Die Volkswagen AG wurde durch den Dieselskandal nicht nur finanziell in die tiefste Krise seiner Geschichte gerissen. Durch die Folgen der millionenfachen Abgasmanipulation gerät auch die sensible Machtbalance in dem Konzern mit seinen zwölf Marken ins Wanken, berichtet Reuters. Davon sind vor allem die Premium-Töchter Audi und Porsche betroffen, die um die Position als führende Technologieschmiede des Wolfsburger Imperiums wetteifern. Der Schwenk hin zur Elektromobilität verschärft nun die Konkurrenz, da Volkswagen massiv in seine Werke, neue Technologien und Dienste investieren muss.
„Es gibt einen mörderischen Kampf um Ressourcen“, sagte ein Insider der Nachrichtenagentur Reuters. „Jede Marke mit Kapazitäten zur Motorenfertigung strebt eine führende Rolle bei der Kompetenz zur Entwicklung von Elektromotoren, Batterien und Batteriezellen an.“ Weil beim Bau von Autos mit weitgehend standardisierten Elektromotoren weniger Personal benötigt wird, sinkt in absehbarer Zeit die Beschäftigung in den Werken. Die Marke VW baut deshalb weltweit bis zu 30.000 Stellen ab, drei Viertel davon in Deutschland. Im Gegenzug sollen 9000 Arbeitsplätze in der Elektromobilität entstehen.
Führungskräfte von Audi, VW und Porsche berichten, die Rivalität untereinander habe zugenommen. Grund: seit dem abrupten Abgang von Ferdinand Piech ist ein zentrales Machtzentrum verschwunden, durch das der Konzern zusammengehalten wurde. Der Patriarch hat den Wolfsburger Konzern über zwei Jahrzehnte erst als Vorstandschef und später als Aufsichtsratsvorsitzender geprägt. Der Enkel des „Käfer“-Konstrukteurs Ferdinand Porsche hat das Mehr-Markenimperium aufgebaut und kannte die Stärken und Schwächen der einzelnen Töchter, über die er mit strenger Hand herrschte.
Nach Piechs Ausscheiden vor gut eineinhalb Jahren im Streit mit dem damaligen Vorstandschef Martin Winterkorn nahmen die Fliehkräfte in dem Konzern zu. Audi, einst mit dem Motto „Vorsprung durch Technik“ tonangebend bei der Entwicklung von Plattformen für größere Fahrzeuge auf Basis des Modularen Längsbaukastens (MLB), hat an Bedeutung eingebüßt. Seit dem Dieselskandal haben die Ingolstädter zudem zwei Entwicklungschefs verloren, wodurch die Marke mit den vier Ringen beim technologischen Umbruch ins Hintertreffen zu geraten droht. Inzwischen hat Audi einen neuen Chefentwickler gefunden. Marken-Chef Rupert Stadler steht derweil intern unter Druck, weil Audi als eine der „Brutstätten“ für die Schummelsoftware gilt, mit der VW die Abgaswerte manipulierte.
Porsche hat unterdessen seine Position ausgebaut. Der Modulare Standard-Baukausten (MSB) für den Porsche Panamera wurde von der VW-Luxusmarke Bentley für die nächste Generation des Continental übernommen, obwohl Audi ein ähnliches Angebot im Regal hatte. Porsche hat zudem die Produktion von Acht-Zylinder-Motoren für große Sportwagen übernommen, obwohl Audi dafür selber Fertigungskapazität hat. „Es war schon immer schwierig für Audi zu akzeptieren, wenn Porsche den Vorzug bekam. Sie haben sich gegen die Porsche-Plattform gestemmt, am Ende wurde eine unternehmerische Entscheidung getroffen“, sagte ein Manager.
Der Wettkampf wird auch auf der Rennstrecke ausgetragen: Während Porsche die Entwicklung der im Rennsport erprobten nächsten Generation von Hybridantrieben vorantreibt, muss Audi wegen der Dieselaffäre auf die Bremse treten. Die Ingolstädter gaben unlängst den Rückzug aus dem prestigeträchtigen Langstrecken-Motorsport mit dem 24-Stunden-Rennen von Le Mans bekannt.
Audi bleibt zwar für Geländewagen zuständig - so nutzt Porsche von den Ingolstädtern etwa die Plattform für den Macan. Das eigentliche Rennen um die technologische Vorherrschaft aber spielt sich bei Elektroautos ab. Porsche hat die intern J1 genannte Plattform für einen reinen Elektrosportwagen entwickelt, durch den in Zuffenhausen mehr als 1000 Stellen entstehen sollen.
Die Schwester VW will zugleich rund 9000 neue Stellen in der Elektromobilität und in neuen digitalen Technologien und Dienstleistungen schaffen. Auch Audi arbeitet an einem Elektroauto. Führungskräfte in Ingolstadt fürchten jedoch, Konzernchef Matthias Müller könne wichtige Entscheidungen bei der Ressourcenverteilung unter dem Druck des mächtigen VW-Betriebsrats eher zugunsten von Wolfsburg als von Ingolstadt treffen. Andere Manager spielen die Rivalität zwischen den Vorzeigemarken herunter, diese habe es schon immer gegeben. Es gibt auch Stimmen, die sagen, das Blatt könne sich noch zugunsten von Audi wenden.
Einige Eingeweihte wiederum verweisen auf Presseberichte während der heißen Phase der Verhandlungen über den Zukunftspakt von VW, deren Quelle sie am Mittellandkanal in Wolfsburg vermuten. Diese hätten zum Ziel gehabt, Audi zu schwächen. Aus Sicht von Volkswagen sind das „Spekulationen, die jeglicher Grundlage entbehren und die wir deutlich zurückweisen“. Zuletzt hatte der Spiegel geschrieben, intern werde bereits ein Nachfolger für Audi-Chef Stadler gesucht. VW und Audi dementierten vehement - doch der Ruf ist angekratzt. Kaum einer nimmt derzeit Wetten an, dass Stadler sich noch lange an der Audi-Spitze wird halten können.