Politik

Schwere Mängel: Das deutsche Renten-System funktioniert nicht

Lesezeit: 9 min
01.07.2017 22:46
Das deutsche Renten-System ist wegen erheblicher Strukturmängel nicht zukunftsfähig.

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Das Kernproblem der deutschen Wirtschaft und Gesellschaft ist die miserable Demografie. Einer positiven Entwicklung, nämlich der zunehmenden Langlebigkeit der Bevölkerung, steht eine äußerst negative Grundtendenz, nämlich eine geringe Kinderzahl, gegenüber. Diese drückt sich in einer der tiefsten Geburtenraten der Welt aus – und dies seit Jahrzehnten. Die rekordtiefe Geburtenrate wurzelt keineswegs in einer biologischen, sondern in tiefer liegenden sozialen Ursachen und unangemessenen Politiken auf verschiedenen Stufen. Eine Konsequenz ist ein Renten-System, das nicht nachhaltig finanziert ist, weil die Relation von Beitragszahlern und -empfängern sich drastisch verschlechtern wird. Die geburtenstarken Jahrgänge gehen in die Rente. Deutschland hat zusätzlich die seit Jahrzehnten zu niedrige Geburtenrate nicht mit Immigration qualifizierter Arbeitskräfte kompensiert – ganz im Unterschied zu anderen Ländern.

Doch nicht nur die äußerst ungünstige Bevölkerungsstruktur, die von einer Pyramide weit entfernt ist, sondern auch die Eigenschaften und Merkmale des ganzen deutschen Rentensystems und der gesamten Altersvorsorge bilden eine schwere Hypothek für die Rente. Im vorliegenden Artikel befassen wir uns mit den Eigenschaften der umlagefinanzierten deutschen Rentenversicherung. Als Kontrast soll das Renten-System eines anderen Landes dienen, welches gemeinhin als gut finanziert gilt – der Schweiz. Die Schweiz hat überdies einige gemeinsame Merkmale mit Deutschland. Die Währungen beider Länder waren und sind ausgesprochene Hartwährungen, die in der Vergangenheit seit den späten 1960er Jahren mehrfach drastischen Aufwertungsschüben ausgesetzt waren. Deutschland und die Schweiz haben auch eine ähnliche Industriestruktur mit einem großen Gewicht des Maschinenbaues und der chemisch-pharmazeutischen Industrie. Was in der Schweiz fehlt, ist die Autoindustrie. Die Schweizer Kunststoff-, Metall- und Maschinenindustrie ist immerhin ein bedeutender Zulieferant der deutschen Autoindustrie – vor allem für Spezialteile. Durch diesen Vergleich kann exemplarisch gezeigt werden, welche inhärenten Fehler in der deutschen Rentenversicherung enthalten sind und was deren gravierende Folgen sind.

Die deutsche Rentenversicherung ist effektiv speziell im internationalen Vergleich. Sie ist zum ersten kein umfassendes Versicherungssystem. Sie enthält keine Beiträge von Selbständigen oder von Beamten – und entsprechend natürlich auch keine Auszahlungen an die Angehörigen dieser Berufsgruppen. Das ist der Fall seit 1957, als der CDU-Bundeskanzler Konrad Adenauer in Bedrängnis vor den Wahlen eiligst ein Konzept für eine Sozialversicherung entwerfen ließ und dabei weitgehend auf die Empfehlungen eines Outsiders, des Privatdozenten Ludwig Schreiber, zurückgriff. Das Konzept war damals nicht per se falsch. Es war ein großer Fortschritt, vor allem weil es die Indexierung der Renten an die Inflation mit sich brachte. Es hat die Altersarmut der 1950er Jahre zusätzlich durch die Teilhabe am Produktivitätsfortschritt und durch den Inflationsschutz in den 1960er Jahren beseitigt und viel für die soziale Integration gemacht. Eine gute Altersvorsorge  ist sehr wichtig für den Prozess des Wirtschaftswachstums, weil es die Konsum- und Investitionsneigung von Haushalten bzw. von Unternehmen begünstigt.

Eine zweite Besonderheit des deutschen Rentensystems ergibt sich aus dem Erbe der Deutschen Einheit. Seither wird die Rentenversicherung – analog anderen Kassen der Sozialversicherung – durch die Leistungen an zusätzliche Beitragsempfänger belastet, nämlich der Pensionierten in Ost-Deutschland. Diese Rentner haben nie eingezahlt, wurden aber zu sehr vorteilhaften Renten in die Rentenkasse übernommen. Im Rückblick war das genau wie die Aktion von Konrad Adenauer ein Wahlgeschenk, welches der CDU eine sichere Wählerschaft in den Neuen Bundesländern und die Zustimmung zur Deutschen Einheit bescherte. Die als vorsichtig und wirtschaftsfreundlich charakterisierte staatstragende Partei hat also in der Geschichte die großen Pflöcke der Rentenpolitik eingeschlagen und sich damit immer eine stabile Kernwählerschaft geschaffen. Sie ist an Schlüsselstellen der deutschen Nachkriegszeit bedeutende Risiken eingegangen und politisch dafür bis heute belohnt worden.

Auch die Entscheidung, die Rentner in die existierende Kasse aufzunehmen, war nicht per se falsch. Doch dies zu tun, ohne an der Finanzierung grundlegend etwas zu ändern, erweist sich im Rückblick als problematisch. Damit wurde de facto eine Entscheidung gefällt, die Renten für Jahrzehnte unter Druck zu setzen. Denn die Vision der blühenden Landschaften, welche wahrscheinlich auch dieser Entscheidung zu Grunde lag, realisiert sich nicht innerhalb von fünf Jahren, sondern eher von Generationen. Die Realität der Massenarbeitslosigkeit für die ersten 15 Jahre nach der deutschen Einheit wirkt sich dagegen negativ aus. Was zur Finanzierung zusätzlich herangezogen wurde, waren Steuergelder aus der allgemeinen Staatskasse. Sie machen bis heute rund 20-25 Prozent der Einnahmen der Rentenversicherung aus – deutlich erhöht gegenüber den 1980er Jahren und praktisch gleich viel wie zu Beginn der Rentenversicherung.

Das ist ein signifikanter Beitrag, der mehr als 2 Prozent des nominellen Bruttoinlandsprodukts ausmacht. Gegenwärtig erscheint dies angesichts der guten Konjunkturlage unproblematisch. Aber die Ausbaumöglichkeiten der Rentenversicherung sind angesichts der ungünstigen Demografie beschränkt. Mit den Maastricht-Kriterien von 3 Prozent maximalem Budgetdefizit und 60 Prozent Schuldenobergrenze sind der Finanzierung der Renten über die allgemeine Staatskasse enge Grenzen gesetzt. Sobald eine deutliche Verschlechterung der Wirtschaftslage, selbst nur zyklisch, eintreten würde, würde die Rentenfrage wieder auf der Tagesordnung erscheinen.

Der Verzicht auf eine zusätzliche Finanzierungsquelle muss darüber hinaus ein bewusster Grundsatz-Entscheid gewesen sein. Denn damals wurde die private Vorsorge, die betriebliche Vorsorge einerseits und diejenige der Haushalte über Lebensversicherungs-Produkte andererseits anstelle der staatlichen Rentenversicherung propagiert und steuerlich gefördert. Über deren Wirkungen und Leistungsfähigkeit wird noch zu sprechen sein. Mit der Art und Weise der Problemlösung wurde aber quasi die soziale Ungleichheit in die Rentenversicherung hineingetragen. Langfristig wurde sogar die Rentenfrage zu der Grundsatzfrage der deutschen und sogar der europäischen Politik überhaupt gemacht – ohne dass dies den Entscheidungsträgern bis heute bewusst wäre.

Ein weiteres, bis heute wenig beachtetes Merkmal der deutschen Rentenversicherung ist nämlich die weitgehende Absenz von systemstabilisierenden Umverteilungsmechanismen. Typisch für erfolgreiche umlagefinanzierte Systeme sind nämlich Elemente von Umverteilung – genauso wie bei den Steuern. Ein wichtiger Punkt ist, dass mit den Selbständigen und den Beamten zwei gut verdienende einkommensstarke Gruppen als Beitragszahler ausfallen.

Ein zweiter viel wichtigerer Punkt, der den ersten noch verstärkt, betrifft die viel generellere Absenz von Umverteilungsmechanismen von Gut- zu Geringverdienenden. Ein Umlageverfahren enthält von seiner Konstruktion her Umverteilungsmechanismen, die für Nicht-Fachleute kaum identifizierbar sind. Eine Möglichkeit ist, diese transparent zu machen. Ein Umlageverfahren kann auch bewusst zusätzliche Umverteilungs-Mechanismen einbauen, welche das System stabilisieren: Wenn Gutverdienende Beiträge auf ihrem gesamten Lohneinkommen entrichten, so zahlen sie relativ viel ein. Aber sie bekommen typischerweise eine Maximalrente – und damit weniger, als wofür sie einbezahlt haben. Das ist in Deutschland mit der Bemessungsobergrenze nicht der Fall, im Unterschied zu vielen anderen Ländern.

Als Beispiel dafür sei die Schweizerische Alter- und Hinterlassen-Versicherung aufgezeigt, im Volksmund die AHV genannt. Die AHV ist wie in Deutschland die deutsche Rentenversicherung die umlagefinanzierte erste Säule des Rentensystems. Sie ist sehr populär. 2017 allerdings wird eine wichtige Weichenstellung erfolgen.

Wie funktioniert die AHV? Die AHV umfasst die Altersvorsorge, die Versicherung gegen Invalidität sowie gegen Erwerbsausfall durch den Militärdienst. Kern und Großteil ist die Altersvorsorge. Ganz einfach werden auf alle Lohneinkommen, also auch die von Beamten und von Selbständigen, ein linearer Beitragssatz von rund 10 Prozent erhoben, davon 8.4 Prozent für die AHV, hälftig durch Arbeitgeber und Arbeitnehmer bezahlt. Die Belastung für diese erste Säule aus der Alterssicherung liegt also knapp bei 5 Prozent für die Arbeitgeber, ebenso viel für die Arbeitnehmer. Bei ganz tiefen Einkommen aus gelegentlicher Arbeit ist sie noch niedriger, weil die Sätze abfallen. Umgekehrt werden die 10 Prozent für alle und für das gesamte Lohneinkommen bezahlt, also auch für Top-Manager-Einkommen von mehreren Millionen und selbst auf alle Boni-Bestandteile. Viel breiter ist die Spanne der Beitragssätze für Selbständige, wo zwischen  9000 und 56.000 Schweizer Franken ein progressiver Tarif herrscht, der erst ab 56.000 den vollen Beitragssatz erreicht.

Die Leistungen der AHV sind aber begrenzt. Sie bezahlt je nach Beitragsjahren minimal 1175 und maximal 2.350 Schweizer Franken pro Monat für Einzelpersonen und monatlich 3.525 als Ehepaar-Rente. Was aber hinzu kommen kann, sind sogenannte Ergänzungsleistungen. Das sind Leistungen für den Fall, dass Rentner über ein ungenügendes Einkommen verfügen. Diese Ergänzungsleistungen können ganz beträchtliche Größenordnungen erreichen. Sie betragen maximal 19.290 für Einzelpersonen und 28.935 Schweizer Franken für Ehepaare.

Das heißt, das Standard-System der AHV garantiert nur ein Grundeinkommen im Alter, das in aller Regel nicht zur Beibehaltung des bisherigen Lebensstandards ausreicht und sogar ungenügend ist. Daneben gibt es aber in der Schweiz eine gut ausgebaute zweite Säule mit Betriebsrenten, die ebenfalls obligatorisch sind. Diese Betriebsrenten basieren statt auf einem Umlage- auf einem Kapitaldeckungs-Verfahren mit relativ hohen Beitragssätzen, meist 15-30 Prozent des Bruttoeinkommens. Mit diesen Beiträgen wird ein Kapitalstock aufgebaut, aus dessen Erträgen die Renten finanziert werden. Die Verteilung zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbeiträgen variiert, wobei 50 Prozent der typische Fall ist. Bei besonders ‚guten’ Arbeitgebern zahlt dieser auch zwei Drittel der Beiträge, in Einzelfällen noch mehr.

Die Belastung für Arbeitgeber liegt im Normalfall also bei rund 7.5 Prozent des Bruttoeinkommens – wiederum auf allen Einkommen. Für höhere Einkommen sind häufig sogar noch höhere Prozentsätze üblich, vor allem bei bel-étage Konstrukten für das Kader und Top-Management, aber auch rein altersmäßig bei höherem Alter der Beschäftigten. Die Altersvorsorge kombiniert, d.h. gesetzliche AHV und betriebliche Rentenversicherung/Pensionskasse umfassend, ist also progressiv ausgestaltet: Die Beitragssätze steigen mit dem Einkommen, und zwar bis zu den höchsten Einkommensstufen, teilweise stark an.

Für die Altersvorsorge gibt es Individuell eine steuerbegünstigte dritte Säule als Möglichkeit. Die Absicherung durch die drei Säulen reicht für die große Mehrzahl der Haushalte, nach der Pensionierung den bisherigen Lebensstandard beizubehalten. Bei kleinem Einkommen aus dem Erwerbsleben oder aus verschiedenen Gründen (Langzeit-Arbeitslosigkeit, Krankheit oder Invalidität, Schicksalsschläge) ungenügend gewordenem Einkommen können die Rentner AHV-Ergänzungsleistungen beantragen, die ganz erklecklich sein können. Diese Ergänzungsleistungen machen das Renten-System extrem flexibel und können die Armutsrisiken spezifischer Gruppen erheblich reduzieren.

In Deutschland hingegen ist durch die Rentenversicherung (Umlageverfahren) ein Satz von 18.7 Prozent als Beitrag festgelegt, der ebenfalls hälftig von Arbeitgeber und Arbeitnehmer bezahlt wird. Dieser Satz gilt aber nur bis zur sogenannten Beitragsbemessungsgrenze. Aktuell liegt diese bei knapp unter 75.000 Euro (2016). Einfachheitshalber wird hier nur für Deutschland West argumentiert. Der Osten hat bis heute noch etwas niedrigere Werte, was aber nichts an der Argumentation ändert. Die über diese Grenze hinausgehenden Verdienste sind nicht mehr versichert. Für sie müssen auch keine Prämien bezahlt werden. Das Renten-System ist also starr, indem es für jeden Einzelnen genau die Versicherungsleistungen entsprechend seiner vergangenen Beitragszahlungen vorsieht.

Die Wirkung dieses Systems in Deutschland ist, dass die Arbeitskraft für verschiedene Qualifikations- und Lohnstufen unterschiedlich teuer ist. Die Arbeitskraft ist teuer für die niedrigen und mittleren Einkommen bis zur Beitragsobergrenze. Der Arbeitgeber bezahlt für sie 9.35 Prozent in die Rentenversicherung, maximal bei der Beitragsobergrenze rund 7.000 Euro (0.0935 *74.400 Euro). Die Skala der Belastung durch die Rentenversicherung wird degressiv bei Einkommen, welche diese Beitragsbemessungsgrenze übersteigen. Bei einem Einkommen von 100.000 Euro, das einem Salär für einen Siemens- oder VW-Ingenieur entspricht, ist der Satz noch rund 7 Prozent. Bei einem Einkommen von 200.000 Euro – etwa für Frankfurter Bankkader – beträgt der Beitragssatz noch rund 3.5 Prozent, und bei einem Einkommen von 600.000 Euro, Top-Management Vergütung, noch rund 1.2 Prozent.

Diese Grundtendenz wird dadurch noch verstärkt, dass bei den übrigen Sozialversicherungen ganz ähnliche Regeln und Obergrenzen gelten. Dies betrifft vor allem die Krankenversicherung als zweiten großen Brocken – dann auch die Arbeitslosenversicherung und die Pflegeversicherung.

Die prozentuale Belastung durch die gesetzlichen Sozialversicherungen ist also in Deutschland mit steigendem Einkommen degressiv. Der Beitragssatz geht zurück, je höher das Einkommen ist. Der Rückgang beginnt aufgrund der Beitragsbemessungsgrenze der Kranken- und der Pflegeversicherung bei einem Bruttoeinkommen von etwas über 50.000 Euro. Eine zweite Bruchstelle setzt bei einem Bruttoeinkommen von etwas unter 75.000 Euro ein. Dort liegt die Beitragsbemessungsgrenze für die Renten- und für die Arbeitslosenversicherung.

Für die Unternehmen ist Deutschland dadurch ein Paradies für teure und hochqualifizierte Arbeitskräfte. Ihre Belastung durch die gesetzliche Sozialversicherung ist für diese Kategorie von Arbeitskräften gering, auch im internationalen Vergleich. Bei Einkommen von 600.000 Euro sind lediglich rund 2Prozent Beiträge an die gesetzlichen Sozialversicherungen zu entrichten. Hingegen ist Deutschland ein ausgesprochen teures Pflaster für wenig qualifizierte und schlecht bezahlte Arbeitskräfte. Die Belastung der Unternehmen durch die gesetzlichen Sozialversicherungen für diese Kategorie von Arbeitskräften ist hoch – auch im internationalen Vergleich.

Um den Vergleich der Schweiz mit Deutschland zu vertiefen, sollen weitere Elemente angefügt werden. In der Schweiz bezahlen Arbeitgeber und Arbeitnehmer auch Beiträge an die gesetzliche Arbeitslosenversicherung – und zwar 2.2 Prozent für Einkommen bis zu 148.000 Schweizer Franken. Das bezieht somit weit höhere Einkommen mit ein – fast doppelt so hohe wie in Deutschland. Auch diese Beiträge werden hälftig zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer geteilt. Für Einkommen über 148.000 Franken hinaus werden zusätzlich 1 Prozent des Bruttoeinkommens fällig – wiederum hälftig geteilt. Doch die maximale Bezugsrente für Arbeitslosengelder liegt deutlich unter diesem Betrag: bei rund 100.000 Franken. Im Unterschied zu Deutschland enthält also auch die Arbeitslosenversicherung in der Schweiz ein erhebliches Element der Umverteilung. Bis zu den 148.000 Franken sind rund 90 Prozent aller Einkommen enthalten. Es würde im Übrigen nicht schaden, die 2.2 Prozent auf alle Einkommen zu erheben und allenfalls den Beitragssatz durch die verbreiterte Basis leicht zu reduzieren.

Schließlich der wichtigste Punkt. Die Krankenversicherung wird in der Schweiz nicht über die Unternehmen bezahlt. Es gibt vor allem größere Unternehmen, die für ihre Arbeiter und Angestellten Sonderkonditionen für deren Beiträge aushandeln – aber typisch ist die private Versicherung. Der Arbeitnehmer bezahlt also den gesamten Betrag, die Unternehmen sind diesbezüglich entlastet, wenn sie nicht freiwillig bezahlen. Das ist ein wichtiger Punkt, der aber ein große Ungerechtigkeit mit sich bringt.

Die durchschnittlichen Beiträge für die AHV/IV/EO plus für die Arbeitslosenversicherung sind gering, mit je 6 Prozent für Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Hinzu kommen die Pensionskassen-Beiträge von je 7.5 bis zu 15 Prozent. Total bezahlt ein Arbeitgeber oder Arbeitnehmer also rund 13.5 Prozent im Minimum – rund 21 Prozent im Maximum. Diese Beiträge beziehen sich auf alle Einkommen gleich welcher Höhe. Die Beitragssätze sind vor allem bei den betrieblichen Pensionskassen stark progressiv. Mit steigendem Alter und Einkommen der Beschäftigten erhöhen sich die Beitragssätze. Das Renten-System ist außerdem nicht starr, sondern hat eine extrem hohe Flexibilität durch die Ergänzungsleistungen für  die Alters- und für die Invalidenversicherung. Anpassungen erfolgen dort, wo sie spezifisch benötigt werden, und müssen nicht über Anpassungen der Standard-Beitragssätze allein vorgenommen werden.

Das sind die Vorteile des schweizerischen Systems: Dem stehen auch massive Nachteile gegenüber. Eine weitere Asymmetrie ist im schweizerischen System enthalten: Die Selbständigen bezahlen auch die Arbeitslosenversicherung, sowohl Arbeitnehmer- wie Arbeitgeberbeiträge, haben aber kein Recht auf Arbeitslosenunterstützung, wenn sie scheitern oder keine Beschäftigung haben – grober Verstoß gegen die Logik einer Versicherung.

Insgesamt ist das schweizerische Renten-System ein System mit konstant niedrigen Beitragssätzen, dafür aber bis in hohe und höchste Saläre. Dadurch hält es die Lohnnebenkosten für niedrige Löhne tief. Entsprechend gab es in der Schweiz immer eine niedrige Arbeitslosigkeit – vor allem auch gering Qualifizierter.

In Deutschland dagegen sind die Lohnnebenkosten für niedrige Löhne hoch, weil das degressive Sozialversicherungssystem ausgerechnet diesen Arbeitskräften die höchsten prozentualen Belastungen auferlegt. Entsprechend hat die Arbeitslosigkeit seit den 1970er Jahren bedingt durch die Aufwertungen der Mark in jedem Zyklus zugenommen – bis zu Kanzler Schröders Agenda 2010. Im nächsten Artikel werden wir uns die Wirkungen der beiden verschiedenen Arten von Renten-System im Detail betrachten.


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