Technologie

Ratlos im Neuland: Merkel fordert weltweite Regulierung des Internet

Bundeskanzlerin Merkel sieht die weltweite Regulierung des Internet als geboten an. Die Forderung zeigt erhebliche Ratlosigkeit gegenüber neuen Technologien. Deutschland bleibt in diesem Bereich seit Jahren unter seinen Möglichkeiten.
14.06.2017 00:04
Lesezeit: 3 min

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Bundeskanzlerin Angela Merkel hat laut Reuters vor einigen Tagen in Mexiko eine weltweite Regulierung für Teile des Digitalsektors gefordert. "Man wird bei der Industrie 4.0 in den gesamten Sicherheitsfragen auch den Prozess durchlaufen müssen, den wir bei der Welthandelsorganisation WTO mit realen Handelsvorgängen schon durchlaufen haben, den wir beim G20-Prozess mit Finanzmarktregulierung durchlaufen haben", sagte Merkel.

Reuters sieht die Motivation in einer gewissen Ängstlichkeit im Hinblick auf die neuen Technologien und schreibt: "Hintergrund ist eine Reihe von Entwicklungen im digitalen Sektor, die von Sicherheitsfragen wie Cyberattacken, der Verantwortung sozialer Plattformen bis zu steuerlichen Fragen beim Internethandel reichen – und zunehmende Besorgnis in der Politik auslösen."

Tatsächlich entziehen sich Technologie-Unternehmen in zunehmendem Maß der Kontrolle durch nationale Regierungen: Der Kurznachrichtendienst Twitter etwa wird ab dem 18. Juni auch Daten seiner deutschen Kunden ins Ausland transferieren – wohin, erfährt der Nutzer nicht mehr. Ausdrücklich weist der US-Konzern darauf hin, dass Nutzer ab dann akzeptieren, dass ihre Daten nicht mehr den Standards des deutschen Datenschutzes unterliegen müssen. Aus Sicht eines Konzerns, der mit der Auswertung von Informationen sogenannte "Big Data" erstellt und daraus neue Geschäftsmodelle entwickelt, erscheint dies logisch. Aus Sicht einer Regierung, die das Internet nicht zuletzt aus Eigeninteresse kontrollieren will, sieht die Lage anders aus. Autoritäre Staaten wie Russland und China verfolgen ähnliche Strategien wie Deutschland. Immerhin ist Russland bei der Blockchain-Technologie vorne. In Deutschland gibt es über Chancen und Risiken dieser Technologie noch keine breite politische Diskussion.

Auch aus diesem Grund existiert bei der Vernetzung von IT-Technik und Produktion ein Wettbewerb, der beinhaltet, welche Wirtschaftsregionen Standards durchsetzen können. Weil auch deutsche Konzerne weltweit arbeiten und Daten innerhalb ihrer Unternehmen global übertragen, stellt sich die Frage, wie eigentlich der Zugriff geregelt ist. In Deutschland stößt dabei das Prinzip der "Datensparsamkeit" – also der möglichst kontrollierten Herausgabe von Daten von Bürgern an Staat oder Unternehmen – auf das etwa in den USA vorherrschende Prinzip, dass erst einmal alles erlaubt ist, was nicht verboten ist. Angesichts der Verbreitung von digitalen Plattformen müsse die Bundesregierung regulatorisch gegensteuern, forderte Wirtschaftsministerin Brigitte Zypries am Dienstag auf dem IT-Gipfel in Ludwigshafen.

BDI-Chef Dieter Kempf mahnte in Mexiko, dass in der deutschen Debatte die Datensparsamkeit künftig durch das Prinzip der "Datensouveränität" ersetzt werden sollte. Auch Merkel fordert ausdrücklich eine neue Offenheit für die Entwicklung von "big data", also der Analyse großer anonymisierter Datenmengen, die etwa für Verkehrsleitsysteme wichtig sind. Aber auch der BDI-Chef fordert, dass die Politik Regelungen etwa für die Datensicherheit und Standardisierung finden müsse. Denn in der "analogen Welt" gebe es in der Wirtschaft eine Standardisierung etwa durch DIN-Prozesse. International wird hier festgelegt, welche Grundvoraussetzungen bestimmte Produkte erfüllen müssen.

Dies ist für Konsumenten und Unternehmen gleichermaßen wichtig in einer globalen Welt. "Aber die digitale Transformation verhindert traditionelle Wege der Standardbildung", sagte Kempf laut Reuters. Statt der bisherigen Normungsgremien würden heute IT-Firmen in großem Stil informell Standards setzen. Merkel hatte in dramatischen Worten etwa deutsche Autokonzerne davor gewarnt, dass sie nur noch verlängerte Werkbank amerikanischer IT-Konzerne werden könnten, die durch ihre Datenauswertung viel besser über die individuelle Kundenwünsche Bescheid wüssten.

Auch Merkels Ideen zur Regulierung des Internet sind in der Praxis kaum durchsetzbar – außer man schafft ein komplett staatlich reguliertes Internet. Da würde allerdings wie bei den Banken zu einer Schieflage führen: Während sich der Regulator mit großer Verve an die Basel-Regeln gemacht hat und damit de facto das Kreditgeschäft zum Erliegen gebracht hat, sind Schattenbanken und Spekulanten weiter unreguliert – auch, weil sie global agieren können.

Daher streckt sich auch Merkel nach der Decke, was allerdings eine gewisse Ratlosigkeit offenbart und zu widersprüchlichen Appellen führt: So fordert Merkel die deutschen Unternehmen auf, mehr Geschäft mit den Daten der Kunden zu machen: "Wir müssen aus der Vielzahl von Daten neue Produkte und Anwendungen entwickeln", sagte Merkel am Dienstag auf dem Digitalgipfel der Bundesregierung in Ludwigshafen. Man müsse trotz aller gebotenen Vorsicht im Auge behalten, dass durch das Sammeln und Analysieren von Datenbergen neue Geschäftsmodelle entstünden. Hier müssten insbesondere Mittelständler schnell dazulernen. "Sonst wird von der Seite die Plattformanbeiter die Wertschöpfungskette angeknabbert – mit Nachteilen für unsere Wirtschaft", sagte die CDU-Politikerin.

Bundeswirtschaftsministerin Brigitte Zypries plädierte gleichzeitig für eine stärke Kontrolle dieser Anbieter wie Google und Amazon. "Wir brauchen für die Plattformen einen Rechtsrahmen, der fairen Wettbewerb und Innovationen fördert." Gefährlich am Vormarsch der Online-Giganten sei, dass sie sich zwischen Hersteller und ihre und Kunden schieben würden. "Daraus kann eine erhebliche Marktmacht resultieren." Dem Thema müsse man nicht ausschließlich durch neue Regeln begegnen, sondern auch durch eine Informationsoffensive. Bei einer Umfrage hätten zwei von drei deutschen Unternehmenslenkern angegeben, noch nie etwas von der Plattformwirtschaft gehört zu haben, sagte Zypries auf dem jährlichen Digitalgipfel des Bundes. Da müsse ihr Ministerium noch mehr leisten.

Bezeichnend für die deutsche Ratlosigkeit ist die Idee, die revolutionäre Technologie mit neuer Bürokratie zu begrüßen: Verkehrsminister Alexander Dobrindt fordert die Einrichtung eines Digitalministeriums des Bundes nach der Bundestagswahl. "Wir brauchen ein Bundesdigitalministerium, das unsere Digital-Kompetenz in einem Haus und einer Verantwortung bündelt", sagte Dobrindt der Passauer Neuen Presse. Zypries weist die Idee zurück. Das Feld sei eine Querschnittsaufgabe, an der jedes der jetzigen Ministerien einen Anteil habe. "Auseinanderziehen funktioniert da nicht."

Der Dissens zeigt, dass die deutsche Politik wenig Verständnis dafür hat, dass Innovationen Freiheit brauchen, um sich durchzusetzen. Deutschland ist trotz des guten Steueraufkommens nicht die erste Adresse in Europa, wenn es um schnelle und unbürokratische Förderungen geht. Österreich ist in dieser Hinsicht für viele Start-ups und Gründer mittlerweile eine attraktivere Adresse.

An der Börse haben die US-Konzerne erheblichen Vorsprung: "Die Marktkapitalisierung von Firmen wie Facebook, Amazon, Apple, Microsoft oder des Google-Mutterkonzerns Alphabet ist seit Jahresbeginn um 600 Milliarden Dollar gestiegen", sagte Anlagestratege Michael Hewson vom Brokerhaus CMC Markets laut Reuters. Die 30 Dax-Werte sind zusammengerechnet gerade einmal doppelt so viel Wert.

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