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Norditalien stürzt ab: Die brutalen Folgen eines Banken-Crashs

Lesezeit: 5 min
21.10.2017 01:20
In Norditalien kann man beobachten, wie ein Banken-Crash eine gesunde Wirtschaftsregion verwüstet.

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Das Veneto – die Region um Venedig – ist eine der traditionsreichsten Wirtschaftsregionen Europas. In den vergangenen Jahrzehnten haben nicht nur Weltmarken wie Benetton oder De’Longhi, sondern auch 40.000 mittelständische Unternehmen für Arbeitsplätze und Wertschöpfung gesorgt.

Doch nun ist Region von der wirtschaftlichen Verwüstung bedroht, wie Bloomberg analysiert. Der Grund: Das Scheitern der Regionalbanken Popolare die Vicenza und Veneto Banca hat verheerende Folgen für viele Unternehmen, aber auch für die Sparer in der Region: „Der Schmerz für die Banken Venetiens ist vorbei, aber der Schmerz für die Unternehmen in Venetien fängt erst an“, sagte Andrea Arman, ein Anwalt, der einige der Unternehmen und Privatleuten berät, die am härtesten getroffen wurden: „Wir beginnen gerade die Konsequenzen des Zusammenbruchs zu sehen - und was wir sehen, ist alarmierend.“

200.000 Anteilseigner an den Banken haben ihre Ersparnisse verloren. 11 Milliarden Euro an privaten Vermögen wurden laut Bloomberg seit 2015 ausgelöscht. Meist wurden Kleinanleger von den Banken dazu überredet, ihre Ersparnisse in Aktien umzuwandeln – eine Praxis, die im Veneto seit Generationen geübt und bisher immer funktioniert hatte. Doch mit der Finanzkrise gerieten die Banken in eine Schieflage und beschleunigten die Ausgabe von Aktien, um vor dem Regulator bestehen zu können. Viele dieser Anleihen wurden mit Krediten finanziert, weshalb nun die Behörden gegen das Management der Banken ermitteln. Die Banken hatten von 2013 bis 2016 auf diesem Weg Eigenkapital von drei Milliarden Euro aufgetrieben.

Viele Sparer wurden noch ein weiteres Mal betrogen: 2014 untersagte die EZB den Banken den Rückkauf eigener Aktien. Die Banken boten den Kleinaktionären, die ihre Anteile verkaufen wollten, an, die Aktien als Sicherheit für Niedrigzins-Kredite zu verwenden. Nachdem die Aktien ihren Wert verloren hatten, schossen die Zinsen für die Kredite in die Höhe.

Nun stehen vor allem viele Familien und Familienbetrieben vor existentiellen Problemen: In der Regel haben sie einige hunderttausend Euro verloren, die sie als Sicherheit für neue Kredite hinterlegt hatten, um die Liquidität des Unternehmens zu sichern. In anderen Fällen ist die gesamte Altersvorsorge weg, womit die Konsumkraft der Region massiv geschwächt wird.

Der Chef der Intesa Saopolo, Carlo Messina, spricht von einem „Skandal“, weil die Kunden von ihren Banken getäuscht worden seien. Die Intesa hat einen Notfall-Fonds für besonders betroffene Opfer eingerichtet.

Nach den Sparern bekommen nun die Unternehmen der Region die Folgen des Banken-Crashs zu spüren. Die gesunden Teile gingen für einen symbolischen Preis an die Intesa Sanpaolo. 18 Milliarden an faulen Krediten wurden von einer staatlichen Bad Bank mit dem Namen SGA übernommen. Damit haben viele Betriebe die Möglichkeit verloren, an Kreditfinanzierungen zu kommen – obwohl ihre Geschäfte profitabel sind. Sie können für neue Kredite keine Sicherheiten bieten, weil ihre Anleihen an die Veneto-Banken wertlos geworden sind. Die SGA kündigte zahlreichen Unternehmen die Kreditlinie – meist ohne Vorwarnung oder Erklärung. Damit konnten zahlreiche Unternehmen im September erstmals ihre Löhne nicht auszahlen, wie Bloomberg berichtet. Auch nach der Finanzkrise hatten die Veneto-Banken die Unternehmen mit reichlich Kredit versorgt. Ende 2016 belief sich die Summe der Kredite auf 46 Milliarden Euro – etwa 40 Prozent davon waren faul (non performing loans).

Der unabhängige Berliner Banken-Experte Achim Dübel sieht die Probleme des italienischen Bankensystems als Versäumnis der Regierungen der vergangenen Jahre - und in einem zu engen Verhältnis von Banken und den staatlichen Interessen. Dübel sagte den Deutschen Wirtschafts Nachrichten: "Norditalien ist wegen der hohen Ersparnisse überliquide. Unter dem Anlagedruck haben die Banken offenbar zunehmend alle Kreditstandards über Bord geworfen. Warum wurde nicht früher gegengesteuert? Der Nationalismus der italienischen Zentralbank spielt eine große Rolle -

Stichworte Bancopoli und Antonveneta."

Dübel: "Warum verfolgt Italien für seine hohen Ersparnisse eine Anlagestrategie über Regionalbanken – selbst Intesa und Unicredit sind Zusammenschlüsse solcher Institute – und hat keine internationale Großbank? Weil man über Jahrzehnte die Ersparnisse der Bevölkerung faktisch für den Staat konfisziert hatte und kein echtes internationales Finanzsystem will. Es gibt nicht mal eine Wohnungsbaufinanzierung, bis heute gibt es kein Pfandbriefsystem. Also schwappt alle Liquidität in die öffentlichen Regionalbanken, die eben auch am Ende ein Teil des Staates sind. Always late in takeoff, always late in arrival heisst es nicht nur bei Alitalia."

Dübel weiter: "Sodann wurde die Finanzkriminalitaet nicht verfolgt, sondern gefördert. Kreditvergabe gegen eigene Aktien ist ein Fall für den Staatsanwalt. Das Aufschwatzen von Aktien an den kleinteiligen Mittelstand ebenso, wegen des Verbraucherschutzes. Hat noch nie ein Kleinanleger in Italien etwas von Diversifizierung von Anlagen gehört? Die Republik Venedig, die ständig beschworen wird, war ein Musterbeispiel dafür. Wo sind die Aufseher, wo die finanzielle Bildung der Anleger?"

Dübel sieht außerdem schwere Fehler bei der Abwicklung der Veneto-Banken: "Italien wollte einen echten Bieterprozess fuer beide Banken verhindern und dem Atalante-Stillhalter Intesa (hohe Verluste) Cherrypicking erlauben. Wer so vorgeht und nicht einmal Terms of Reference (TOR) für einen Tender schreibt, ist korrupt. In den TOR hätte natürlich gestanden, dass die Kredite an den kleinteiligen Mittelstand zu übernehmen sind. Ich bin sicher, der SRB hätte das bei allen Anfangsproblemen besser gemanagt. Diese Unternehmen sind ein Opfer der Korruption der Zentralregierung, die nur mit den Großen mauschelt. Das betrifft auch Renzi und seine eigenen, dubiosen Finanzgeschäfte. Jetzt ist natürlich guter Rat teuer. Die SGA muss erst aufgestellt werden, das hätte die italienische Regierung auch schneller machen können. Die SGA braucht zudem viel Brückenfinanzierung. Irgendjemand wird es ja noch in Italien geben – CdP zum Beispiel – der das organisieren kann. Genug Geld wäre jedenfalls da."

Die Veneto-Banken sind die ersten, die die Folgen der Finanzkrise und der skrupellosen Geschäftspolitik ihres Managements zum Opfer gefallen sind. Tatsächlich lauern überall in Italien noch andere Gefahren, die zum Banken-Crashs führen könnten. Sogar EZB-Chef Mario Draghi forderte die italienischen Banken auf, das Problem der faulen Kredite zu lösen. Draghi selbst hat bei der Monte dei Paschi di Siena eine unklare Rolle gespielt, als er noch oberster italienischer Bankenaufseher gewesen war.

Die italienischen Politiker haben einen Sündenbock für das sich abzeichnende Fiasko ausgemacht: Matteo Renzi forderte einen Neuanfang bei der italienischen Notenbank. Silvio Berlusconi attackierte Notenbank-Gouverneur Ignazio Visco laut AFP direkt: „Die Bank von Italien hat nicht die Kontrolle ausgeübt, die von ihr erwartet wurde.“

Im Zuge der Bankenkrise hatten zehn Geldhäuser in Italien binnen zwei Jahren ihre Tore schließen müssen. Insbesondere die oppositionelle Fünf-Sterne-Bewegung warf Visco vor, dem Anwachsen fauler Kredite bei den Banken zu lange zugeschaut zu haben.

Die Geschädigten im Veneto wird dieser Streit nicht besonders interessieren. Ihnen bietet sich als Ventil eine Abstimmung, in der über mehr Autonomie für die Regionen Lombardei und Venetien entschieden wird.

Bisher waren die Lombardei und Venetien die Motoren des Bruttoinlandsprodukts (BIP) für Italien. Rund 30 Prozent steuern die beiden Nordregionen zum BIP Italiens bei. Auch bei der Verschuldung, bei den öffentlichen Ausgaben pro Einwohner und bei der Funktionstüchtigkeit des Gesundheitswesens sind sie Musterknaben.

Ihre ökonomische Stärke wird vor allem beim jährlichen Finanzüberschuss deutlich: Rund 70 Milliarden Euro nehmen sie mehr ein an Steuern und Gebühren, als sie wieder ausgeben. Eine riesige Summe, von der die beiden zur Lega Nord gehörenden Regionalpräsidenten Luca Zaia (Venetien) und Roberto Maroni (Lombardei) nur die Hälfte an Rom abführen wollen.

Allerdings könnte es aus Norditalien bald weniger zu verteilen geben: Vielen Klein- und Mittelbetrieben droht der Absturz. Es ist unklar, ob die Wirtschaft in Norditalien nach dem Banken-Crashs wieder auf die Beine kommen wird. Die gesunde mittelständische Struktur droht zu zerfallen. Viele Familien haben ihre Ersparnisse oder Vermögen verloren und können ihre Betriebe nicht erhalten und erst recht keine neuen aufbauen. Die Abstimmung über die Autonomie ist ohnehin nur eine Farce: Sie hat keinerlei Bindung und ist nicht mehr als eine politische Show, mit der die Parteien von der berechtigten Wut der Venezianer profitieren wollen.

 



 

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