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Frank Siebelt von Reuters analysiert die Erwartungen für die nächste Schritte der EZB:
Die Europäische Zentralbank (EZB) wird Volkswirten zufolge nächste Woche einen vorsichtigen Schritt in Richtung geldpolitischer Wende wagen. Die Währungshüter dürften auf ihrem Ratstreffen in Tallinn am Donnerstag wahrscheinlich erstmals seit langer Zeit die Risiken für das Wirtschaftswachstum als ausgeglichen beschreiben - und damit anerkennen, dass sich die Lage deutlich gebessert hat. EZB-Präsident Mario Draghi würde so auch andeuten, dass sich die Notenbank allmählich auf einen Ausstieg aus ihrer extrem lockeren Geldpolitik vorbereitet. So sind zudem Änderungen beim Ausblick denkbar. Konkrete Ankündigungen zum Abschmelzen der billionenschweren Anleihenkäufe werden allerdings noch nicht erwartet. Auch an den Leitzinsen, die auf dem Rekordtief von 0,0 Prozent liegen, dürfte nicht gerüttelt werden.
"Letztlich steuert die EZB unserer Einschätzung nach in Trippelschritten in Richtung einer Abkehr von der gegenwärtigen ultra-expansiven Geldpolitik", sagt Zinsstratege Christian Reicherter von der DZ Bank. Chefvolkswirt Holger Schmieding von der Berenberg Bank geht davon aus, dass sich die Notenbank zuversichtlicher zur Konjunktur äußern wird: "Ich erwarte, dass die EZB bei der Risikobilanz angesichts der jüngsten Konjunkturentwicklung auf neutral schalten wird." Bisher überwiegen für Draghi & Co noch die Gefahren.
Doch das Bruttoinlandsprodukt in der Euro-Zone war von Januar bis März um 0,5 Prozent zum Vorquartal gestiegen - deutlich mehr als beispielsweise die sonst oft führenden USA. Auch für das zweite Jahresviertel stehen die Ampeln auf grün: So zogen Produktion und Aufträge der Betriebe im Mai laut dem Institut IHS Markit so kräftig an wie zuletzt vor rund sechs Jahren. "Die EZB wäre blind, wenn es den zyklischen Aufschwung in der Euro-Zone nicht anerkennen würde", so ING-Diba-Chefvolkswirt Carsten Brzeski. Daher scheine es eine ausgemachte Sache zu sein, dass die EZB die Risikobilanz nun als ausgeglichen beschreibe.
Volkswirte halten es zudem für möglich, dass die Euro-Wächter ihren Ausblick leicht ändern. Bundesbank-Präsident Jens Weidmann hatte unlängst eine Debatte im EZB-Rat darüber gefordert. Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer und sein Kollege Michael Schubert vermuten, dass die EZB die Hinweise auf eine möglicherweise noch expansivere Geldpolitik teilweise aufgibt. "So könnte die Notenbank auf die Möglichkeit einer weiteren Zinssenkung verzichten, aber an der Option zusätzlicher Anleihenkäufe für den Notfall festhalten."
Sorgen dürfte Draghi aber weiterhin machen, dass sich die Inflation trotz der günstigeren Konjunktur wieder weiter vom EZB-Ziel von knapp unter zwei Prozent entfernt. Die Verbraucherpreise stiegen im Mai nur um 1,4 Prozent zum Vorjahresmonat. Die Kerninflation, in der schwankungsreiche Öl- und Lebensmittelpreise ausgeklammert sind, liegt sogar nur bei 1,0 Prozent. Erst vor wenigen Tagen hatte Draghi daher im Europa-Parlament gesagt, ein "außergewöhnliches Ausmaß" an geldpolitischer Hilfe sei immer noch nötig, damit sich die Teuerung dem Notenbank-Ziel annähere.
Für Tuuli Koivu, Volkswirtin bei der Großbank Nordea, ist die schwache Preisentwicklung auch ein Grund, warum die EZB nach ihrer Einschätzung den Hinweis auf nötigenfalls noch umfangreichere Anleihenkäufe nicht aufgeben wird: "Wenige Dinge wären mehr peinlich als das Anleihen-Kaufvolumen wieder erhöhen zu müssen, sollte die Kerninflation unerwartet unter das bereits niedrige Niveau sinken." Aktuell erwerben die EZB und die nationalen Notenbanken jeden Monat Staatsanleihen und andere Wertpapiere im Volumen von 60 Milliarden Euro. Mit den Transaktionen sollen Banken dazu angeregt werden, mehr Darlehen an Haushalte und Unternehmen zu vergeben anstatt Geld in Anleihen zu investieren. Das noch bis Ende Dezember laufende Programm soll ein Volumen von 2,28 Billionen Euro erreichen.