Finanzen

Türkei verliert Kontrolle über die Inflation

Die Türkei steuert auf eine Phase sehr hoher Inflationsraten zu.
13.12.2017 17:05
Lesezeit: 2 min

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Das Wirtschaftswachstum der Türkei hat im dritten Quartal 2017 einen Sprung von 11,1 Prozent gemacht. Nach Angaben der Statistischen Behörde des Landes erlebte das heimische Bruttoinlandsprodukt (BIP) damit einen Anstieg wie seit sechs Jahren nicht mehr. Volkswirtschaftler hatten mit einem Zuwachs von rund zehn Prozent gerechnet. Die auf vollen Touren laufende Konjunktur heizt die ohnehin schon hohe Inflation weiter an. Die bislang noch nicht vollzogenen Leitzinserhöhungen verstärken diesen Effekt.

Gegenüber dem Vorquartal hat sich das Wachstum mehr als verdoppelt: Das türkische BIP war im zweiten Quartal um 5,4 Prozent gestiegen, zu Beginn des Jahres um 5,3 Prozent. Teilweise ist der starke Zuwachs durch die Schwächephase im Vorjahr begründet, als die Wirtschaft am Bosporus im dritten Quartal 2016 aufgrund der Verunsicherung nach dem gescheiterten Putsch um 0,8 Prozent geschrumpft war. Daher erwartet Ökonom William Jackson vom Analysehaus Capital Economics, dass das extrem hohe Tempo nicht anhalten werde.

Aktuell verbesserten sich sowohl Investitionen und Exporte als auch der private Konsum. Vor allem Industrie, Dienstleistungs- und Baubranche wiesen ein starkes Wachstum aus. Mit höheren Ausgaben, einem Kreditgarantiefonds und neuen Steuerregeln hat die Regierung Erdogan die Konjunktur angekurbelt. Im Gesamtjahr 2017 dürfte nach den Worten von Entwicklungsminister Lutfi Elvan gegenüber dem Sender AHaber die Konjunktur der Türkei im gesamten Jahr 2017 zwischen sechs und sieben Prozent klettern. Dagegen geht die Weltbank bislang von vier Prozent aus.

Einige Marktbeobachter sind der Meinung, dass die türkische Notenbank noch in dieser Woche den Leitzins des Landes anheben wird. Wie Wirtschaftminister Nihat Zeybekci gegenüber dem Sender TRT Haber gesagt hat, rechne er mit einer „unabhängigen, freien, autonomen“ Zinsentscheidung am Donnerstag. Manche Leute würden eine Erhöhung um anderthalb oder sogar drei Prozentpunkte empfehlen. Hierzu Zeybekci: „Ich glaube nicht, dass die gute Absichten haben.” Präsident Recep Tayyip Erdogan hat mehrfach Druck auf die Notenbank ausgeübt, damit diese nicht die Leitzinsen anhebt und sich selbst als „Feind von Zinsen“ bezeichnet.

Die Notenbank des Landes steht jedoch auch von anderer Seite unter Druck: Die türkische Inflationsrate ist aufgrund der schwächelnden Landeswährung Lira aktuell mit fast 13 Prozent so hoch wie seit 14 Jahren nicht mehr. Mithilfe von höheren Zinsen könnte die Währung attraktiver gemacht werden und auf diese Weise dem straken Preisanstieg entgegengewirkt werden. Derzeit müssen für einen Euro 4,508 Lira gezahlt werden. Damit hat keine einzige der nennenswerten Währungen der Welt größere Kursverluste als die Lira im laufenden Jahr verbuchen müssen. Im Hinblick auf den Euro und den US-Dollar beträgt der Kursverfall allein seit September rund 12 Prozent. Auf Sicht eines Jahres nimmt die Abwertung der türkischen Währung noch drastischere Formen an: Die Lira hat gegenüber dem Euro in diesem Zweitraum knapp 22 Prozent verloren – nämlich von rund 3,60 auf 4,50 Lira. Immerhin hat sich die Situation in der allerjüngsten Vergangenheit etwas entspannt.

Die unorthodoxe Sichtweise Recep Tayyip Erdogans macht ihn zum Gegner von Zinserhöhungen und verhindert damit auch Maßnahmen zur Bekämpfung der beinahe schon galoppierenden Teuerung. Und da sich die Notenbank mehr oder weniger zwangsläufig dem anschließt, wird eine den Umständen entsprechende Vorgehensweise verhindert beziehungsweise immer weiter aufgeschoben. Dies könnte sich noch in dieser Woche ändern. Allerdings steht zu befürchten, dass der fällige Zinsschritt niedriger ausfallen wird als dies geboten erscheint.

Längerfristig könnte sich das vorhandene Ungleichgewicht negativ auf Investitionen ausländischer Kapitalgeber und damit auch auf die konjunkturelle Entwicklung des Landes auswirken. Da sich türkische Staatsanleihen derzeit nur mit etwa zwölf Prozent verzinsen, werfen diese unter Berücksichtigung des herrschenden Kaufkraftverlustes keine Rendite mehr ab. Dadurch gerät die Türkei mehr und mehr ins Hintertreffen. Zumal die Anleiherenditen auf internationaler Ebene im Steigen begriffen sind. Und als Folge davon schichten Anleger ihr Kapital aus der Türkei in Anleihen anderer Staaten um.

Über die eigenwillige türkische Geldpolitik hinaus haben auf die Region spezialisierte Ökonomen auch noch weitere Gründe für eine skeptische Einstellung gegenüber der wirtschaftlichen Entwicklung des Landes. Bereits in der Vergangenheit wurde der Wahrheitsgehalt der offiziellen Daten des türkischen Wirtschaftswachstums, die von der amtlichen Statistikbehörde ermittelt wurden, von Volkswirtschaftlern angezweifelt.

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