Politik

Diesel-Fahrverbote in deutschen Städten rücken näher

Noch sperren sich Politiker und Wirtschaftsverbände, doch möglicherweise könnten Gerichte die ersten Diesel-Fahrverbote erzwingen.
01.02.2018 22:53
Lesezeit: 3 min

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Das Verwaltungsgericht München hat den Freistaat Bayern zu einem Zwangsgeld von 4000 Euro verurteilt, weil er kein Diesel-Fahrverbote in München plant. Der bayerische Verwaltungsgerichtshof hatte den Freistaat zur Planung verpflichtet, damit der Stickoxid-Grenzwert bald eingehalten werden könne. Dass eine öffentliche Körperschaft Urteile missachte, sei völlig neu "und auch ein Unding", kritisierte die Vorsitzende Richterin Martina Scherl am Montag.

Den Antrag der Deutschen Umwelthilfe (DUH), Bayerns Umweltministerin Ulrike Scharf (CSU) deshalb in Haft zu nehmen, bis der Freistaat Fahrverbotspläne vorlegt, lehnte die Kammer jedoch ab. Die Luft in München sei seit 2010 viel besser geworden, und eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts in Leipzig über die rechtliche Zulässigkeit von Fahrverboten werde auch erst Ende Februar erwartet.

Aber der Jahresmittelwert für Stickstoffdioxid übersteigt an mehreren Straßenabschnitten in München immer noch den Grenzwert. Um schnell Abhilfe schaffen zu können, hat der Verwaltungsgerichtshof deshalb ein vollzugsfähiges Konzept für Fahrverbote verlangt – jedoch noch keine Fahrverbote, wie die Richterin betonte. Im neuen Luftreinhalteplan sei das aber nicht enthalten. "Mit allgemeinem Blabla" und "so einer halben Larifari-Seite" im Luftreinhalteplan sei es nicht getan, kritisierte sie.

Bis Ende Mai muss der Freistaat nun Diesel-Fahrverbote für bestimmte Straßenabschnitte planen und auch veröffentlichen – andernfalls drohte ihm das Verwaltungsgericht das nächste Zwangsgeld in Höhe von 4000 Euro an. Die Staatsregierung muss diese Zwangsgelder in ihre eigene Kasse einzahlen.

Umweltministerin Scharf sagte nach der Entscheidung: "Pauschale Fahrverbote für Dieselfahrzeuge in Großstädten lehnen wir ab. Das trifft viele Bürger in unverhältnismäßiger Weise und ist in der Lage, den Wirtschaftsstandort Bayern zu gefährden."

Die Vertreter des Freistaats hatten argumentiert, Fahrverbote auf einigen Straßenabschnitten würden den Verkehr nur auf andere Straßen verlagern und seien heute auch gar nicht vollziehbar. Die Vertreter der Stadt München hatten infrage gestellt, ob Gerichte mit der Vorgabe von Fahrverboten gegen den Willen demokratisch gewählter Regierungen nicht gegen die Gewaltenteilung verstießen.

DUH-Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch warf der Staatsregierung vorsätzlichen Rechtsbruch vor. Das zeige, "welchen Einfluss zwischenzeitlich die Dieselkonzerne auf das Regierungshandeln haben".

Umwelthilfe-Anwalt Remo Klinger sagte, den Freistaat mit der Zahlung eines Zwangsgelds von der linken in die rechte Tasche der Staatskasse zu einem Sinneswandel bewegen zu wollen, sei naiv. Bayern sei "bockig" und werde Fahrverbote weiterhin dreist verweigern. Die Richterin betonte, sie halte sich an Recht und Gesetz.

Rückendeckung für Scharf kam von der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft: "Völlig zu Recht sieht die Bayerische Staatsregierung Fahrverbote für Dieselautos nicht als Mittel zur Luftreinhaltung vor", sagte Hauptgeschäftsführer Bertram Brossardt. Diesel-Fahrverbote könnten in München 300.000 Autofahrer treffen. Sie müssten Autos, die beim Kauf den Gesetzen entsprachen, auch nutzen dürfen.

Ein Ministeriumssprecher sagte, die Grenzwerte für Feinstaub und für NO2 im Stundenmittel seien überall in Bayern eingehalten worden. Nur der NO2-Grenzwert im Jahresdurchschnitt sei an fünf Messstationen in Bayern überschritten worden.

Der Fall München ist kein Einzelfall: Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig entscheidet am 22. Februar am Beispiel Düsseldorfs über Fahrverbote für Diesel-Fahrzeuge, um die Schadstoff-Grenzwerte einhalten zu können. Die Entscheidung hat neben privaten Autofahrern auch für Teile der Wirtschaft erhebliche Bedeutung, weil beispielsweise im Handwerk viele Diesel-Fahrzeuge im Einsatz sind.

Der Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, Anton Hofreiter, warf der Bundesregierung eine verantwortungslose Verkehrspolitik vor. Merkel beschere den Kommunen pauschale Fahrverbote durch die Gerichte. "Die Kommunen müssen die Möglichkeit haben, eine Blaue Plakette einzuführen und sie müssen die städtischen Fahrzeugflotten auf emissionsfreie Antriebe umstellen können", forderte Hofreiter. Durch eine blaue Plakette könnte der Zugang zu Innenstädten an Stickoxid-Emissionen der Fahrzeuge gebunden werden.

Die Ministerpräsidenten der Länder fassen angesichts der anhaltenden Feinstaub-Belastung von Innenstädten weitere Maßnahmen gegen Diesel-PKWs ins Auge. Mit der Bundesregierung solle das weitere Vorgehen erörtert werden, kündigte die Vorsitzende der Ministerpräsidenten-Konferenz, Annegret Kramp-Karrenbauer, am Donnerstag in Berlin an. Zuvor hatte das Umweltbundesamt (UBA) bekanntgegeben, dass die Stickoxid-Belastung in vielen deutschen Städten trotz einer leicht rückläufigen Tendenz deutlich zu hoch sei. Der Deutsche Städtetag forderte angesichts drohender Fahrverbote in Innenstädten, gegebenenfalls müsse die Automobilindustrie auch zu kostspieligen Nachrüstungen von Diesel-Kfz bereit sein.

Im für Donnerstag geplanten Gespräch mit Bundeskanzlerin Angela Merkel solle auch überlegt werden, ob die Kommunen einen rechtlichen Rahmen für eigene Maßnahmen gegen die Feinstaub-Belastung erhalten sollten, sagte Kramp-Karrenbauer. Im Namen der Länder forderte sie bessere Informationen über die Umsetzung der bei den sogenannten Diesel-Gipfeln zwischen Bundesregierung und Automobilindustrie verabredeten Maßnahmen. Erst wenn darüber Klarheit herrsche, könne beurteilt werden, ob Software-Updates der Motorsteuerung ausreichten oder weitere Maßnahmen nötig seien.

"Die Städte wollen keine Fahrverbote, aber wir müssen befürchten, dass Gerichte solche Verbote für einzelne Städte anordnen", warnte der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages, Helmut Dedy, in der "Rheinischen Post". "Die Automobilindustrie muss endlich beantworten, was die Software-Updates bringen und wenn das nicht reicht, muss es eine Hardware-Nachrüstung geben."

Nach UBA-Schätzungen ging die Zahl der Kommunen, in denen der zulässige Grenzwert überschritten wurde, im vergangenen Jahr zwar auf 70 von zuvor 90 zurück. Der Grenzwert wurde aber im Jahresmittel immer noch bundesweit in 46 Prozent der Messstationen an Straßen überschritten, in zwei Dritteln sogar deutlich, teilte das UBA mit. "Viele Einwohner sind also weiter zu viel gesundheitsschädlichem Stickstoffdioxid ausgesetzt", sagte UBA-Präsidentin Maria Krautzberger. Schuld seien vor allem Diesel-Autos.

Die vom Diesel-Gipfel im vergangenen Jahr vereinbarten Software-Updates und Umtauschprämien reichten offensichtlich nicht aus, um die Luftqualität in Städten tiefgreifend zu verbessern, sagte Krautzberger. "Wir brauchen dringend die Hardware-Nachrüstung der Autos und von leichten Neufahrzeugen."

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