Politik

Geld für Schnaps und Frauen: Südeuropäer fordern Rücktritt von Euro-Chef

Lesezeit: 2 min
22.03.2017 14:48
Eurogruppen-Chef Dijsselbloem hat die Südeuropäer mit dem Vorwurf der Verschwendungssucht provoziert. Wegen der dauerhaften sozialen Krise in vielen Ländern hat der Ausspruch zu empörten Reaktionen geführt. Der Vorfall wird die Spaltung in der Euro-Zone vertiefen.

Mehr zum Thema:  
Europa >
Benachrichtigung über neue Artikel:  
Europa  

[vzaar id="9640322" width="600" height="338"]

Der Eurogruppen-Vorsitzende Jeroen Dijsselbloem hat mit dem Vorwurf, Krisenländer im Süden der Währungsunion hätten ihr Geld „für Schnaps und Frauen“ verschwendet, einen Sturm der Entrüstung ausgelöst. Der frühere italienische Regierungschef Matteo Renzi forderte den Niederländer am Mittwoch auf zurückzutreten. Auch im Europaparlament stieß die Aussage des Sozialdemokraten parteiübergreifend auf Unverständnis.

Der niederländische Finanzminister hatte in einem Interview mit der FAZ gesagt, die nördlichen Euroländer hätten sich mit den Krisenstaaten im Süden solidarisch gezeigt. Wer Solidarität einfordere, habe aber auch Pflichten, sagte Dijsselbloem. „Ich kann nicht mein ganzes Geld für Schnaps und Frauen ausgeben und anschließend Sie um Ihre Unterstützung bitten“, sagte Dijsselbloem. Dies gelte auf „persönlicher, lokaler, nationaler und eben auch auf europäischer Ebene“.

Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble steht weiter hinter Dijsselbloem. Eine Sprecherin des Finanzministeriums sagte am Mittwoch in Berlin, Schäuble schätze die Arbeit des Niederländers. Sie fügte hinzu: „Wir vergeben keine Stilnoten für Interviewäußerungen.“ Schäuble hatte sich bereits vor einigen Tagen für Jeroen Dijsselbloem als Chef der Eurogruppe ausgesprochen. Die Amtszeit des Niederländers laufe bis Anfang 2018, sagte Schäuble am Montag vor einem Treffen mit seinen Kollegen in Brüssel. Dijsselbloem mache seinen Job als Vorsitzender des Gremiums sehr gut. Dijsselbloems Sozialdemokraten hatten bei den Parlamentswahlen in der vergangenen Woche eine herbe Niederlage einstecken müssen. Er selbst sagte, es sei zu früh darüber zu sprechen, ob die Bildung einer neuen Regierung in Den Haag abgeschlossen sei, bevor sein Mandat im Januar ende.

Tatsächlich ist die Frage rechtlich nicht geregelt. Die Euro-Gruppe der Finanzminister hat weder in der EU noch in der Euro-Zone eine institutionelle Funktion. Sie trifft zwar die wichtigsten Entscheidungen, ist aber weder dem EU-Parlament noch den nationalen Parlamenten Rechenschaft schuldigt. Damit haben die europäischen Steuerzahler keine Möglichkeit, zu kontrollieren, welche Politiker letzten Endes über die Verwendung der von ihnen erwirtschafteten Steuergelder entscheiden. Ein Kontext zwischen gewählten Mandataren und der Zahlung von Steuern ist das Wesen des Gesellschaftsvertrags in der Demokratie.

„Je früher er geht, desto besser“, schrieb Renzi auf Facebook. Der portugiesische Außenminister Augusto Santos Silva, ein Sozialdemokrat, sagte am Dienstag in Washington, Dijsselbloems Äußerungen seien „vollkommen inakzeptabel“. Er sei nicht geeignet, „um Vorsitzender der Eurogruppe zu bleiben“. Spaniens Wirtschaftsminister Luis de Guindos sprach von „unglücklichen Kommentaren - sowohl in der Form als auch im Inhalt“.

Dijsselbloem weigerte sich am Dienstag bei einer Anhörung im EU-Parlament, sich für den Schnaps- und Frauen-Vorwurf zu entschuldigen. „Nein, sicherlich nicht“, sagte er auf eine entsprechende Forderung eines konservativen EU-Abgeordneten aus Spanien (siehe Video am Anfang des Artikels).

Am Abend hat Dijsselbloem seine Äußerungen schließlich bedauert. Der niederländische Finanzminister erklärte am Mittwoch laut AFP, wenn einige sich beleidigt fühlten, tue ihm das leid. Die Äußerung sei "direkt" gewesen und könne auf dem Hintergrund einer "strikt niederländischen, calvinistischen Kultur mit niederländischer Direktheit" erklärt werden. Die Absicht zurückzutreten habe er nicht.

Auch aus Deutschland kam Kritik an Dijsselbloem. Der wirtschafts- und finanzpolitische Sprecher der Grünen im EU-Parlament, Sven Giegold sagte in einer Aussendung: „So spaltet man Europa auf übelste Weise! Seine Antwort ist beschämend. So darf ein Eurogruppen-Chef, der Verantwortung für die gesamte Eurozone trägt, nicht auftreten. Djisselbloem hat sich damit für eine Wiederwahl disqualifiziert!“

„Ich frage mich wirklich, wie jemand mit diesen Ansichten noch immer Vorsitzender der Eurogruppe sein kann“, sagte der italienische Fraktionsvorsitzende der Sozialdemokraten im Europaparlament, Gianni Pittella. Die Äußerungen seien „beschämend“ und „diskriminierend gegenüber den Ländern Südeuropas.“

In der Eurozone gehe es „um Verantwortung, Solidarität, aber auch um Respekt“, schrieb der Fraktionsvorsitzende der konservativen EVP-Fraktion, Manfred Weber (CSU), am Mittwoch auf Twitter. Für Klischees sei da „kein Platz“.

Tatsächlich ist insbesondere in Griechenland ein Großteil der Kredite der europäischen Steuerzahler an die Banken geflossen, insbesondere die deutschen und französischen. Die griechische Bevölkerung wurde zur Austerität verpflichtet. In allen südeuropäischen Ländern ist die Jugendarbeitslosigkeit seit Beginn der Euro-Krise unvermindert hoch. In vielen Familien ist keine Geld für Schnaps und Frauen vorhanden, weil oft die Großeltern für zwei Generationen sorgen müssen. Aktuell verlangen der IWF und die Euro-Gruppe in Griechenland die mittlerweile siebte Rentenkürzung innerhalb weniger Jahre.


Mehr zum Thema:  
Europa >

Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Bildung für die Zukunft SOS-Kinderdorf Thüringen im Einsatz für die Demokratie

In einer Zeit, in der die Unzufriedenheit mit der Politik wächst, engagiert sich das SOS-Kinderdorf Thüringen mit einem Demokratieprojekt...

DWN
Politik
Politik Jetzt auch amtlich: Steinmeier macht Weg für Neuwahlen frei
27.12.2024

Die Ampel-Koalition zerbrochen, keine neue, stabile Mehrheit in Sicht, Deutschland in der Regierungskrise. Für den Bundespräsidenten gibt...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Als der Tiger noch im Tank war: Warum sich ExxonMobil von Europa distanziert
27.12.2024

Exxon mit Sitz ist Houston ist eine halbe Billion Dollar wert und damit der größte Mineralöl-Konzern der Welt. 20 Prozent der 62.000...

DWN
Politik
Politik Studie: Elterngeld seit Einführung deutlich weniger wert
27.12.2024

Die Kaufkraft des Elterngelds sei seit 2007 um 38 Prozent gesunken, schreibt das Institut der deutschen Wirtschaft in einer aktuellen...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Deutsche Flugsicherung erhöht Gebühren: Gründe, Auswirkungen und Forderungen
27.12.2024

Die Deutsche Flugsicherung (DFS) hat angekündigt, zum Jahreswechsel die Gebühren für Fluggesellschaften deutlich zu erhöhen. Während...

DWN
Politik
Politik Normenkontrollrat plant Empfehlungen für neue Regierung
27.12.2024

Eine Institution, von der man viel zu wenig hört: Ohne ein verbessertes Datenmanagement, einfachere Gesetze und mehr digitale Prozesse...

DWN
Immobilien
Immobilien Die teuersten deutschen Immobilien in 2024: Welche Städte sind die Spitzenreiter?
27.12.2024

Der deutsche Luxusmarkt scheint wieder gesund und munter zu sein, nachdem das Segment im Jahr 2023 unter Druck geraten ist als Verkäufe...

DWN
Politik
Politik In der deutschen Wirtschaft überwiegt Pessimismus
27.12.2024

Wohin steuert die deutsche Wirtschaft nach dem zweiten Rezessionsjahr in Folge? Viele Verbände blicken mit Sorgen nach vorn. Die Gründe...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Clean Industrial Deal: Warum die EU jetzt handeln muss
26.12.2024

Vor fünf Jahren setzte die EU mit dem Europäischen Green Deal neue Maßstäbe im globalen Klimaschutz. Heute, angesichts wachsender...