Politik

Erdogan wirft Angela Merkel Nazi-Methoden vor

Lesezeit: 5 min
19.03.2017 23:30
Der türkische Präsident Erdogan wirft Deutschland vor, mit Terroristen zu kollaborieren, und hat erstmals auch Bundeskanzlerin Merkel persönlich scharf attackiert. Auf dem Spiel steht der Flüchtlingsdeal Merkels mit Erdogan.
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Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hat am Sonntag laut Reuters Kanzlerin Angela Merkel persönlich Nazi-Methoden sowie Unterstützung von Terroristen vorgeworfen. Erdogan sagte mit Blick auf Anhänger des Predigers Fethullah Gülen in Deutschland, es sei nicht Aufgabe der Kanzlerin, „Terrororganisationen zu unterstützen, sondern sie auszuweisen“. Zudem kritisierte er untersagte Auftritte seiner Minister in Deutschland. „Merkel, nun benutzt du Nazi-Methoden.“

Der Bundesnachrichtendienst hatte die von der Türkei behauptete Verantwortung der Gülen-Bewegung für den Putschversuch im vergangenen Jahr öffentlich bezweifelt. BND-Chef Bruno Kahl sagte dem Spiegel, die Türkei habe zwar versucht, seine Behörde von der Verantwortung der Gülen-Organisation für den Putschversuch zu überzeugen. „Das ist ihr aber bislang nicht gelungen.“ Überhaupt sei die Gülen-Bewegung nicht wie behauptet eine islamisch-extremistische oder gar terroristische Bewegung, sondern eine „zivile Vereinigung zur religiösen und säkularen Weiterbildung“. Der Putsch sei eine Reaktion aus der Armee auf Erdogans Entlassungswelle im Militär gewesen, die schon vorher begonnen habe, berichtet der Spiegel. „Der Putsch war wohl nur ein willkommener Vorwand.“

Gülen war einst Verbündeter Erdogans, lebt aber nach einem Zerwürfnis in Pennsylvania im Exil. Die türkische Regierung ist der Auffassung, dass es eine Nähe Gülens zur CIA gibt. Für die Verharmlosung des Putsches hat die türkische Regierung wenig Verständnis – es gab immerhin über 200 Tote. Der Spiegel hatte sich nach dem Putsch auf den Weg zu Gülen gemacht und ein sehr ehrfürchtiges TV-Porträt aus den „Privatgemächern“ des Predigers abgeliefert. Der Spiegel lobte Gülen für seine „Transparenz“, was der Reporter unter anderem daran festmachte, dass Gülen einer Gruppe von Journalisten sogar sein Schlafzimmer gezeigt habe.

Noch vor fünf Jahren hatte der Spiegel Gülen als einen durchaus gefährlichen islamistischen „Paten“ beschrieben. Das Magazin zitierte einen ehemaligen Oberstaatsanwalt mit den Worten: „Wer sich mit Gülen anlegt, wird vernichtet“. Der Spiegel schrieb damals, Kritiker würden der Gülen-Zeitung Zaman vorwerfen, „gezielt Falschmeldungen zu verbreiten, um Gülen-Gegnern zu schaden“. Der Spiegel zitierte weiters aus einem Interview der Deutsch-Türkischen Nachrichten: „,Die Bewegung steckt bis zum Hals in schmutzigen Machenschaften‘, sagt Dani Rodrik, Professor für Wirtschaftspolitik in Harvard. Zaman unterstütze diese ,Mafia‘ durch ,Lügen, Fälschungen, Manipulation‘. ,Es gibt keine Desinformation, die sie auslassen würden, um für ihre Sache zu werben‘, sagt Rodrik.“ Der Spiegel weiter: „Menschen, die mit Fethullah Gülen gebrochen haben, die das Innenleben dieser Gemeinde kennen, erzählen eine andere Geschichte. Sie berichten von einem erzkonservativen Geheimbund, einer Sekte wie Scientology.“

Die Bundesregierung hatte den Putschversuch im Juli 2016 eher zögerlich verurteilt. Sehr schnell nach dem Putsch sah CDU-Generalsekretär Peter Tauber die Notwendigkeit, die Deutsch-Türken zur Ruhe aufzurufen: „Die Konflikte aus den Herkunftsländern haben keine Heimat hier“. Wer hier lebe und arbeite, „dessen Loyalität liegt bei der Bundesrepublik Deutschland“.

Die USA und die NATO bezogen zunächst wie andere, etwa die Briten und Russen, klar Stellung gegen den Putsch. Barack Obama und John Kerry sagte, die rechtmäßig gewählte Regierung Erdogans hätte die volle Unterstützung der US-Regierung.

Der CDU-Transatlantiker Norbert Röttgen hat das sensible Thema am Sonntag in der ARD aufgegriffen und nachgelegt: Röttgen sagte, mit der geplanten Verfassungsreform entferne sich die Türkei immer weiter von einer liberalen Demokratie, was mit der EU nicht vereinbar sei. Röttgen nannte Erdogans Vorhaben einen „legalisierten Staatsputsch“.

Zwischen Deutschland und der Türkei ist daher auch ein veritabler Konflikt der Geheimdienste entbrannt, wenngleich es für Außenstehende unmöglich zu beurteilen ist, welche Spiele hier gespielt werden. Die deutschen Behörden durchsuchten jedenfalls mehrere Ditib-Moscheen und die Wohnungen von Predigern, weil sie ihnen Spionage vorwerfen. Die türkische Dienste werden den Deutschen vor, mögliche Putschisten zu decken. Dazu zählen nach türkischer Lesart die Gülen-Bewegung und verschiedene Offiziere. Misstrauisch die Türken auch, weil dutzende NATO-Offiziere in Deutschland wegen des Putsches um Asyl angesucht haben. Die NATO hatte offiziell jede Beteiligung am Putsch zurückgewiesen.

Zuletzt war in der Türkei der Deutsch-Türke Deniz Yücel, verhaftet worden. Er arbeitete als Journalist für die taz und zuletzt für die Welt. Die Bundesregierung fordert seine Freilassung und zunächst eine konsularische Betreuung, die Ministerpräsident Binali Yildirim im Gespräch mit Merkel versprochen habe.

Erdogan behauptet, dass Yücel nicht freikommen werde. Er sei, so Reuters, ein Terrorhelfer und werde vor Gericht gestellt. Die unabhängige türkische Justiz werde den Fall beurteilen. Außenminister Gabriel sagte Yücel in der Passauer Neuen Presse Unterstützung zu: „Wir setzen uns auf allen Ebenen für Deniz Yücel ein. Er ist einer von uns.“ Dem Wort Yildirims gegenüber Merkel zur konsularischen Betreuung müssten jetzt Taten folgen.

Gabriel stellte klar, dass Auftritte von türkischen Politikern in Deutschland nur geduldet würden, wenn die „unsäglichen Vergleiche und absurden Vorwürfe“ aufhörten. „Ich habe meinem türkischen Kollegen deshalb ganz deutlich gemacht, dass hier eine Grenze überschritten wurde.“ Deshalb habe er gesagt: „Wenn Ihr hier auftreten wollt, dann haltet euch an unsere Gesetze, sonst geht das nicht.“ Ein generelles Auftrittsverbot hat die Regierung nicht ausgesprochen. Einzelne Kommunen sagten aber Veranstaltungen mit Ministern aus unterschiedlichen Gründen abgesagt.

In Frankfurt haben am Samstag bis zu 30.000 Kurden gegen die Reform protestiert. Vertreter der Bevölkerungsgruppe kämpfen in der Türkei für mehr Unabhängigkeit. Demonstranten skandierten etwa „Erdogan Terrorist“. Mitgeführt wurden vereinzelt auch Bilder des Führers der auch von Deutschland als Terrorgruppe eingestuften PKK, Abdullah Öcalan, was verboten ist. Die Polizei will Beweise der Staatsanwaltschaft übergeben. Ein Sprecher Erdogans warf Deutschland dennoch Doppelmoral vor: Auf der einen Seite würden Auftritte gewählter Vertreter als Gefahr dargestellt, auf der anderen Seite dürften Symbole und Flaggen von Terrororganisationen gezeigt werden.

In der Türkei ist es verboten, solche Bilder auf Facebook zu zeigen. Das US-Netzwerk ist per Handlungsanweisung verpflichtet, Seiten, die solche Bilder bringen, zu sperren.

Für Merkel ist die Situation unerfreulich: Sie setzt weiterhin auf einen Deal mit der Türkei, die der EU die Flüchtlinge und Migranten fernhalten soll.

Ein Jahr nach Abschluss des Deals hatte die Türkei mit dessen Aufkündigung gedroht: „Wenn ihr wollt, schicken wir euch die 15.000 Flüchtlinge, die wir jeden Monat zurückhalten“, sagte der türkische Innenminister Süleyman Söylu am Donnerstagabend an die Adresse der EU-Staaten gerichtet. Das Kinderhilfswerk Unicef kritisierte, bei diesem Pakt würden die gegenseitigen Zusagen nicht eingehalten. Die Bundesregierung sagte: „Wir haben keine Anhaltspunkte dafür, dass die Türkei dieses Abkommen ausgesetzt hat“, sagte der stellvertretende Regierungssprecher Georg Streiter am Freitag. Die Vereinbarung sei ein „gemeinsamer Erfolg“, deren Umsetzung „im Interesse aller Beteiligten“ liege.

Der am 18. März 2016 geschlossene Flüchtlingspakt sieht vor, dass die Türkei alle Flüchtlinge zurücknimmt, die auf die griechischen Ägäis-Inseln kommen. Im Gegenzug versprach die EU Unterstützung bei der Versorgung der knapp drei Millionen Flüchtlinge in der Türkei sowie die Aufnahme eines syrischen Flüchtlings für jeden Syrer, der im Rahmen der Vereinbarung in die Türkei zurückgeschickt wird.

Außerdem sagten die EU-Staaten Visafreiheit für die Türkei und die Beschleunigung der EU-Beitrittsverhandlungen zu. Wegen der Repressionen der türkischen Führung gegen ihre Gegner, die seit dem Putschversuch vom 15. Juli deutlich verstärkt wurden, wurden die Beitrittsgespräche aber auf Eis gelegt.

Die Gewährung der Visafreiheit wiederum macht die EU von der Änderung der türkischen Anti-Terror-Gesetze abhängig.

Der Unicef-Nothilfeexperte Lucio Melandri sagte in Genf, der Pakt müsse angesichts „nicht gehaltener Zusagen“ unbedingt überdacht werden. So habe sich die EU in einem zentralen Punkt des Abkommens verpflichtet, mindestens 120.000 Flüchtlinge aus Griechenland und Italien aufzunehmen und zu verteilen.

Tatsächlich seien aber nur gut 14.400 Flüchtlinge verteilt worden, sagte Melandri.

Mit Blick auf die türkischen Drohungen kritisierte der Unicef-Experte, Asylbewerber dürften nicht als „Tauschware“ missbraucht werden. Mit dem Schicksal von Flüchtlingen dürfe nicht manipulativ umgegangen werden. Ob die Rücknahme von Flüchtlingen tatsächlich durch die Türkei ausgesetzt wurde, ist insofern schwer zu beurteilen, als es seit Monaten ohnehin keine größeren Rückführungen gab. Bei den mehreren tausend Flüchtlingen, die seit Abschluss des Flüchtlingsdeals auf den griechischen Inseln angekommen sind, müssen die Behörden zunächst die Asylgesuche klären, bevor es möglich ist, sie in die Türkei zurückzuschicken.

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