Deutschland

Niedersachsen: Künftiger SPD-Innenminister von Staatsanwaltschaft wegen Untreue angeklagt

Stephan Weil, der neue Ministerpräsident von Niedersachsen, startet mit einer Hypothek ins Amt. Gegen den designierten Innenminister Pistorius hat die Staatsanwaltschaft Anklage erhoben. Es geht um flächendeckende „Leistungsprämien“: Beamte wurden auch ohne Leistung mit Zahlungen aus Steuergeldern belohnt.
21.01.2013 02:40
Lesezeit: 3 min

Für den vermutlich neuen Ministerpräsidenten von Niedersachsen, Stephan Weil, dürfte sich nach dem Jubel über die Ablösung von David McAllister (hier) schon bald der unangenehme Alltag einstellen: Die Staatsanwaltschaft hat bereits im Herbst Anklage gegen Boris Pistorius erhoben. Ihm wird vorgeworfen, dass er mit Steuergeldern allzu großzügig umgegangen sein soll. Pistorius ist von Weil als neuer Innenminister vorgesehen. Weil hatte sich bisher immer hinter Pistorius gestellt und vermutete hinter der Anklage eine parteipolitisch motivierte Aktion der Staatsanwaltschaft. Trotz der Anklage hielt Weil bis zuletzt an Pistorius fest, weil er, wie er sagte, Vertrauen in den Rechtsstaat habe und sich die Rechtmäßigkeit des Vorgehens von Pistorius erweisen werde.

Boris Pistorius hatte als Oberbürgermeister von Osnabrück großzügige Sonderzahlungen an fast alle Beamten in seinem Zuständigkeitsbereich angeordnet. Der NDR beschreibt die Sachlage: „Sonderzahlungen an Beamte sind nur in besonderen Ausnahmefällen möglich - so sieht es zumindest die Niedersächsische Verordnung über die Gewährung von Prämien und Zulagen an Beamte für besondere Leistungen (NLPZVO) vor. Demnach dürfen nur wenige Beamte Gehaltszuschläge erhalten - und das auch nur bei besonders herausragenden Leistungen. In Stadt und Landkreis Osnabrück sollen nun aber fast alle Beamte in den Jahren 2007 bis 2010 Prämien erhalten haben. Der Landkreis habe rund 450.000 Euro an Prämien gezahlt, die Stadt 370.000 Euro - und das auf Kosten der Steuerzahler.“

Der Bund der Steuerzahler hält die Aktion für unzulässig: Wenn an alle Beamten „Leistungsprämien“ gezahlt würden, könne man nicht mehr von Belohnung für herausragende Leistungen sprechen, weil auch die faulsten Beamten in den Genuss solcher Zahlungen kämen.

Weil und Pistorius berufen sich dagegen auf ein Gutachten des Staatsrechtlers Jörn Ipsen, der das Vorgehen von Pistorius als völlig einwandfrei beurteilt. Ipsen ist ein enger Freund des ehemaligen Ministerpräsidenten Christian Wulff und wird derzeit von der VW-Stiftung mit 240.000 Euro gefördert, damit er das Wesen des Amts des deutschen Bundespräsidenten erforschen kann.

Der Vorwurf der Parteipolitik in Richtung der Staatsanwaltschaft wird indes durch die Tatsache konterkariert, dass die Behörde gegen vier weitere Bürgermeister ermittelt – unter ihnen befinden sich auch CDU-Leute und ein parteiloser Bürgermeister.

Es ist bemerkenswert, dass Weil – selbst Jurist – nicht erkennt, dass das Geld, das von anderen stammt, mit besonderer Sorgfalt verwaltet werden muss. Seine Begründung, warum er Pistorius trotz der Anklage im Kabinett haben will: Dieser habe persönlich nicht von der Verschwendung der Steuergelder profitiert.

Weil selbst war im Wahlkampf unter Druck geraten, weil er als Oberbürgermeister von Hannover seine Sekretärin eine Rede für einen SPD-Wahlkampfauftritt hatte schreiben lassen. Auch hatte Weil schon zuvor einmal eine Rede als Verbandspräsident des Verbandes Kommunaler Unternehmen (VKU) aus Hamburg im Rathaus von Hannover hatte schreiben lassen. Als die Sache mit der SPD-Rede aufflog, beeilte sich das Rathaus von Hannover zu versichern, man habe ohnehin vorgehabt, der SPD eine Rechnung für die Büroarbeit zu schicken.

Weil ist ein guter Freund von Altkanzler Gerhard Schröder. Dessen Frau Doris Schröder-Köpf, soll unter Weil einen Posten in der Integrationsarbeit erhalten. Schröder-Köpf hat in ihrem Wahlkreis verloren, ist aber von Weil vorausschauend auf die Landesliste gesetzt worden (hier).

Die Summe der Vorfälle zeigt, dass der neue Ministerpräsident von Niedersachsen den Staat als ein großes Ganzes sieht: Parteien, Volksvertretung und Verbände werden wie eine große Gemengelage betrachtet. Der Steuerzahler muss die verschiedensten Aktivitäten bezahlen, auch wenn sie nicht den Bürgern, sondern nur den Amtsträgern nutzen.

Im Vergleich zu den Steuer-Milliarden, die die Euro-Rettung kostet, sind die paar hunderttausend Euro von Osnabrück vielleicht als Peanuts anzusehen. Im Vergleich zu Christian Wullfs Hotelübernachtung auf Sylt sind die Summen schon erheblich. In allen Fällen gilt: Der Staat als Selbstbedienungsladen ist kein griechisches Phänomen, sondern auch eine Realität in Deutschland.

Update (22.1.2013):

Ob das Landgericht Osnabrück ein Hauptverfahren gegen Pistorius eröffnen wird, ist unklar. Im Dezember sagte ein Sprecher des Gerichts der Neuen Osnabrücker Zeitung, dass das Landgericht Osnabrück sieht „zurzeit keinen hinreichenden Tatverdacht, der die Eröffnung eines Hauptverfahrens rechtfertigen würde“, sähe. Das Gericht habe der Staatsanwaltschaft jedoch aufgegeben, die Anklageschrift noch einmal zu überarbeiten. Über der Aufgabe sitzen die Staatsanwälte noch. Gut möglich, dass der rot-grüne Justizminister zu einem ganz anderen Urteil kommen wird und der Staatsanwaltschaft in die Parade fährt. Sollte die neue Anklageschrift vorliegen, wollen die Strafkammern „mit der gebotenen Sorgfalt“ über die Zulassung zum Hauptverfahren entscheiden.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
X

DWN Telegramm

Verzichten Sie nicht auf unseren kostenlosen Newsletter. Registrieren Sie sich jetzt und erhalten Sie jeden Morgen die aktuellesten Nachrichten aus Wirtschaft und Politik.
E-mail: *

Ich habe die Datenschutzerklärung gelesen und erkläre mich einverstanden.
Ich habe die AGB gelesen und erkläre mich einverstanden.

Ihre Informationen sind sicher. Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten verpflichten sich, Ihre Informationen sorgfältig aufzubewahren und ausschließlich zum Zweck der Übermittlung des Schreibens an den Herausgeber zu verwenden. Eine Weitergabe an Dritte erfolgt nicht. Der Link zum Abbestellen befindet sich am Ende jedes Newsletters.

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Bundesbank: Deutsche Exportwirtschaft verliert deutlich an globaler Stärke
14.07.2025

Die deutsche Exportwirtschaft steht laut einer aktuellen Analyse der Bundesbank zunehmend unter Druck. Branchen wie Maschinenbau, Chemie...

DWN
Immobilien
Immobilien Gebäudeenergiegesetz: Milliardenprojekt für 1,4 Billionen Euro – hohe Belastung, unklare Wirkung, politisches Chaos
14.07.2025

Die kommende Gebäudesanierung in Deutschland kostet laut Studie rund 1,4 Billionen Euro. Ziel ist eine Reduktion der CO₂-Emissionen im...

DWN
Politik
Politik EU plant 18. Sanktionspaket gegen Russland: Ölpreisobergrenze im Visier
14.07.2025

Die EU verschärft den Druck auf Moskau – mit einer neuen Preisgrenze für russisches Öl. Doch wirkt die Maßnahme überhaupt? Und was...

DWN
Technologie
Technologie Datenschutzstreit um DeepSeek: Deutschland will China-KI aus App-Stores verbannen
14.07.2025

Die chinesische KI-App DeepSeek steht in Deutschland unter Druck. Wegen schwerwiegender Datenschutzbedenken fordert die...

DWN
Finanzen
Finanzen S&P 500 unter Druck – Sommerkrise nicht ausgeschlossen
14.07.2025

Donald Trump droht mit neuen Zöllen, Analysten warnen vor einer Sommerkrise – und die Prognosen für den S&P 500 könnten nicht...

DWN
Politik
Politik Wenn der Staat lahmt: Warum die Demokratie leidet
14.07.2025

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier warnt eindringlich vor den Folgen staatlicher Handlungsunfähigkeit. Ob kaputte Brücken,...

DWN
Politik
Politik Fluchtgrund Gewalt: Neue Angriffe in Syrien verstärken Ruf nach Schutz
14.07.2025

Trotz Versprechen auf nationale Einheit eskaliert in Syrien erneut die Gewalt. Im Süden des Landes kommt es zu schweren Zusammenstößen...

DWN
Finanzen
Finanzen Altersarmut nach 45 Beitragsjahren: Jeder Vierte bekommt weniger als 1300 Euro Rente
14.07.2025

Auch wer sein Leben lang gearbeitet hat, kann oft nicht von seiner Rente leben. Dabei gibt es enorme regionale Unterschiede und ein starkes...