Die Partei Die Linke hat die Einrichtung einer von der Bundesregierung vorgeschlagenen europaweiten „Datei für Extremisten“ scharf kritisiert. Andrej Hunko, europapolitischer Sprecher der Fraktion, sieht in dem Ansinnen weitreichende Folgen:
„Zunächst müsste definiert werden, wer überhaupt gespeichert werden soll und welche Zwangsmaßnahmen (etwa Reiseverbote) daraufhin verhängt werden dürften. Würden beispielsweise ‚Störer‘ verfolgt, können Länder wie Österreich gar nicht mitmachen, denn dort ist der Begriff im Polizeirecht nicht definiert. Deshalb war schon Wolfgang Schäuble als Innenminister nach dem G8-Gipfel in Heiligendamm mit einer solchen Forderung auf EU-Ebene gescheitert. Zwar plant die EU ein europäisches Strafregistersystem (EPRIS). Abfragen zu polizeilichen Ermittlungen gegen bestimmte Personen wären dort aber nur für Ermittlungen und nicht bei Grenzkontrollen erlaubt. Rechtlich einwandfrei ist nur die Speicherung und Verarbeitung der Daten von Verurteilten, eine solche EU-Datei gibt es aber bereits (ECRIS).
Ich befürchte, dass der Vorstoß zur Ausweitung der Zusammenarbeit europäischer Polizeien und Geheimdienste in der ‚Police Working Group on Terrorism‘ führt. Das klandestine europäische Netzwerk wäre mit der Gründung von Europol eigentlich überflüssig, wird aber seit Jahren zum Austausch über linke Zusammenhänge genutzt. Die Daten für polizeiliche Repressalien zu nutzen wäre aber illegal. Wenn jetzt auch der Justizminister ohne Rechtsgrundlage eine ‚Extremistendatei‘ fordert, ist das aus meiner Sicht brandgefährlich. Nach dem Polizeidebakel beim G20-Gipfel brauchen wir Augenmaß und keine Politiker, die ohne Kenntnis europäischer Gesetzgebungsverfahren aus der Hüfte schießen.“
Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) hatte sich zuvor nach den schweren Krawallen am Rande des G20-Gipfels in Hamburg für die Einrichtung einer europaweiten Extremistendatei ausgesprochen. „Wir haben im Extremistenbereich keine ausreichende Datengrundlage in Europa“, sagte Maas am Montag der Nachrichtenagentur AFP zufolge. Das habe der Gipfel in Hamburg deutlich gemacht. Wer mit Blick auf die Kartei als Extremist gelten könnte, ließ Maas offen.
Bei den schweren Krawallen sei eine große Zahl der Straftäter aus dem Ausland gekommen, sagte der Justizminister. Deshalb werde innerhalb der EU eine Datei benötigt, auf die alle Länder zugreifen könnten. Eine solche Datei würde es den Behörden ermöglichen, „bei solchen Ereignissen einen besseren Überblick zu bekommen und Leute an den Grenzen abzuweisen“, zeigte sich Maas überzeugt. Auch Innenpolitiker von Union und SPD fordern eine europäische Extremistendatei.
Bundesinnenminister Thomas de Maiziere hält die Einrichtung einer europäischen Linksextremisten-Datei für grundsätzlich sinnvoll. Man müsse sich dann allerdings auf gemeinsame Kriterien zur Einstufung der Linksextremisten einigen, sagte der CDU-Politiker am Montag in Berlin. Deutschland verfüge bereits über eine nationale Datenbank linker Gewalttäter, die von Bund und Ländern gespeist werde. Auf internationaler Ebene gebe es dagegen keine vergleichbaren Dateien. Die Sicherheitsbehörden der Staaten tauschten sich jedoch über Linksextremisten aus, auch im Vorfeld des G20-Gipfels. Deutschland habe aus dem Ausland Namen von Extremisten erhalten, die als Störer bekannt seien.
De Maiziere warnte vor einer Verharmlosung oder Relativierung linker Gewalt. Es sei völlig unverständlich, Menschen als politische Aktivisten zu bezeichnen, die wie im Hamburger Schanzenviertel bereit seien, Gehwegplatten von Hausdächern auf Menschen zu werfen. „So etwas ist Vorbereitung zu versuchten Mord“, sagte er.
Der Minister stellte die Randalierer in eine Reihe mit Neonazis und islamistischen Attentätern. „Personen, die Autos abbrennen, und Personen, die Supermärkte plündern, sind keine Aktivisten oder G20-Gegner, wie sie immer noch aus dem linken politischen Lager beschrieben werden“, erklärte de Maiziere. „Sie sind verachtenswerte gewalttätige Extremisten, genauso wie Neonazis es sind und islamistische Terroristen.“ Er erwarte harte Urteile der Justiz. Landfriedensbruch könne mit mehrjähriger Haft bestraft werden.
Den Vorwurf, die Polizei habe Gewalttaten provoziert, wies de Maiziere zurück. „Die Durchsetzung geltenden Rechts ist keine Provokation“, sagte er. „Man kann von Demonstranten erwarten, dass sie Vermummte nicht schützen.“ Wer Chaoten decke, schütze oder ihnen logistische Unterstützung gebe, mache sich mitschuldig. Eine mittlere dreistellige Zahl von Gewalttouristen sei auch aus dem Ausland nach Hamburg gereist. Hunderte weitere Linksextremisten seien bereits an den Grenzen abgewiesen worden, andere dagegen seien offenbar ohne ihre Ausrüstung gereist.
Die Linksextremisten hätten sich seit bis zu zwei Jahren auf den Gipfel vorbereitet und Zwillen und andere Gegenstände schon lange vor dem Treffen nach Hamburg geschafft. „Mich würde nicht wundern, wenn viele der Materialien, mit denen Polizisten verletzt worden sind, längst vor Einführung der Grenzkontrollen nach Deutschland gekommen sind“, sagte de Maiziere.
Die FDP will sogar noch weiter gehen und fordert eine Überwachung von Unterstützern linksextremer Gewalttäter bis hinein in Anwaltskanzleien. Es gebe „ein organisiertes Netz von Unterstützern“ bis in die bürgerliche Gesellschaft und in die Anwaltskanzleien hinein, sagte FDP-Chef Christian Lindner am Montag in Berlin. Dieses Netz müsse stärker als bisher vom Verfassungsschutz beobachtet werden. Natürlich gelte der Vertrauensschutz für einen Mandanten. In Sympathiekreisen, wo keine anwaltliche Beziehung bestehe, könne der Verfassungsschutz jedoch aktiv werden. „Ich erwarte, dass unser Inlandsnachrichtendienst jedem extremistischen Umtrieb nachgeht“, fügte er hinzu.
Lindner forderte die „Räumung linksextremer Biotope“, aus denen heraus Gewalt geplant werde. Er nannte die „Rote Flora“ in Hamburg und die „Rigaer Straße“ in Berlin. SPD, Linke und Grüne forderte der FDP-Chef auf, „einen klaren Trennungsstrich zu dieser Form des gewaltbereiten Linksextremismus zu ziehen“. Eine Politik der falschen Toleranz gegenüber dem Linksextremismus müsse beendet werden.
Die EU-Kommission hat sich grundsätzlich gesprächsbereit zum Vorschlag gezeigt. Die bessere Verknüpfung von Datenbanken der Sicherheitsbehörden in Europa stehe ohnehin auf der Tagesordnung, sagte ein Kommissionssprecher am Montag. Allerdings müsse „die Reichweite einer solchen Datenbank“ erst „noch diskutiert werden“.
Im Kampf gegen Terrorismus und schwere Kriminalität plant die EU schon länger eine stärkere europäische Verknüpfung der Datenbanken von Polizei-, Justiz- und Sicherheitsbehörden. Der Kommissionssprecher verwies darauf, dass es bereits eine europaweite Datenbank zum erleichterten Austausch von Informationen über verurteilte Kriminelle gibt (Ecris). Die Kommission hatte Ende Juni vorgeschlagen, künftig auch Daten von vorbestraften Bürgern aus Drittstaaten in Ecris aufzunehmen.
Die EU-Innen- und Justizminister hatten am vergangenen Donnerstag über eine Vernetzung auch mit Reise- und Visadatenbanken und dem Fingerabdrucksystem Eurodac beraten. Eine Einigung soll bis Jahresende erfolgen. Die Neuerungen sollen dann bis 2020 in Kraft treten. Die EU-Kommission schlägt vor, dass ihre IT-Systemeagentur EU Lisa technische Lösungen für die Verknüpfung der verschiedenen Datenbanken vorlegt.
Erst vor wenigen Tagen hatte die Bundesregierung ein neues Überwachungsgesetz verabschiedet, welches eine umfassende Überwachung aller Bürger durch staatliche Behörden ermöglicht.