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Volkswagen: Elektro-Offensive wird tausende Arbeitsplätze kosten

Volkswagen kündigt massive Investitionen in die Elektromobilität an. Der strategische Schwenk ist aus mehreren Gründen riskant und wird tausende Arbeitsplätze kosten.
12.03.2019 17:18
Lesezeit: 4 min

Volkswagen beschleunigt seinen Umstieg in die Elektromobilität - und nimmt dafür auch neuen Streit mit dem mächtigen Betriebsrat in Kauf. Vorstandschef Herbert Diess kündigte am Dienstag bei der Vorstellung der Jahresbilanz in Wolfsburg an, der Konzern wolle binnen zehn Jahren noch mehr E-Autos bauen, als bisher schon geplant, insgesamt rund 22 Millionen Fahrzeuge. Bis 2028 sollen fast 70 neue E-Modelle auf den Markt kommen, berichtet Reuters.

Das könnte allerdings auch mehr Arbeitsplätze kosten als zuletzt veranschlagt. Zwar verdient VW trotz der selbstverschuldeten Dieselkrise noch immer Milliarden. Aber die Entwicklungskosten für E-Autos sind hoch, zugleich können diese mit weniger Aufwand hergestellt werden - und damit auch weniger Mitarbeitern. "Es wird schwer, dass nur mit Fluktuation und Altersteilzeit zu schaffen", räumte Diess ein.

Bisher baut Volkswagen Arbeitsplätze überwiegend dadurch ab, dass ältere Arbeitnehmer früher in den Ruhestand geschickt werden. Auf dieser Grundlage hatten Betriebsrat und Management im Rahmen des sogenannten "Zukunftspaktes" vor zwei Jahren den Abbau von netto 14.000 Stellen bis 2020 in Deutschland vereinbart. Hinzu kommen weitere gut 7.000 Arbeitsplätze, die in den nächsten Jahren durch den Umbau von Hannover und Emden zu Elektrostandorten wegfallen sollen. Bis zu 7.000 Stellen könnten zudem in der Verwaltung gestrichen werden. Darüber will VW mit der Arbeitnehmervertretung verhandeln.

Diess sagte, der Plan, die Kosten zu senken und die Produktivität zu steigern, sei im vergangenen Jahr nicht aufgegangen. Finanzvorstand Frank Witter ergänzte, die Marke VW müsse über die nächsten Schritte nach dem Zukunftspakt nachdenken. Auch bei Audi stünden schwierige Gespräche mit der Arbeitnehmervertretung über Kostensenkungen an. 

Erschwerend kommt hinzu, dass am Konjunkturhimmel dunkle Wolken aufziehen, die VW - wie anderen Autobauern auch - im laufenden Jahr zu schaffen machen. So ist der Autoabsatz im extrem wichtigen Markt China seit Monaten rückläufig. Zu Jahresbeginn gab es dort den ersten Rückgang auf Jahressicht seit Jahrzehnten. Gleichwohl peilt Volkswagen auch in diesem Jahr ein Umsatzplus von bis zu fünf Prozent und eine operative Rendite zwischen 6,5 und 7,5 Prozent vor Sondereinflüssen an. 2018 waren es 7,3 Prozent.

Entlassungen will das Management dadurch vermeiden, dass die Zahl der Elektroautos möglichst rasch hochgeschraubt wird. "Je erfolgreicher wir als Unternehmen mit der E-Mobilität sind, desto sicherer sind die Arbeitsplätze auf lange Sicht", behauptet Diess. Zur Wahrheit gehöre aber auch, dass sich ein E-Auto mit etwa 30 Prozent weniger Arbeitsaufwand herstellen lasse als ein Verbrenner.

Dem Betriebsrat geht das Ganze jedoch zu ungeplant und chaotisch voran. Er wirft Diess vor, die Mitarbeiter auf dem Weg in die Elektromobilität und Digitalisierung nicht mitzunehmen. Einem sozialverträglichen Personalabbau habe sich der Betriebsrat in der Vergangenheit nie in den Weg gestellt, betonte ein Sprecher. Dieser müsse jedoch mit Augenmaß betrieben werden. Volkswagen dürfe sich zudem nicht von der im Tarifvertrag vereinbarten Zusage von 1.400 Ausbildungsplätzen pro Jahr verabschieden.

Um der Elektromobilität zum Durchbruch zu verhelfen, rief Diess zum Schulterschluss von Automobilindustrie und Politik auf. "Technologieoffenheit ist jetzt die falsche Parole und führt nur dazu, den Systemwandel weiter in die Zukunft zu verlegen." Es gelte, die gesellschaftlichen Kräfte zu bündeln, um die kritische Masse zu schaffen. Die Politik rief Diess auf, für die nötige Infrastruktur zu sorgen und die Energiewende voranzutreiben. "Kohle- und CO2-freier Strom ist ein Muss."

Die Strategie von VW ist sehr riskant. Bis heute gibt es trotz staatlicher Fördergelder keine nennenswerte Nachfrage nach Elektroautos in Deutschland. Zudem würde ein massiver Ausbau der Elektromobilität zu Unsicherheiten bei der Stromversorgung und einer verstärkten Abhängigkeit Deutschlands von ausländischen Stromimporten führen, weil sich das Land gerade selbst der beiden zuverlässigen Stromquellen Nuklearenergie und Kohlekraft entledigt hat und in Zukunft vermehrt auf regenerative aber unzuverlässige Energiequellen wie Windkraft und Solarenergie angewiesen sein wird.

Seinen Elektrobaukasten MEB, auf dem nach dem ersten E-Auto mit dem Namen ID ab Ende dieses Jahres immer mehr E-Autos stehen sollen, will Volkswagen zu einem Standard in der Branche machen, der auch von anderen Herstellern genutzt werden soll. Mit dem US-Autobauer Ford verhandeln die Wolfsburger bereits über eine Lizenzierung des MEB. Im Gegenzug könnte VW seine Aktivitäten bei Roboterautos mit denen von Ford zusammenlegen. Diess bot Ford zudem an, in Europa freie Kapazitäten für den Bau von E-Autos zu nutzen. So will Volkswagen Größenvorteile nutzen, um batteriegetriebene Fahrzeuge zu günstigen Preisen anbieten zu können. Und nur so kann nach Meinung von Experten das Ziel erreicht werden, in einigen Jahren einen Elektro-VW zum Preis von unter 20.000 Euro auf den Markt zu bringen.

Den Umschwung lässt sich der Konzern einiges kosten: Bis 2023 fließen mehr als 30 Milliarden Euro in die Elektromobilität. Einschließlich Ausgaben für die Digitalisierung, die Entwicklung neuer Mobilitätsdienste und selbstfahrende Autos sind es sogar knapp 44 Milliarden Euro. Der Anteil der Elektroautos an der Flotte soll bis 2030 in Europa und China - dem größten Markt von Volkswagen - auf mindestens 40 Prozent steigen. Um die Elektro-Offensive abzusichern, hat der weltgrößte Autobauer Vereinbarungen mit den führenden Batteriezellen-Lieferanten LG Chem, SKI, CATL und Samsung getroffen. Darüber hinaus prüft VW, sich an einer Batteriezellenfertigung in Europa zu beteiligen oder eigene Kapazitäten aufzubauen.

Volkswagen rechnet wegen der vielen Diesel-Klagen von Autokäufern und Anlegern noch mit erheblichen Belastungen. Die Eventualverbindlichkeiten im Zusammenhang mit dem Abgasskandal beliefen sich 2019 auf 5,4 Milliarden Euro, gut eine Milliarde Euro mehr als im Vorjahr, wie aus dem am Dienstag veröffentlichten Geschäftsbericht hervorging. Der größte Teil dieser Summe entfalle auf die Klagen von Aktionären und Autokäufern auf Schadenersatz, erklärte Finanzchef Frank Witter in Wolfsburg. Es sei nicht auszuschließen, dass die Verbindlichkeiten in den kommenden Jahren weiter steigen werde.

Bundesweit ist Volkswagen mit Tausenden Klagen von Dieselhaltern konfrontiert. Einer Musterfestellungsklage vor dem Oberlandesgericht Braunschweig schlossen sich mehr als 400.000 Besitzer von Dieselautos mit manipulierter Abgassteuerung an. Schon begonnen hat 2018 in Braunschweig die Verhandlung über die Anleger-Musterklage der Fondsgesellschaft Deka Investment wegen erlittener Kursverluste. Dahinter stehen fast 2000 ähnlich gelagerte Fälle, die Summe der Forderungen beläuft sich auf rund neun Milliarden Euro. Die Wiedergutmachung des Dieselbetrugs, der im Herbst 2015 in den USA aufgeflogen war, hat Volkswagen bisher mehr als 28 Milliarden Euro gekostet.

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