Die neuerlichen Ausschreitungen durch die „Gelben Westen“ am Wochenende in Frankreich haben eine europäische Dimension. An dieser Tatsache kommen die Regierungen der EU-Staaten nicht vorbei. Und so werden beim EU-Gipfel am kommenden Donnerstag unweigerlich die Konzepte einer „Stärkung“ der Union in den Vordergrund rücken: Der von der EU-Kommission und dem angeschlagenen, französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron geforderte „europäische Finanzminister“ wird in greifbare Nähe rücken. Ebenso die Schaffung eines „Europäischen Währungsfonds“. Beide Maßnahmen werden seit Monaten als notwendige Beiträge zur Stabilisierung des Euro und des europäischen Finanzmarkts angepriesen. Das genaue Gegenteil ist der Fall: Die Konzepte für die beiden Projekte sind nur dazu angetan, den Staaten weitere Schulden zu ermöglichen und die Kosten von Bankenpleiten zu finanzieren – kurzum, den Euro zu schwächen.
Der europäische Finanzminister als Mister Allmacht in Europa
Ein europäischer Finanzminister wäre eine überzeugende und wertvolle Position, die endlich für eine koordinierte Wirtschafts- und Finanzpolitik der 28, künftig 27 EU-Staaten sorgen könnte. Was meint allerdings Macron, wenn er einen europäischen Finanzminister will? Und was meint EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker bei der gleichen Forderung?
- Macron möchte, dass ein europäischer Finanzminister im Namen der EU oder im Namen der 19 Euro-Staaten Anleihen auflegt und die so aufgebrachten Mittel an die Staaten weitergibt. Für die Staaten und insbesondere für das hoch verschuldete Frankreich würde sich der Vorteil ergeben, dass nicht mehr das eigene Land, sondern die Staatengemeinschaft als Schuldner auftritt. Auch würde die Staatengemeinschaft haften und den Käufern der Anleihen eine höhere Sicherheit bieten. Dass diese Idee bei finanzstärkeren Staaten wie Deutschland keine Begeisterung auslöst, muss nicht näher betont werden.
- Die Vorstellungen von Juncker und der Kommission gehen viel weiter. Der europäische Finanzminister wäre gleichsam der Mister Allmacht in Europa:
- Der europäische Finanzminister würde im Rat der Finanzminister der Mitgliedstaaten den ständigen Vorsitz führen.
- Er wäre außerdem Vizepräsident der EU-Kommission.
- Und Chef des zu gründenden „Europäischen Währungsfonds“.
- Beide Konzepte würden jedenfalls zu einer Stärkung der Kommission und einer Schwächung der Mitgliedstaaten führen. Diese Perspektive muss die Vertreter nationalistischer Tendenzen in den Ländern auf den Plan rufen, die allerdings durch die großzügigen Geldvergabe-Möglichkeiten des geplanten Währungsfonds überzeugt werden könnten.
- Die Stärkung der EU-Kommission auf dem Weg zu einer europäischen Regierung wäre angesichts der Desintegrationstendenzen in der EU durchaus überlegenswert. Ein Finanzminister aber, der gleichzeitig Chef eines Währungsfonds wäre, bedeutet von vornherein, dass der Fonds nicht unabhängig agieren kann und politische Wünsche erfüllen muss.
Aus dem ESM soll der Europäische Währungsfonds werden
Geplant ist, den „Europäischen Währungsfonds“, kurz EWF, aus dem bestehenden ESM, dem „Europäischen Stabilitätsmechanismus“ zu entwickeln. Der ESM ist derzeit ein in Luxemburg angesiedelter, nicht der EU-Kommission unterstehender Fonds, der Kredite an Staaten in Krisensituationen vergibt. In der Vergangenheit wurden Griechenland, Irland, Spanien, Portugal, Zypern mit insgesamt 295 Mrd. Euro finanziert. Erforderliche Mittel werden auf dem Markt aufgenommen, das Finanzierungsvolumen des Fonds umfasst 500 Mrd. Euro.
Das von den Euro-Staaten garantierte Grundkapital des ESM beträgt 704,8 Mrd. Euro, wovon 80,6 Mrd. Euro eingezahlt sind und an dieser Struktur soll sich auch durch die Umwandlung des ESM in den EWF nichts ändern.
Die bisherigen Aktionen des ESM waren eingebettet in die Rettungsaktionen nach den Finanzkrisen, die stets von strengen, oft problematischen Auflagen begleitet waren. Bisher spielte der Internationale Währungsfonds, IWF, eine entscheidende Rolle, doch zieht sich diese Institution stärker zurück. Man zweifelt immer stärker an der Fähigkeit der Schuldnerstaaten, die Kredite zurückzuzahlen. Auch die Europäische Zentralbank EZB, die in den vergangenen Jahren an die 2000 Milliarden Staatsanleihen übernommen hat, steigt auf die Bremse.
Somit fühlt sich die Europäische Kommission gefordert, selbst eine Einrichtung zu schaffen, die bei Schwierigkeiten die Finanzierung der EU-Staaten absichert und darüber hinaus auch im Bankenbereich aktiv wird. Und diese Aufgaben soll der aus dem ESM entstehende EWF übernehmen. Zum Unterschied vom ESM wäre der EWF eine Institution der EU-Kommission und müsste auf das EU-Parlament Rücksicht nehmen. Nachdem aber die Euro-Staaten weiterhin die Träger sein sollen, bliebe auch die Kompetenz der nationalen Regierungen und Parlamente bestehen.
Lockere Regeln bei der Mittelvergabe an Staaten
Im Mittelpunkt des Konzepts steht nicht nur der Umstand, dass ein Politiker und Funktionär der EU-Kommission Chef des EWF wäre, sondern dass auch die Regeln für die Mittelvergabe geändert werden sollen. Derzeit kann der ESM nur Kredite und insbesondere kurzfristige Liquiditätshilfen vergeben, wenn drei Bedingungen erfüllt sind:
- wenn die Stabilität der Euro-Zone gefährdet ist,
- ein Land insolvent ist und wenn
- das kreditnehmende Land strenge Sanierungsauflagen erfüllt.
Beim künftigen Europäischen Währungsfonds sollen die Länder leichter zu Geld kommen. Als Bedingung genügt,
- dass die Stabilität der Euro-Zone
- oder die Finanzstabilität eines Landes gefährdet ist.
- Beschlüsse könnte der EWF im Krisenfall mit 85 Prozent der Stimmen beschließen, die bisher notwendigen 100 Prozent wären nur mehr erforderlich, wenn die Mitgliedstaaten mehr Kapital einzahlen sollen.
- Der EWF soll aber nicht nur im Krisenfall aktiv werden, sondern auch durch Finanzierungen die Umsetzung von Reformen in den Mitgliedstaaten erleichtern.
- Länder, die dem Euro beitreten wollen, können zur Finanzierung der hierfür erforderlichen Maßnahmen ebenfalls Kredite vom EWF bekommen.
Die Bezeichnung „Währungsfonds“ erscheint unter diesen Prämissen problematisch. Ein Währungsfonds hat die Aufgabe verschiedene Währungen zu koordinieren. Nachdem hier der Euro dominiert und viele andere EU-Währungen sich am Euro orientieren, ist die primäre Aufgabe eines Währungsfonds kaum gegeben. Die zweite Aufgabe wäre zu verhindern, dass die Staaten mit einer übermäßigen Verschuldung die Stabilität gefährden. Die geschilderte Konstruktion würde aber den EWF nicht in die Lage versetzen, diese Rolle wahrzunehmen. Der Fonds würde vielmehr den Staaten die Möglichkeit eröffnen, sich zusätzlich zu verschulden.
Die EU-Kommission sieht den EWF in der geschilderten Form als Krisenfeuerwehr und Reformtreiber. Für die Stabilität würde die Kommission selbst durch die Kontrolle der Staatsbudgets sorgen. Allerdings muss man zur Kenntnis nehmen, dass trotz der Ermahnungen und Drohungen und Auseinandersetzungen die Verschuldung der Euro-Staaten nicht den geforderten 60 Prozent des BIP entsprechen, sondern 87 Prozent. Das Zusammenwirken der nicht erfolgreichen EU-Kommission mit dem von vornherein nicht mit strengen Auflagen agierenden EWF kann kaum als Beitrag zur Stärkung des Vertrauens in den Euro oder in die EU gewertet werden.
Der EWF als Letztsicherung für die Verhinderung eines Banken-Runs
Der geplante Europäische Währungsfonds soll außerdem die „Bankenunion“ absichern, indem er als Letztsicherung des Banken-Abwicklungsfonds – Single Resolution Fund, SFR -agiert. Der Abwicklungsmechanismus wird in Gang gesetzt, wenn eine Bank als unrettbar eingestuft und folglich abgewickelt wird. Da die verfügbaren Mittel des betroffenen Instituts in der Regel nicht ausreichen, um eine geregelte Liquidierung zu sichern, sind zusätzliche Gelder erfolgreich. Angepeilt ist, dass der Bankenapparat den Abwicklungsfonds bis 2024 mit 55 Mrd. Euro dotiert, um bei Abwicklungen liquide zu sein. Da dieser Betrag in Relation zu den Risiken klein ist, soll der EWF als so genannter „back stop“ fungieren und für den Abwicklungsmechanismus eine Kreditlinie bereithalten, die innerhalb von Stunden genützt werden kann, um einen Bankenrun zu verhindern.
Aus dieser Konstruktion ergibt sich aber, dass der EWF zu einer Bankenrettungsstelle wird, obwohl das genau vermieden werden soll. Der EWF vergibt die Mittel an den Abwicklungsfonds, der die Mittel an die marode Bank weiterreicht. In der Praxis beschleunigen sich Bankenkrisen rasch und somit ist bei Ausbruch einer Krise von einer Abwicklung nicht die Rede. Die Bank muss prompt liquide gehalten werden, damit nicht die Einleger die Filialen stürmen. So werden der Abwicklungsfonds und indirekt der EWF zu Partnern der Bank. Traditionell sind derartige Maßnahmen von der Zentralbank zu ergreifen. Nach dem Konzept der EU-Kommission wäre die EZB nicht gefordert, sondern der künftige EWF.
Die so bereit gestellten Mittel sollten von der Einlagensicherungssystemen der einzelnen Länder oder - sollte dieses zustande kommen – vom geplanten europäischen Einlagensicherungssystem zurückgezahlt werden. Bei einer größeren Bankenkrise ist allerdings diese Rückzahlung gefährdet und so bliebe die Forderung beim EWF offen. Folglich wären letztlich die Träger des EWF betroffen, also die haftenden Euro-Staaten.
Eine weitere Geldbeschaffungsmaschine schafft keine Lösung
Die Ausschreitungen in Frankreich zeigen deutlich, dass die ständigen Versuche durch immer neue Schulden die Probleme zu kaschieren, zum Scheitern verurteilt sind. Die falsche Politik der Staaten ist mit den Schulden allein nicht zu finanzieren, es müssen trotzdem enorm hohe Steuern eingehoben werden, wobei der Druck in Frankreich bei einer Staatsquote von 52 Prozent besonders groß ist. Die extreme Belastung der Bevölkerung, gekoppelt mit einer überbordenden Bürokratie, führt zur Explosion. 10 Prozent Arbeitslosigkeit und ein hohes Handlungsbilanzdefizit von über 60 Mrd. Euro im Jahr bei 2300 Milliarden Staatsschulden zeigen Frankreichs tatsächliche Probleme. In der übrigen EU kann sich niemand zurücklehnen und meinen, die „Gelben Westen“ seien nur ein französisches Problem. Mehr oder weniger sind die gleichen Probleme überall anzutreffen und diese können nicht mit der Schaffung einer neuen Geldbeschaffungsmaschinerie namens EWF gelöst werden.
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Ronald Barazon war viele Jahre Chefredakteur der Salzburger Nachrichten. Er ist einer der angesehensten Wirtschaftsjournalisten in Europa und heute Chefredakteur der Zeitschrift „Der Volkswirt“ sowie Moderator beim ORF.