Politik

EU stoppt Ausbau der Zollunion mit der Türkei

Lesezeit: 6 min
28.06.2018 00:43
Die EU hat sich nach der Wiederwahl des türkischen Präsidenten Erdogan dazu entschieden, Gespräche über den Ausbau der Zollunion mit der Türkei zu stoppen.

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Die Zollunion von EU und Türkei gibt es seit mehr als 20 Jahren. Das Handelsvolumen beider Seiten hat sich seit ihrer Gründung mehr als vervierfacht, berichtet die AFP. Im Zuge des Flüchtlingspakts mit Ankara hatte die EU eigentlich Verhandlungen über eine Ausweitung versprochen. Doch die wurden von den Mitgliedstaaten nach der Wiederwahl von Präsident Recep Tayyip Erdoğan nun begraben, obwohl nach Informationen von Geopolitical Futures die irregulären Ankünfte von Flüchtlingen auf den griechischen Inseln zwischen 2016 und 2017 um 97 Prozent gesunken sind. Aufgrund der Zollunion ist die EU mit Abstand der größte Handelspartner der Türkei. Im vergangenen Jahr exportierten türkische Unternehmen Waren im Wert von 69,8 Milliarden Euro in die Europäische Union. Im Gegenzug führten europäische Firmen Güter für 84,5 Milliarden Euro in die Türkei aus. Das Land ist damit vor Japan der fünftgrößte Exportmarkt der EU.

Die Zollunion war Ende 1995 in Vorbereitung der türkischen Bewerbung um eine EU-Mitgliedschaft in Kraft getreten. Güter können dabei ohne Zölle und Beschränkungen über die Grenzen der Partner geliefert werden. Ausgenommen sind der Bereich Kohle und Stahl und die meisten landwirtschaftlichen Produkte. Die Türkei ist ihrerseits verpflichtet, EU-Standards etwa für Industriegüter anzuerkennen und muss die EU-Handelsvereinbarungen mit anderen Ländern akzeptieren. Nach außen hin gelten einheitliche Zölle von EU und Türkei für die Einfuhr der von der Zollunion erfassten Güter. Die EU-Staats- und Regierungschefs hatten Ankara im Gegenzug für die Zusammenarbeit in der Flüchtlingskrise 2016 Gespräche über die Modernisierung und den Ausbau der Zollunion zugesagt. Die EU-Kommission bewertete darauf eine Ausweitung auf die Bereiche Dienstleistungen, öffentliche Beschaffung und Landwirtschaft grundsätzlich positiv. Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte dann beim EU-Gipfel im Dezember Gespräche über eine Modernisierung bis auf Weiteres ausgeschlossen. In ihren Beschlüssen zu den EU-Beitrittskandidaten zogen die Mitgliedstaaten nun de facto einen Schlussstrich: „Es sind keine weiteren Arbeiten zur Modernisierung der EU-Türkei-Zollunion vorgesehen”, heißt es.

Abwendung vom Westen nicht möglich

In Verbindung mit dieser Thematik wird von europäischen Regierungen der Vorwurf erhoben, dass die Türkei sich vom Westen abwendet. Doch der türkische Geopolitiker Barış Doster hält diesen Vorwurf für falsch. Im Gespräch mit russischen und türkischen Pressevertretern sagte er: „Der Westen will uns regelrecht auf den Arm nehmen. Über Tayyip Erdoğan hängt eine Art Damokles-Schwert, die mit der Aussage ‘Oh mein Gott, ihr entfernt euch vom Westen‘ zusammenhängt. Damit soll Erdoğan und die türkische Regierung dazu gezwungen werden, auf die strikt pro-westliche und pro-amerikanische Linie einzuschwenken. Ansonsten glaubt der Westen noch nicht mal selbst an diese Aussage. Das Verhältnis der Türkei zum Westen, zur USA und zum globalen Kapitalismus war vor der AKP und ist immer noch sehr eng. Nicht nur auf der diplomatischen, sondern auch auf der wirtschaftlichen Ebene ist der wichtigste externe Partner Deutschland. Zweitens ist die Türkei ein Land, das eine Zulieferer-Wirtschaft für den Westen darstellt. Drittens befindet sich die größte türkische Diaspora nicht etwa in Indien, China oder Russland, sondern in Deutschland. Im Ausland leben acht Millionen Türken. Davon leben 5,5 Millionen in Europa. In diesem Zusammenhang gibt es genau wie zu Zeiten des Osmanischen Reichs eine enge kulturelle, intellektuelle, diplomatische und wirtschaftliche Verflechtung zwischen der Türkei und dem Westen. Nach Deutschland sind China und Russland die größten Handelspartner der Türkei. Doch die Handelspartnerschaft zu Russland und China läuft zu ihren Gunsten. Im Übrigen beruht die Partnerschaft mit Russland auf einer energiepolitischen Abhängigkeit. Die Türkei driftet faktisch nicht vom Westen ab, doch der Syrien-Konflikt hat dazu geführt, dass es eine Annäherung zu Russland und dem Iran gegeben hat.”

Indien, China und Russland würden sehr genau wissen, dass die Türkei keine strategische Ausrichtung nach Eurasien vornimmt und auch nicht vornehmen kann.

Türkische Exporte

Aus einem Datensatz des Türkischen Statistikamts (TÜIK) geht hervor, dass die Türkei im vergangenen Jahr Güter im Wert von 15,1 Milliarden Dollar nach Deutschland exportiert hat. Zudem lag der Wert der Exporte nach Großbritannien bei 9,6 Milliarden Dollar, in die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) bei 9,2 Milliarden Dollar, in den Irak bei 9,1 Milliarden Dollar, in die USA bei 8,6 Milliarden Dollar, nach Italien bei 8,5 Milliarden Dollar, nach Frankreich bei 6,6 Milliarden Dollar, nach Spanien bei 6,3 Milliarden Dollar, in die Niederlande bei 3,8 Milliarden Dollar und nach Israel bei 3,4 Milliarden Dollar. Dies sind die zehn wichtigsten Exportländer der Türkei gewesen. Russland rangierte auf dem 17. Platz des türkischen Absatzes. Die Türkei exportierte Güter im Wert von 2,7 Milliarden Dollar. China lag mit 2,9 Milliarden Dollar auf dem 15. Platz.

Im Vergleich zum Vorjahr nahmen die Exporte nach Deutschland um 8,0 Prozent zu, während die Exporte nach Großbritannien um 17,8 Prozent zurückgingen. Die Exporte in die VAE nahmen um 69,9 Prozent, in die USA um 30,3 Prozent, nach Italien um 11,8 Prozent, nach Frankreich um 9,3 Prozent, nach Spanien um 26,3 Prozent, in die Niederlande um 7,7 Prozent, nach China um 26,1 Prozent, nach Russland um 57,8 Prozent und nach Israel um 15,3 Prozent zu, während die Exporte in den Iran um 34,4 Prozent zurückgingen.

Türkische Importe

China rangierte im vergangenen Jahr bei den türkischen Importen mit einem Wert in Höhe von 23,4 Milliarden Dollar auf dem 1. Platz. Darauf folgten Deutschland mit 21,3 Milliarden Dollar, Russland mit 19,5 Milliarden Dollar, die USA mit 11,9 Milliarden Dollar, Italien mit 11,3 Milliarden Dollar, Frankreich mit 8,1 Milliarden Dollar, der Iran mit 7,5 Milliarden Dollar, die Schweiz mit 6,9 Milliarden Dollar, Südkorea mit 6,6 Milliarden Dollar und Großbritannien mit 6,5 Milliarden Dollar. Im Vergleich zum Vorjahr gingen die Importe aus China um 8,1 Prozent und aus Deutschland um 0,8 Prozent zurück. Die Importe aus Russland nahmen um 28,7 Prozent, die Importe aus den USA um 9,9 Prozent, die Importe aus Italien um 10,6 Prozent, die Importe aus Frankreich um 9,6 Prozent, die Importe aus dem Iran um 59,4 Prozent, die Importe aus der Schweiz um 175,7 Prozent, die Importe aus Südkorea um 3,5 Prozent und die Importe aus Großbritannien um 23,1 Prozent zu.

Die türkische Wirtschaftszeitung Dünya Gazetesi berichtet, dass sich die türkischen Exporte im vergangenen Jahr im Vergleich zum Vorjahr um 10,2 Prozent und die Importe um 17,9 Prozent erhöht haben. Die Türkei exportierte Güter im Wert von 157,94 Milliarden Dollar und importierte Güter im Wert von 234,15 Milliarden Dollar. Das Handelsbilanzdefizit erhöhte sich um 37,5 Prozent.

Bei 58 Prozent der Importe wurde der US-amerikanische Dollar als Zahlungseinheit eingesetzt, während 54 Prozent des Exports unter Einsatz des Euros abgewickelt wurde. Dem Blatt zufolge wirkt sich die Nutzung von Fremdwährungen beim Handel derzeit negativ aus, weil die Türkische Lira zum Euro und zum Dollar an Wert verliert. Eine Erholung der Öl-Preise habe sich im vergangenen Jahr ebenfalls negativ ausgewirkt, zumal für den Import von Energieträgern insgesamt 35 Milliarden Dollar ausgegeben wurde.

Automobilindustrie

Eine wichtige Rolle spielt die Türkei für europäische Autobauer. Die von der EU im Jahr 2016 importierten Kraftfahrzeuge stammten hauptsächlich aus der Türkei. Die Türkei hatte einen Anteil von 20 Prozent an den gesamten Kraftfahrzeug-Importen. An zweiter Stelle stand Japan mit 19 Prozent, die USA mit 14 Prozent, Südkorea mit zehn Prozent und China acht Prozent, berichtet Eurostat. Die Türkei exportierte in die EU somit Kraftfahrzeuge im Wert von über 15 Milliarden Euro. Es sei zu beachten, dass sich die Exporte und Importe auf das Land beziehen, in dem das Fahrzeug hergestellt wurde und nicht die Staatsangehörigkeit des Unternehmens.

Eine Sprecherin des Verbands der Automobilindustrie (VDA) sagte den Deutschen Wirtschaftsnachrichten: „Die türkische Automobilindustrie ist zu einem der größten Industriezweige des Landes aufgestiegen. Als Abnehmer der produzierten Fahrzeuge spielt die EU eine große Rolle. Aus der Türkei wurden im Jahr 2016 644.400 Pkw (+22 Prozent) in die EU importiert. Damit ist die Türkei das Land mit den meisten Pkw-Importen in die EU. Bereits seit 2014 nimmt die Türkei diese Position ein. Der Anteil am gesamten Importvolumen beträgt 22 Prozent.”

Auf Nachfrage, was Deutschland genau an Kraftfahrzeugen aus der Türkei importiert, sagte die Sprecherin: „Im Jahr 2016 wurden Waren im Wert vom 3,65 Milliarden Euro aus der Türkei importiert, die der Automobilindustrie zugerechnet werden. Der Gesamtwert neuer Kfz darunter betrug 2016 1,41 Milliarden Euro. Diese Zahl geht gleichermaßen auf importierte Pkw (0,70 Milliarden Euro) und Nfz(0,71 Milliarden Euro) zurück. Der Wert der importierten Kfz ist in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen. 2013 wurden noch Kfz im Wert von nur 0,52 Milliarden Euro importiert, das Importvolumen ist also seit 2013 um 171 Prozent gewachsen. Im ersten Quartal 2017 lagen die wertmäßigen Kfz-Importe deutlich unter dem Niveau von 2016. Nach einem Minus von 25 Prozent wurden im ersten Quartal nur Kfz im Wert von 0,28 Milliarden Euro aus der Türkei importiert. Während die Pkw-Importe noch stiegen (+30 Prozent), lag dies vor allem an dem Einbruch der Nfz-Importe um 50 Prozent.”

Im Jahr 2001 wurden in der Türkei 173.000 Pkw und 95.000 Nutzfahrzeuge (Nfz) produziert. Anschließend gab es bis zum Jahr 2008 (weltweite Finanzkrise) einen stetigen Produktionsanstieg. Trotz der Krise erholte sich die Automobilproduktion in der Türkei relativ schnell, so dass im Jahr 2016 insgesamt 951.000 Pkw und 535.000 Nfz produziert wurden.

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