Die Elektro-Mobilität revolutioniert nicht nur die Automobil-Wirtschaft - sie verändert auch die Luftfahrt, und zwar von Grund auf. Im Interview mit den Deutschen Wirtschaftsnachrichten verdeutlicht Luftfahrt-Ingenieur Prof. Rolf Henke, Vorstands-Mitglied des "Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt" (DLR), welch disruptive Kraft der neuen Technologie innewohnt.
Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Die Elektromobilität ist schon seit längerem ein# ganz wichtiges Thema, vor allem in Zusammenhang mit dem Automobil. Mittlerweile ist die alternative Antriebsart jedoch auch in der Luftfahrt brandaktuell.
Rolf Henke: Das stimmt, sie spielt für die angewandte wissenschaftliche Forschung sowie die F+E-Abteilungen der Flugzeug-Hersteller eine immer wichtigere Rolle. Wobei sich Forscher und Flugzeugbauer schon seit geraumer Zeit mit der Technologie befassen. Das DLR hat bereits im Jahr 2009 einen selbst startenden und landenden Motorsegler mit E-Antrieb entwickelt. Und in der Privat-Fliegerei hat die Elektromobilität bereits Einzug gehalten - einige zwei- und viersitzige Prototypen verfügen über einen Elektroantrieb.
Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Dann sind als Nächstes also die Großflugzeuge an der Reihe. Sind wir bald alle im Elektro-Flieger unterwegs?
Rolf Henke: Nein, so bald sicher noch nicht. Ich gehe aber davon aus, dass in rund zehn Jahren der erste elektrobetriebene 19-Sitzer betriebsbereit sein könnte. Wir am DLR arbeiten sehr intensiv an einem solchen Modell, dem „Electric Flight Demonstrator“. Fünf Jahre wird die Entwicklung dauern, weitere fünf Jahre die Konstruktion – wenn sich denn ein Hersteller findet. Ob der Flieger also tatsächlich auch in Serie gebaut wird, ist eine andere Sache; technische Möglichkeit und praktische Umsetzung sind zwei verschiedene Paar Schuhe. So müssen sich Bau und der anschließende Betrieb ja auch in kaufmännischer Hinsicht rentieren.
An dieser Stelle möchte ich noch darauf hinweisen: Ein reines Elektroflugzeug wird dieser 19-Sitzer nicht sein.
Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Sondern?
Rolf Henke: Er wird von einem Hybrid-Antriebsstrang angetrieben werden. Derzeit existiert keine E-Batterie, die über ausreichende Leistung und genügend Kapazität sowie ein so geringes Gewicht verfügt, um für den Flugbetrieb geeignet zu sein. Und das wird mit ziemlicher Sicherheit auch für die beiden nächsten Batterie-Generationen noch gelten.
Das heißt, die Batterie des ersten E-Flugzeugs wird entweder durch eine Brennstoffzelle oder eine Gasturbine unterstützt werden. Was die Gasturbine angeht, existieren verschiedene Varianten: Eine reine Gasturbine, eine Gasturbine mit Wasserstoffverbrennung oder eine, die einen alternativen Kraftstoff nutzt. Sie sehen: Es existieren unterschiedliche Konzepte; welches sich letztendlich durchsetzt, wird die Zukunft zeigen.
Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Die Entwicklung einer neuen Technologie ist mit Aufwand und Kosten verbunden. Was sind eigentlich die Vorteile eines E- beziehungsweise Hybrid-Antriebs gegenüber einem konventionellen Flugzeugmotor, der mit Kerosin angetrieben wird?
Rolf Henke: Da sehen wir eine Reihe von Potentialen. Zunächst einmal könnte die neue Antriebsart um ein Vielfaches umweltfreundlicher sein. Derzeit verbraucht die internationale Luftfahrt pro Tag mehr als eine Milliarde Liter Kerosin mit steigender Tendenz, denn die Zahl der Flugpassagiere wird sich in den nächsten Jahren enorm erhöhen. Dabei ist zu bedenken, das Kerosin aus Öl hergestellt wird. Ein endlicher Rohstoff - irgendwann steht uns dieser nicht mehr zur Verfügung.
Schließlich ist da noch die Frage der Lärmreduzierung. Wir gehen davon aus, dass für die Passagiere das Fliegen leiser wird. Aber die Antwort auf die wichtigere Frage, nämlich ob sich für die Menschen am Boden in punkto Geräuschkulisse etwas ändert, ist noch offen - das müssen wir noch erforschen.
Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Bringt die neue Technologie auch Nachteile mit sich?
Rolf Henke: Tatsache ist, dass es sich beim heutigen Flugverkehr um ein hochoptimiertes System handelt, basierend auf Flugzeugen, die aufgrund der vorhandenen Gasturbinen in etwa elf Kilometer Höhe mit 85 Prozent der Schallgeschwindigkeit unterwegs sind - alle Vorgänge greifen ineinander über wie in einem Uhrwerk. Alle möglichen Abläufe würden sich ändern, zum Beispiel wenn der Tank-Vorgang wegfällt und stattdessen eine Batterie aufgeladen werden muss. Ersatzteilhaltung, Reparaturbetriebe – auch hier werden Änderungen anstehen. Auch kann es sein, dass wegen der geänderten Leistung von E-Flugzeugen die Flugführung (das Steuern des Flugzeugs, beispielsweise durch einen Menschen oder einen Autopiloten - Anm. d. Red.) angepasst werden muss.
Darüber hinaus ergeben sich hohe Folgekosten durch die Änderung der Herstellungsmethoden und Produktionsabläufe. Triebwerks-Produzenten, Zellenhersteller (die Zelle ist das mechanische Gerüst des Flugzeugs, das aus Rumpf, Flügel, etc. besteht - Anm. d. Red.) als auch Zulieferer: Alle werden kräftig investieren müssen. Unklar ist in diesem Zusammenhang, inwiefern die Ticketpreise davon beeinflusst werden. Wenn sich die Fertigungskosten für die Autobauer erhöhen, werden die Autos in aller Regel teurer, weil die Unternehmen ihre Kosten an die Kunden - zumindest in Teilen - weitergeben können. Bei Flugzeugen ist das anders: Deren Hersteller gehen mit den Flug-Passagieren kein Geschäftsverhältnis ein, die Fluggesellschaft tut das. Das heißt, der Preis eines Flugtickets hängt nur in eingeschränktem Maß von den Produktionskosten des Flugzeugs ab. Es bleibt also abzuwarten, wer in welchem Umfang die Investitionskosten tragen wird.
Da sich die Produktionskosten aber mindestens zu Beginn erhöhen werden, ist nicht auszuschließen, dass die Ticketpreise für eine Übergangszeit ebenfalls steigen werden. Aber es ist sehr gut möglich, dass sich die Preise langfristig verringern werden, weil die Fluggesellschaften die Kosten fürs Kerosin sparen.
Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Das Flugzeug gilt als sicherstes Verkehrsmittel überhaupt. Sie sagten, dass sich das „hochoptimierte System des Flugverkehrs“ ändern wird. Könnte sich die neue Technologie auf die Sicherheit auswirken?
Rolf Henke: Eine neue Antriebsart darf und wird das Fliegen nicht unsicherer machen, soviel steht fest. In den 60er- und 70er-Jahren gab es eine Reihe von bedauerlichen Flugzeug-Unglücken. Seitdem ist das Fliegen jedoch um ein Vielfaches sicherer geworden, weil sich die Technik und der Betrieb deutlich verbessert haben. Dem Thema Sicherheit wird bei allen Innovationen in der Luftfahrt erste Priorität eingeräumt, so auch beim E-Antrieb. Da werden keinerlei Kompromisse zugelassen.
Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Der neue Antrieb hat ja nicht nur eine technologische, sondern auch eine wirtschaftliche Komponente. Was für Chancen ergeben sich für deutsche Unternehmen?
Rolf Henke: Derzeit befinden wir uns primär in einer vorwettbewerblichen Phase. Das heißt, Forschung und Entwicklung sind in erster Linie grundlagentechnisch und physikalisch orientiert. Das führt dazu, dass die einzelnen Akteure noch sehr viel Gemeinschaftsarbeit leisten. Wenn es dann aber um das konkrete Produkt geht, werden sich einige Wege trennen.
Die großen Flugzeugbauer, also auch Boeing und Airbus, sind in hohem Maße involviert. Neben den Airbus-Entwicklungsarbeiten in Deutschland sind beide hier hoch relevant, da wir eine starke Zulieferindustrie haben, die alle Hersteller bedient. Auch Siemens hat hier viel Pionierarbeit geleistet, bis der Konzern seine Abteilung „E-Aircraft“ Mitte dieses Jahres an den Triebwerkhersteller Rolls-Royce verkaufte, um sich stärker auf sein Kerngeschäft zu konzentrieren. Andererseits betreibt Rolls-Royce in Oberursel im Taunus und in Dahlewitz bei Berlin zwei große Standorte für die Triebwerks-Produktion. Insofern bleibt der Bereich eigentlich in Deutschland, auch wenn er jetzt einem britischen Unternehmen gehört.
Insgesamt bin ich optimistisch, und gehe davon aus, dass die neue Technologie im High-Tech-Land Deutschland zu neuen Arbeitsplätzen führen wird.
Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Was glauben Sie – wann werden wir das letzte Mal ein Flugzeug mit herkömmlichem Antrieb am Himmel sehen?
Rolf Henke: Einen genauen Zeitpunkt kann ich Ihnen nicht nennen - das kann niemand. Aber sicher bin ich, dass in der zweiten Jahrhundert-Hälfte Flugzeuge mit alternativen Antrieben ein alltägliches Bild sein werden. So wird unsere DLR-Vision vom „Zero Emission Aircraft“ Schritt für Schritt Realität.
Kurzbeschreibung: Das „Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt“ (DLR) ist eine der weltweit führenden Einrichtungen für angewandte Forschung in den Bereichen Luft- und Raumfahrt. Es hat seinen Hauptsitz in Köln und verfügt bundesweit über 26 Standorte sowie Büros in Brüssel, Paris, Tokio und Washington. Sein Etat beträgt knapp über eine Milliarde Euro; die Zahl der Mitarbeiter beläuft sich auf rund 8.700.