Es ist einem Bericht der Financial Times zufolge ein Wunschdenken, zu glauben, dass die LNG-Exporte in den USA eine wirtschaftlich lebensfähige und logistisch machbare Alternative sein werden, um die russischen Gaslieferungen von Nord Stream I und II zu ersetzen.
Es gebe zwar zahlreiche LNG-Terminals in Europa. Allerdings gebe es keine innereuropäische Pipeline-Kapazität, um das LNG-Gas von den Küsten zu den Bedarfszentren in ganz Europa zu transportieren. Dem Blatt zufolge gebe es keine zwingende Notwendigkeit für Europa, eine seiner Hauptlieferquellen aus dem Osten abzuschneiden.
US-amerikanische LNG-Produzenten konkurrieren nicht nur mit Russland. Sie konkurrieren mit globalen LNG-Produzenten, darunter Katar, Algerien und Nigeria, die LNG bereits zu wirtschaftlich günstigeren Konditionen nach Europa liefern. Europa sucht nach Versorgungsvielfalt und Sicherheit für seinen Gasbedarf. Dies bedeutet eine Koexistenz verschiedener Lieferungen von Pipeline- und LNG-Gas.
Oilprice.com führt aus, dass Russland nicht nur über ein ausgedehntes Pipelinesystem in Europa verfügt, sondern dieses System in den vergangenen Jahren zusätzlich erweitert hat. US-LNG könne auf dem europäischen Markt nicht konkurrieren. Das Magazin wörtlich: „Obwohl die jüngsten geopolitischen Ereignisse Russlands Ruf als wichtigster Lieferant von Erdgas nach Europa beschädigt haben, sind Moskau und Brüssel weiterhin perfekt positioniert, um auf den Energiemärkten zusammenzuarbeiten. Abgesehen von den politischen Unterschieden haben sich die energiepolitischen Beziehungen zu Russland in den vergangenen Jahren verbessert, wobei 2017 ein Rekordjahr war, in dem insgesamt 193 Milliarden Kubikmeter Gas aus Russland importiert wurden. Pipelines haben sich in jüngster Zeit wichtiger als Geopolitik erwiesen.
Russisches Erdgas wird für durchschnittlich 4,5 US-Dollar pro Million britischer Wärmeeinheiten gehandelt, was weit unter den Preisen für alternative Märkte und LNG-Gaslieferungen liegt.“
Politischer Preis
Deutschland ist allerdings offenbar aus geopolitischen Gründen bereit, sich über die marktwirtschaftlichen Gegebenheiten hinwegzusetzen.
Die Bundesregierung prüft nach eigenen Angaben finanzielle Hilfen für den Bau eines Terminals für Flüssiggas aus den USA. "Es ist uns bekannt, dass private Investoren aktuell den Bau eines solchen LNG Terminals prüfen an verschiedenen Standorten", sagte Regierungssprecher Steffen Seibert am Mittwoch. Die Bundesregierung wiederum prüfe, "welche Finanzierungsoptionen im Rahmen bestehender Bundesprogramme" gegeben sein könnten.
Die Bundesregierung wird nach Angaben von Kanzlerin Angela Merkel die Pläne zum Bau eines Flüssiggas-Terminals in Deutschland beschleunigen. Merkel bekannte sich am Freitag in Warschau am Rande der deutsch-polnischen Regierungskonsultationen zum Ziel einer Diversifizierung der deutschen Energie-Importe. "Deshalb wird Deutschland auch seine Pläne beschleunigen, einen LNG-Terminal in Deutschland zu installieren, um auch auf andere Energiequellen zurückgreifen zu können", sagte sie in einer Pressekonferenz mit Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki. Zuvor hatte der Transatlantik-Koordinator der Bundesregierung, Peter Beyer, im Reuters-TV-Interview angekündigt, dass Deutschland mehr LNG-Gas aus den USA importieren werde.
Bei den deutsch-polnischen Regierungskonsultationen wurde auch das strittige Thema des Baus einer neuen Röhre der Nord-Stream-Pipeline gesprochen, die mehr russisches Gas durch die Ostsee nach Westeuropa bringen soll. Polen lehnt den Bau ebenso wie die USA ab. Merkel sagte, es gebe das gemeinsame Ziel, dass die Ukraine Transitland für russisches Gas bleiben solle, weil dies "auch eine Sicherheitskomponente für die Ukraine" sei.
US-Präsident Donald Trump hat sich auch deshalb gegen Nord Stream 2 ausgesprochen, weil er mehr amerikanisches Flüssiggas nach Europa verkaufen will. US-Regierung und -Kongress haben mehrfach mit Sanktionen gegen deutsche Firmen gedroht, die am Nord-Stream-2-Projekt beteiligt sind. "Auch ohne die aktuelle Entwicklungen im deutsch-amerikanischen Verhältnis waren wir ohnehin interessiert an Flüssiggas aus den Vereinigten Staaten von Amerika", betonte der CDU-Bundestagsabgeordnete Beyer aber. "Deshalb gehe ich davon aus, dass wir LNG aus den Vereinigten Staaten in der mittleren Zukunft importieren werden." Beyer zeigte sich auch offen für eine mögliche Subventionierung eines Flüssiggas-Terminals in Deutschland. "Es könnte einen Sinn machen an der Stelle, den Bau von Terminals zu fördern, wenn sich dies wirtschaftlich rechnet." Aber derzeit sei LNG-Gas im Vergleich zu Pipeline-Gas etwa aus Russland zu teuer.
Beyer kümmert sich als Beauftragter der Bundesregierung um eine Stärkung transatlantischen Beziehungen. Er zeigte sich besorgt, dass die USA zunehmend Druck gegen den Bau der Gaspipeline durch die Ostsee machten. "Wir sehen, dass es eine verschärfte Rhetorik gibt." Er rechne mit einem nächsten Schritt der USA Anfang kommenden Jahres. "Darauf müssen wir uns einstellen." Sowohl Trump als auch der Kongress haben mit Sanktionen gegen Firmen gedroht, die am Bau von Nord Stream 2 beteiligt sind. Die Pipeline soll zusätzliches Gas aus Russland nach Europa bringen. Beyer wies die Kritik zurück, dass die deutsche Unterstützung für Nord Stream 2 ein Fehler sei. Deutschland müsse angesichts zurückgehender Gas-Förderung in der Nordsee nach neuen Bezugsquellen suchen. Es dürfe nicht der Eindruck entstehen, dass es ein "Einknicken vor irgendwelchem Druck aus Washington" gebe.
Der Abgeordnete Oliver Grundmann (CDU) sagte der Nachrichtenagentur AFP, die Äußerungen der Regierung seien bei einem Treffen des Arbeitskreises Küste mit 25 Abgeordneten gefallen. Dieses fand am 11. Oktober im Kanzleramt statt. "Wir werden ein bis zwei Terminals in Deutschland realisieren. Das wird kommen", sagte Grundmann. Es gehe nur noch um das "wann und wie".
US-Präsident Donald Trump hält Deutschland für zu abhängig von russischen Gaslieferungen und wirbt deshalb für Flüssiggas aus den USA. Seibert sagte dazu in Berlin, Gas werde bei der Energieversorgung künftig möglicherweise "noch eine größere Rolle spielen". Gleichwohl treffe nicht die Regierung eine Entscheidung darüber, von wo Gas gekauft werde. "In Deutschland treffen diese Entscheidungen die Kräfte am Markt."
Saudi-Arabien und Russland koalieren
Neuer Preisdurck könnte auch durch eine neue Allianz entstehen: Saudi-Arabien hat angekündigt, 30 Prozent am russischen LNG-Projekt Arctic LNG 2 erwerben zu wollen. Die Investition der Saudis würde Russlands Kapazität, Europa mit LNG zu beliefern, erhöhen. Oilprice.com berichtet: „Arctic LNG 2 wird ein riesiges Projekt auf der Halbinsel Gydan in Nordsibirien mit einer Produktionskapazität von rund 19,8 Millionen Tonnen pro Jahr (mtpa) und damit eines der größeren LNG-Projekte auf der globalen Ebene sein. Eine Flotte von LNG-Tankern der Eisklasse, die die Nordsee-Route Russlands nutzen können, wird LNG-Ladungen für asiatische Märkte liefern, die mehr als 70 Prozent der weltweiten LNG-Nachfrage ausmachen (...) Das Projekt, zusammen mit dem russischen Jamal LNG-Projekt, das vor einigen Monaten in Betrieb genommen wurde, und dem 2009 in Betrieb genommenen Projekt in Sachalin, wird dem russischen Präsidenten Wladimir Putin helfen, das Land zu einem wichtigen LNG-Player zu machen.“
Die LNG-Importkapazität in Europa beträgt 20 Milliarden Kubikfuß pro Tag (bcf/d) und die LNG-Importe im Jahr 2017 lagen bei durchschnittlich 5,1 bcf/d, berichtet das Council on Foreign Relations (CfR). Russische Gaslieferungen machten im Jahr 2017 35 Prozent des gesamten europäischen Gasverbrauchs aus.
US-Kongress kontert mit Gesetzen
Am 11. Oktober 2018 legte der US-Kongress einen Gesetzentwurf vor, der darauf abzielte, die russischen Gaslieferungen in die EU zu reduzieren. Nach Angaben der staatlichen russischen Nachrichtenagentur TASS sieht das Dokument die Bereitstellung von einer Milliarde US-Dollar zur Finanzierung von Projekten zur Nutzung neuer Energiequellen in der EU sowie der Bereitstellung diplomatischer und technischer Hilfe für die Europäische Union zwischen 2019 und 2023 vor.
Das Gesetz sieht Maßnahmen vor, um private US-Investitionen in strategisch wichtige Energieprojekte in Mittel- und Osteuropa zu tätigen.
Außerdem wird vorgeschlagen, jährlich fünf Millionen US-Dollar für die Projektbewertung und technische Seminare für die Projektunterstützung in frühen Phasen bereitzustellen. Dem US-Außenministerium wird empfohlen, die politische und diplomatische Unterstützung bestimmter Länder bei der Entwicklung ihrer Energiemärkte zu verstärken.
Am 17. Oktober sagte Russlands stellvertretender Energieminister Anatolij Janowskij, dass Russland das einzige Land ist, das Europa große Gasmengen anbieten kann, die günstig sind. Die Voraussetzungen für die Neuaufstellung des europäischen Gasmarktes sind 2009 mit der Verabschiedung des dritten Energiepakets der EU geschaffen worden, demzufolge die Energiezufuhr diversifiziert werden soll. Bei einem Treffen mit EU-Staats- und Regierungschefs im März 2014 forderte der damalige US-Präsident Barack Obama Maßnahmen, die die Energieabhängigkeit der EU von Russland verringern sollen. Derselbe Wunsch steht im Zentrum der Ablehnung des Nord Stream 2-Projekts durch Washington.
Im vergangenen Jahr verabschiedeten die USA das Gesetz „Countering America's Adversaries Through Sanctions Act“ (CAATSA), das es Washington erlaubt, Sanktionen gegen Unternehmen zu verhängen, die am Bau einer neuen Gaspipeline (Nord Stream II, Anm. d. Red.) beteiligt sind. Im Sommer 2017 enthüllte Präsident Donald Trump einen ehrgeizigen Plan, die USA zum weltweit führenden Gaslieferanten zu machen.
EU muss Handel auf Euro umstellen
Wenn die Europäische Union eine echte Energieunabhängigkeit durchsetzen will, wird sie unter anderem nach Möglichkeiten suchen müssen, den Anteil des internationalen Warenhandels, der in US-Dollar abgewickelt wird, zu reduzieren. Im September 2018 bezeichnete der Präsident der Europäischen Kommission, Jean-Claude Juncker, die Situation, bei der 80 Prozent der Energieimporte der EU (300 Milliarden Euro pro Jahr) in Dollar abgewickelt werden, als „absurd“, meldet der englischsprachige Dienst von Reuters.
Der deutsche Außenminister Heiko Maas hatte einen Vorschlag für ein eigenes internationales Zahlungssystem für die EU vorgelegt. Um dies zu erreichen, benötigen die europäischen Finanzbehörden eine stärkere finanzielle Zentralisierung der EU und einen politischen Partner für die Europäische Zentralbank in Form eines gesamteuropäischen Finanzministeriums, berichtet Bloomberg.
Allerdings befindet sich die Europäische Union in einer Phase, in der diverse nationale Regierungen in Europa, vor allem die südeuropäischen Länder, sich gegen eine weitere Zentralisierung aussprechen. Die Wahrscheinlichkeit, ein gesamteuropäisches Finanzministerium zu schaffen, ist gering.