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Serie Mittelstand: Wenn fehlende Konkurrenz zur Gefahr wird

Der deutsche Mittelstand treibt international die Innovation voran. In einer DWN-Serie stellen wir einige Strategien vor, warum die deutschen Unternehmen weltweit so erfolgreich sind.
01.06.2017 17:37
Lesezeit: 3 min

Eigentlich schien für das im Folgenden „Drehfra“ genannte Unternehmen alles in bester Ordnung. Der Hersteller von hochpräzisen Dreh- und Frästeilen machte einen jährlichen Umsatz von 77 Millionen Euro, wurde von seinen Kunden geschätzt und pflegte stabile Beziehungen zu Banken und Geschäftspartnern. Strategisch war man gut aufgestellt und konzentrierte sich auf einige Anwendungsbereiche im Kraftfahrzeugbau. Das europaweite Geschäft sollte international ausgeweitet und so die Marktführerschaft in einigen Anwendungsfeldern manifestiert werden. Der 400 Mitarbeiter starke Betrieb glaubte an seine eigenen Stärken. Zu sehr, wie sich herausstellte.

„Die größte Gefahr steckte im Unternehmen selbst“, sagen Heiner Kübler und Carl A. Siebel in ihrem Buch „Mittelstand ist eine Haltung: Die stillen Treiber der deutschen Wirtschaft“. „Vor allem im Vertrieb gaben sich Mitarbeiter immer öfter überheblich und selbstsicher, der Erfolg war verführerisch.“ „Das schleichende Gift der Bequemlichkeit und ein unterschwelliger Konflikt zwischen drei Bereichsleitern (...) führten dazu, dass sich die verschiedenen Bereiche des Unternehmens voneinander isolierten und teilweise sogar gegeneinander operierten“, so die Autoren. Die Folge: Prozesse wurden fehlerhaft, Reklamationen stiegen, Lieferzeiten verlängerten sich, die Zuverlässigkeit sank. Die einstigen Stärken des Mittelständlers schwanden.

Doch den Umgang mit Krisen war man bei „Drehfra“ nicht gewohnt. Die Führungskräfte reagierten mit blindem Aktionismus, nahmen sich immer mehr vor und scheiterten auch immer häufiger. Die Belegschaft driftete zunehmend auseinander. Das Unternehmen drohte von innen heraus zu implodieren. Die Erkenntnis dauerte, aber sie kam: „Die Tatsache, dass man weitestgehend konkurrenzlos im Geschäft unterwegs war, was früher die größte Stärke gewesen war, wurde jetzt zur Gefahr. (…) Es mangelte an ausreichender Koordination der Projekte, an einer klaren Fokussierung auf das Wesentliche und an Disziplin in der Umsetzung“, so die Analyse der Autoren. Es bedurfte einer neuen Unternehmenskultur.

Die Strategie: In die Veränderung wurden alle Mitarbeiter einbezogen. Die Geschäftsführung wurde aus ihrem Elfenbeinturm geholt und trat mit den Angestellten in den Dialog. Sie durften Fragen stellen, nachhaken und eigene Ideen vortragen. Auch die Führungskräfte wurden stärker involviert. In regelmäßigen Sitzungen wurde über Erfolg und Misserfolg gesprochen. So viel Offenheit zahlte sich aus. Die Motivation der Mitarbeiter stieg. Viele kleine Verbesserungen wurden erreicht und bei den Veränderungsprojekten „aufgeräumt“. Von 60 blieben am Ende fünf Hauptprojekte. Auch diese Entscheidungen wurden gemeinsam mit den Mitarbeitern getroffen. „Die Reaktionen waren eindeutig“, schildern Kübler und Siebel. „'Die nehmen uns ernst. Dann helfen wir auch mit.' Das latent vorhandene negative Vorurteil vieler Vorgesetzter gegenüber den Mitarbeitern – 'Die verstehen das sowieso nicht!' – wurde auf diese Weise beherzt widerlegt.“

Neben Ideen entstanden Forderungen und damit ein „hilfreicher Druck von der Basis auf das Mittelmanagement, das Unternehmen voranzubringen“. Auch persönliche Unstimmigkeiten in den Führungsetagen wurden angegangen und Tabus auf den Tisch gebracht. Im Nachhinein stellte sich diese Vorgehensweise als echter Meilenstein in der Unternehmensgeschichte heraus. Und wurde in jährlichen Zyklen beibehalten. „Dehfra“ schaffte außerdem sein altes Bonussystem ab. „Motivation (hing) nicht mehr an Zahlen und Geld (...), sondern am Mitwirken für den Gesamterfolg.“

Das Ergebnis: „(...) Innerhalb von etwa zwei Jahren war aus dem zerstrittenen Haufen eine eingeschworene Mannschaft geworden.“ Auch die Ordnung und Priorisierung der Projekte bewährte sich. Gesetzte Jahresziele wurden am Ende sogar übertroffen. In der Mannschaft herrscht eine „offene und erfrischende Atmosphäre des Gewinnen-Wollens ohne verbissenen Ehrgeiz und ohne jede Arroganz“. Ein Umstand, der auch bei den Kunden gut ankam.

Das Appell der Autoren fällt entsprechend klar aus: „Strategie alleine bewirkt nichts. Nur wenn Sie sie mit konsequenter Führungsarbeit verbinden, wird sie zum Erfolg. Lassen Sie die Menschen echte Offenheit und den Willen zur Transparenz spüren. Dann gehen die Mitarbeiter entschlossen mit und verzeihen sogar Führungsfehler, solange sie den Sinn und guten Willen erkennen.“

Der deutsche Mittelstand ist das Rückgrat der deutschen Wirtschaft. Vor allem viele Unternehmen, die außerhalb des Rampenlichts großer Konzerne agieren, prägen die Wirtschaft Deutschlands. Sie sind Impulsgeber, Wertebewahrer und Exportmeister. Zusammen mit Econ-Verlag werfen die Deutschen Wirtschafts Nachrichten in ihrer Reihe „Das bewegt den Mittelstand“ einen genauen Blick in die Welt der leisen Sieger.

Das Buch Mittelstand ist eine Haltung: Die stillen Treiber der deutschen Wirtschaft“ ist im September im Econ-Verlag erschienen. Die beiden Autoren Heiner Kübler und Carl A. Siebel schauen dabei hinter die Kulissen des Deutschen Mittelstandes. Erfolg und Misserfolg ist hier gleichermaßen zu finden. Entscheidend jedoch ist, wie die Mittelständler mit den Misserfolgen umgehen. Bestellen Sie das Buch bei Amazon.

 

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