Mit dem portugiesischen Finanzminister Mário Centeno führt ab Januar erstmals ein Vertreter eines südlichen Mitgliedslandes die Eurogruppe. Die Finanzminister der Währungsunion wählten den 50-jährigen am Montag in Brüssel zum Nachfolger von Amtsinhaber Jeroen Dijsselbloem aus den Niederlanden. Zuvor war Jean-Claude Juncker viele Jahre Chef der Gruppe gewesen. Der geschäftsführende Bundesfinanzminister Peter Altmaier (CDU) bezeichnete Centenos Wahl laut AFP als eine Anerkennung für die "erfolgreichen Reformanstrengungen Portugals".
Die Eurogruppe existiert quasi im rechtsfreien Raum: Es gibt keine vertragliche Verortung der Gruppe. Sie trifft ihre Entscheidungen ohne Verpflichtung zur Transparenz. Der frühere griechische Finanzminister Yanis Varoufakis stellt in seinen Erinnerungen fest, dass er erstaunt gwesen sei, dass in der Gruppe niemand Protokoll führe. Die Gruppe wurde faktisch von den Regierungen mit der Führung der Finanzgeschäfte beauftragt. Alle wichtigen Entscheidungen erfolgen in dieser Gruppe. Allerdings haben die Finanzminister bisher mit mäßigem Erfolg agiert, wie ihnen erst kürzlich sogar die die EZB attestierte. Der Ökonom Mark Blyth erläuterte bereits 2015 in einem Vortrag in Glasgow, warum die europäische Austeritätspolitik ein Fehler ist (Video am Anfang des Artikels). Richard Koo versuchte 2016, das Problem zu erklären – allerdings ebenfalls ohne Erfolg (zweites Video).
Es sei "eine Ehre", das einflussreiche Gremium zur Steuerung der Währungsunion führen zu dürfen, sagte Centeno nach der geheimen Wahl durch die Finanzminister der Eurozone. Er setzte sich gegen drei Mitbewerber durch. Zunächst schied laut Diplomaten die lettische Finanzministerin Dana Reizniece-Ozola aus. Danach habe der Slowake Peter Kazimir verzichtet, auch der Luxemburger Finanzminister Pierre Gramegna konnte sich in den zwei Wahlrunden nicht durchsetzen.
Der Wirtschaftswissenschaftler und Zentralbanker Centeno führt seit November 2015 für die sozialistische Minderheitsregierung in Lissabon das Finanzministerium. Er sagte zu Beginn des Treffens, er wolle über Parteigrenzen hinweg einen Konsens erzielen. Als Kandidat Südeuropas wollte er sich nicht sehen.
Centeno sei mit "ganz, ganz breiter Mehrheit" gewählt worden, sagte Altmaier (CDU). Seine Berufung zum Eurogruppen-Chef sei "auch eine Anerkennung für die harten und erfolgreichen Reformen, die Portugal unternommen hat, um wieder dem Stabilitäts- und Wachstumspakt zu genügen".
Portugal hatte sich in der Finanzkrise 2011 unter den Euro-Rettungsschirm flüchten müssen und bekam internationale Notkredite von über 70 Milliarden Euro. Unter Centeno schaffte es das Land nach jahrelangen Defizitverstößen seit 2016 wieder, die Vorgaben des Stabilitäts- und Wachstumspaktes einzuhalten.
"Heute ist Portugal eine Erfolgsgeschichte und Mário ist ein großer Teil davon", sagte auch der deutsche Chef des Euro-Rettungsfonds ESM, Klaus Regling. EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker gratulierte gleichfalls. Er will am Mittwoch seine Pläne für eine Reform der der Währungsunion vorlegen.
Nach von der Kommission dementierten Medienberichten, denen zufolge Juncker dabei den Stabilitätspakt aufweichen wolle, sagte Altmaier, er erwarte sich von den Vorschlägen der Behörde "ein klares Bekenntnis zu Stabilität und zu Wachstum". Anderes sei "schädlich".
Altmaier betonte gleichzeitig, dass beim EU-Gipfel Mitte Dezember zur Reform der Eurozone noch keine Entscheidungen fallen würden. Diese würden erst "im nächsten Jahr getroffen". Der Bundesfinanzminister lud Centeno für Januar nach Berlin ein, um "über die großen Zukunftsfragen zu sprechen".
In der Eurogruppe kommen monatlich die Finanzminister der 19 EU-Länder mit der Gemeinschaftswährung zusammen. Hauptaufgabe ist eine enge Koordinierung der Wirtschaftspolitik. In der Finanz- und Schuldenkrise wurde das Gremium zentrale Schaltstelle für Rettungsprogramme für vom Staatsbankrott bedrohte Länder wie Griechenland.
Die Amtszeit des Eurogruppen-Chefs beträgt zweieinhalb Jahre. Bisher gab es zwei Präsidenten: von 2005 bis 2013 den heutigen EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker und seit Januar 2013 Dijsselbloem, der zwei Amtszeiten hatte.