu niedrig sind. Die „Nutzer“ sollen schließlich schrittweise über die Maut die Autobahnen finanzieren. In die Maut müssten, so die EU-Verkehrskommissarin Violeta Bulc, auch Anteile für die Kosten von Umweltverschmutzung, Lärmbelastung und Staus eingerechnet werden; die bisherigen Vignetten wie in Österreich und jetzt neuerdings in Deutschland seien nicht kostendeckend.

Kommissarin Bulc, eine slowenische Unternehmerin, protestierte übrigens gegen den deutschen Mindestlohn, der dann ja auch für polnische LKW-Fahrer gezahlt werden müsse. Niedriglöhnerei für die Beschäftigten gehört zu diesem Verkehrskonzept.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Gibt es bisherige Beispiele für die Privatisierung von Straßen? Wie ist die Bilanz?

Werner Rügemer: Die beiden erwähnten Straßentunnel in Lübeck und Rostock, die nach dem PPP-Muster laufen, sind finanziell gescheitert. Die Maut für Einwohner und Touristen musste laufend erhöht werden. Die Tunnels sollten nach 30 Jahren an die Städte übergehen; aber weil die Profite der Investoren zu niedrig sind, wurde die Laufzeit auf 40 bzw. 50 Jahre verlängert.

Die bisher größte Autobahnprivatisierung in Deutschland ist Toll Collect. Weil in den ersten beiden Jahren Daimler, Deutsche Telekom und Cofiroute ihren vertraglichen Verpflichtungen nicht nachkamen, sind sie schadenersatzpflichtig. Sie zahlen aber die bis heute mit Zins und Zinseszins angehäuften etwa 8 Milliarden Euro nicht: Das private Schiedsgericht, das standardmäßig zu PPP gehört, ist seit der Einreichung der Schadenersatzklage im Jahre 2004 bis heute nicht zu einem Urteil gekommen. Die Bundesregierung lässt sich erpressen und hält still. Außerdem ist der Vertrag 2015 ausgelaufen und hätte neu ausgeschrieben werden müssen. Das geschah und geschieht nicht. Es wird gemauschelt. Die dabei von der Bundesregierung beauftragten Berater wie Freshfields haben mit ihrer erfolglosen Beratung schon über 100 Millionen Euro verdient.

Der Bundesrechnungshof hat wiederholt das Dutzend der bisher laufenden PPP-Verträge für Autobahnabschnitte – etwa zwischen Bremen und Hamburg – als überteuert kritisiert, im Durchschnitt um 25 Prozent.

In Spanien hatte die EU den Bau privat betriebener Mautautobahnen gefördert: Neun davon werden vor allem seit der Finanzkrise kaum benutzt, auch wegen der Verarmung der Bevölkerung, die sich vielfach die Maut nicht mehr leisten kann. Der sowieso überschuldete spanische Staat musste 2016, wie es der Logik von PPP-Verträgen entspricht, den verschuldeten Betrieb übernehmen. Die Banken freuen sich über die zusätzlichen Kredite von mindestens 6 Milliarden Euro, die der Staat jetzt dafür aufnehmen muss – an anderer Stelle wird er natürlich noch rabiater kürzen müssen als bisher.

Die EU und die Regierungen der EU-Mitgliedsstaaten sind Komplizen der Investoren. Die Kommerzialisierung der Fernstraßen wird forciert. So beteiligte sich jetzt Allianz Capital Partners mit einer halben Milliarde Euro an Atlantia, einem privaten Betreiber italienischer Autobahnen. Als Investoren beteiligen sich auch Electricité de France (EdF) und Dutch Investment Fund. Mit ihrer gestärkten Finanzkraft wollen sie den spanischen Autobahnbetreiber Abertis aufkaufen. Allianz Capital Partners ist übrigens auch am privaten Betreiber der Raststätten-Kette Tank & Rast beteiligt.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Warum geht es nur um die Autobahnen und nicht um das gesamte Straßennetz?

Werner Rügemer: Für den früheren Verkehrsminister Peter Ramsauer (CSU), den Vorgänger des jetzigen Ministers Alexander Dobrindt (ebenfalls CSU) war schon klar: „Wer die Globalisierung will, braucht Verkehrswege!“ Verkehr – das bedeutet hier nur Auto und Flugzeug. Die EU und die internationalen Investoren sind nicht am Gedeihen der nationalen Volkswirtschaften und der Regionen interessiert, sondern an transnationalen und transkontinentalen Geschäften. Plantagengemüse, von Illegalen billig geerntet, sollen mit Gigalinern schnellstens von Südspanien nach Norwegen. Autoteile, in Portugal und Rumänien billig produziert, sollen just in time zu Daimler nach Stuttgart und zu VW nach Bremen.

Die Bundesregierung hat für die Grundgesetzänderung die nichtprofitablen Bundesstraßen weiter den Bundesländern überlassen. Ein nachhaltiges und auch volkswirtschaftlich vernünftiges Mobilitätskonzept sieht anders aus: Alle Straßen müssen einbezogen werden, ebenso der Zugverkehr oder regionale Wirtschaftskreisläufe.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Zur Änderung des Grundgesetzes gehört, dass der Bund den Gemeinden auch „Ergänzungszuweisungen“ für die Sanierung maroder Schulgebäude gewähren kann – da ist doch wirklicher Bedarf?

Werner Rügemer: Ja, das hat nun auch die Bundesregierung eingestanden. Viele Schulen sind in einem maroden Zustand, kaputte Toiletten, Schimmel an den Wänden, veraltete Schulmöbel und Container, die teilweise seit Jahrzehnten als Behelfsklassen genutzt werden.

Aber die Mängel der Infrastruktur in den Gemeinden sind viel umfangreicher: veraltete Krankenhäuser, fehlende Kindertagesstätten, undichte Kanalisationen, löcherige Straßen, fehlende Kommunikationsleitungen. Es fehlen Treffpunkte und Beratungsstellen für Jugendliche, Ausländer, Senioren. Es fehlen bezahlbare Wohnungen. Da müssten in der Tat seit Jahren und Jahrzehnten Hunderte Milliarden investiert werden.

Aber die Bundesregierung hat sich nur die Schulen herausgesucht. Dafür haben die PPP-Befürworter Interesse, wie schon bisher. Aber wegen der schlechten Erfahrungen ist in den Gemeinden die anfängliche Zustimmung für Schul-PPP inzwischen vollständig erstorben. Da greift jetzt der Zentralstaat ein. Im Grundgesetz-Artikel 104 heißt es jetzt: Der Bund kann „Bundesländern für finanzschwache Gemeinden Finanzhilfen in der kommunalen Bildungsinfrastruktur gewähren.“ Konkret bedeutet dies auch hier: Der Bund organisiert mit Baukonzernen und Finanzinvestoren 30-Jahres-Verträge nach dem PPP-Muster. Dazu schaltet er seine Berliner Beratungsagentur „Partnerschaft Deutschland“ ein, die auch schon eine privatrechtliche Gesellschaft ist (GmbH).

Das ist aber nur ein Einstieg für einen tiefen Durchgriff der Bundesregierung in die Haushalte der Bundesländer und Gemeinden. Der bisherige Bund-Länder-Finanzausgleich wird ersetzt durch eine verstärkte Regie der Bundesregierung. Den Bundesländern wird das schmackhaft gemacht mithilfe einer Zahlung von jährlich knapp 10 Milliarden Euro. Der Bund kann bei besonderer Finanzschwäche noch die „Ergänzungszuweisungen“ gewähren und dabei noch Zu- und Abschläge vornehmen. Dafür aber bekommt er zusätzliche Eingriffsrechte: Er kann beim Vollzug der Steuergesetze in die Bundesländer eingreifen, der Bundesrechnungshof kann prüfen. Die am meisten überschuldeten Bundesländer Bremen und Saarland bekommen noch besondere Hilfen – und besondere Prüfungen.

So wird die Überschuldung der Bundesländer und Kommunen – wie beim Staat Griechenland und anderen EU-Staaten – zum Anlass genommen, um von oben hineinzuregieren. Der Bezug zur EU steht nun auch im Grundgesetz, Artikel 109: Der Stabilitätsrat des Bundes wacht nun über die „Haushaltsdisziplin“ der untergeordneten Ebenen, und zwar „orientiert an den Vorgaben und Verfahren aus den Rechtsakten der Europäischen Union“.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Aber die Änderung des Grundgesetzes war zumindest ein demokratisches Verfahren, oder?

Werner Rügemer: Nicht wirklich. Öffentlichkeit und Abgeordnete wurden übertölpelt. Für die bessere Finanzausstattung der Bundesländer und Kommunen hätte auch ein Beschluss des Bundestages oder ein Gesetz gereicht. Ein Gesetz könnte man aber später mit einfacher Mehrheit ändern. Deshalb wollten CDU, CSU und SPD die Entwicklung durch die Änderung des Grundgesetzes praktisch unumkehrbar machen.

Über die Änderungen wurde jahrelang verhandelt, aber so, dass die Entscheidung in die allerletzten Wochen der Legislaturperiode gequetscht wurde: Zwang zur kurzfristigen Entscheidung. Und wenn wie hier der Bundesrat zustimmen muss, ist ein Beratungszeitraum von mehreren Wochen üblich. Aber jetzt folgte der Beschluss des Bundesrates sofort einen Tag nach dem Beschluss des Bundestages: Extreme Eile. Die Anrufung des Vermittlungsausschusses, von den Linken beantragt, wurde abgewiesen.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Bundesländer und Gemeinden sind überschuldet. Hätte es eine Alternative gegeben?

Werner Rügemer: Natürlich. Wie gesagt, die Bundesregierung nimmt wie in der EU auch die Überschuldung von Bundesländern und Gemeinden nur als Anlass, um ein zentrales, bürokratisches Regime im Interesse privater Investoren durchzupeitschen. Auch die demagogisch-populistische „Schuldenbremse“ („schwarze Null“), die 2009 ebenfalls ins Grundgesetz bugsiert wurde, dient diesem Ziel.

Die Staatsfinanzen genauso wie die Verkehrs- und Infrastrukturpolitik müssten neu geordnet werden. Trotz solcher Skandale wie Luxemburg-Leaks und Panama-Papers treiben die Investoren die Steuerflucht weiter voran – das muss gestoppt werden, die Steuern müssen eingetrieben werden, es geht jährlich um zweistellige Milliardenbeträge. Wir kennen alle die verfügbaren weiteren Steuerquellen: Erbschaftssteuer, Eintreiben der „normalen“ Gewinnsteuern, Schluss mit der systemwidrigen Mehrwertsteuerbefreiung für Aktienkäufe und -verkäufe und für Flugbenzin. Dann wären auch Milliarden für die Bundesländer und Gemeinden da. Dann müsste die Aufteilung der Steuern auf Bund, Bundesländer und Gemeinden neu geregelt werden. Stattdessen bekommt jetzt durch die Grundgesetzänderungen die Bundesregierung mehr Eingriffsrechte: Sie kann ihre Zuschüsse und „Ergänzungszuweisungen“ zur Erpressung, zur zentralistischen Kontrolle und zur Implementierung von PPP nutzen.

Dagegen muss statt einseitiger Förderung der Autobahnen und des Autoverkehrs ein integriertes Mobilitätskonzept entwickelt werden, das Zug-, öffentlichen und Nahverkehr und auch Radverkehr und sichere Fußwege einschließt. Zur Infrastruktur der Gemeinden gehört viel mehr als die Schulen, ich habe das aufgezählt. Die bisherige Form der „Globalisierung“ mit PPP-Verträgen und der staatlichen und überstaatlichen Zentralisierung nach EU-Muster – all das bringt keine sichere Daseinsvorsorge für die Mehrheit der Menschen, im Gegenteil.

***

Dr. Werner Rügemer ist Publizist und Mitbegründer von Gemeingut in BürgerInnenhand und Aktion gegen Arbeitsunrecht. Er ist Autor zahlreicher Bücher, unter anderem von “Bis diese Freiheit die Welt erleuchtet: Transatlantische Sittenbilder aus Politik und Wirtschaft, Geschichte und Kultur“ und „Heuschrecken„ im öffentlichen Raum. Public Private Partnership – Anatomie eines globalen Finanzinstruments.“


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