Technologie

Schach per Computer: Zur Perfektion fehlen einige tausend Terabyte

Am kommenden Freitag beginnt in London der Kampf um die Schachweltmeisterschaft. Computer spielen dabei eine entscheidende Rolle.
03.11.2018 21:59
Lesezeit: 2 min

Am Freitag beginnt in London das Duell um die Schachweltmeisterschaft zwischen Titelverteidiger Magnus Carlsen (Norwegen) und seinem Herausforderer Fabiano Caruana (USA). Beide Spieler setzen auf die Hilfe von Computern. Mit deren Unterstützung haben sie lange Eröffnungsvarianten ausgetüftelt, auf die ein Mensch allein niemals kommen würde. In jeder ihrer insgesamt zwölf Partien werden die beiden Spieler im Schnitt die ersten zehn Züge (jeweils ein Zug von Weiß und von Schwarz werden kumuliert als ein Zug bezeichnet) aus dem Gedächtnis spielen. Erst ab diesem Punkt werden sie anfangen, selbständig zu denken.

Auch wenn sich die beiden stärksten Spieler der Welt gegenübersitzen: Gegen einen Computer hätten die beiden nicht den Hauch einer Chance. Sie könnten in der einen oder anderen Partie ein Unentschieden erreichen, niemals jedoch einen Sieg. Einen Wettkampf würden die Menschen haushoch verlieren.

Pro Sekunde berechnen Schachprogramme bis zu 200 Millionen Züge – viel mehr als Carlsen oder Caruana in ihrem ganzen Leben. Die Rechner wenden dabei die Brute Force (Brutale Gewalt) Methode an: Sie kalkulieren jeden möglichen Zug, wobei der Großteil der Berechnungen vollkommen überflüssig ist, weil die Computer selbst die sinnlosesten Varianten noch einer Prüfung unterziehen. Menschliche Schachspieler setzen dagegen auf ihre Erfahrung: Sie berechnen nur Züge, die ihnen sinnvoll erscheinen. Diese äußerst ökonomische Methode erlaubt es den Spitzenspielern, ein ausgesprochen hohes Niveau zu erreichen – doch gegen die brutale Rechenleistung der Computer ist die menschliche Intuition letztendlich chancenlos.

Allerdings sind auch die Elektronenhirne weit davon entfernt, perfekt zu spielen. Gäbe es einen Computer, der alle theoretisch möglichen Züge gespeichert hätte, würde er die heutigen Schachprogramme vernichtend schlagen. Ob so eine Datenbank jemals existieren wird, ist unter Fachleuten umstritten. Arno Nickel, Berliner Schachcomputer-Experte und Weltklasse-Fernschachgroßmeister – Fernschachspieler sitzen sich nicht am Brett gegenüber, sondern schicken sich die Züge nach tagelanger Analyse per Email zu – sagte den Deutschen Wirtschaftsnachrichten: „Die Vorstellung, Computer seien auf dem besten Wege, das Schachspiel zu lösen, ist falsch. Die von Mathematikern geschätzte Zahl theoretisch möglicher Partieverläufe ist mit 10 hoch 120 so unvorstellbar hoch, dass ihrer Berechenbarkeit kosmologische Grenzen gesetzt sind. Selbst ein seit Beginn des Universums tätiger Superrechner, der alle verfügbare Energie genutzt hätte, wäre heute noch lange nicht fertig.“

Rainer Knaak, Schachgroßmeister und Mitarbeiter des weltweit führenden Schach-Software-Unternehmens „Chessbase“, schätzt die Chancen, dass ein Computer eines Tages alle möglichen Spielvarianten errechnet, höher ein. Im Gespräch mit den Deutschen Wirtschaftsnachrichten sagte er: „Die in Riesenschritten voranschreitende Computertechnik könnte es möglich machen. Ich denke da zum Beispiel an die Künstliche Intelligenz. Unsere Enkel werden diesen Tag allerdings nicht erleben.“

Immerhin haben es russische Programme schon geschafft, in jahrelanger Rechenarbeit alle theoretisch möglichen Spielstellungen mit bis zu sieben Figuren zu kalkulieren (insgesamt gibt es 32 Figuren). Die entsprechende Datenbank befindet sich in der Lomonossow-Universität in Moskau. Sie erfordert einen Speicherplatz von 140 Terabyte (ein Terabyte sind 1.000 Gigabyte). Derzeit arbeiten die russischen Computer an den Stellungen mit acht Figuren – doch bis sie die alle errechnet haben, werden beim derzeitigen Stand der Technik Jahre, vielleicht Jahrzehnte vergehen. Arno Nickel: „Die komplette 8-Steiner-Datenbank erfordert 10.000 Terabyte Speicherplatz und einen Arbeitsspeicher von 50 Terabyte, um die Berechnungen durchzuführen. Vermutlich wären dazu die größten Computeranlagen der Welt imstande, doch eine solche Ressourcenverschwendung käme wohl niemand, der dies finanzieren könnte, in den Sinn.“

Der Präsident des Deutschen Schachbundes, Ullrich Krause, studierter Mathematiker und in der IT tätig, sagte den Deutschen Wirtschaftsnachrichten: „Die Acht-Steine-Datenbank wird natürlich realisiert werden und vermutlich wird dies viel schneller geschehen, als es die meisten Experten erwarten. Von acht Steinen zu 32 Steinen ist es allerdings ein sehr weiter Weg, weil die Anzahl der Möglichkeiten mit jeder zusätzlichen Figur exponentiell zunimmt. Vermutlich wird es irgendwann auch die 32-Steine-Datenbank geben, wodurch das Schachspiel dann theoretisch gelöst wäre, aber das werden wir mit Sicherheit nicht mehr erleben. Schach wird noch für sehr lange Zeit ein für Menschen und Computer nicht lösbares Rätsel sein.“

Weitere Meldungen aus dem Tech-Report der DWN finden Sie hier.

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