Politik

EU-Parlament stimmt für Ende der Beitrittsgespräche mit Türkei

Lesezeit: 2 min
06.07.2017 14:11
Die Abgeordneten des EU-Parlaments haben sich für ein Aussetzen der Beitrittsverhandlungen mit der Türkei ausgesprochen.
EU-Parlament stimmt für Ende der Beitrittsgespräche mit Türkei

Mehr zum Thema:  
Europa >
Benachrichtigung über neue Artikel:  
Europa  

Das Europaparlament hat eine offizielle Aussetzung der Beitrittsgespräche mit der Türkei für den Fall gefordert, dass die umstrittene Verfassungsreform in dem Land umgesetzt wird, berichtet AFP. Die EU-Kommission und der Rat der Mitgliedsstaaten müssten dann „unverzüglich“ handeln, verlangte das Parlament am Donnerstag in einer Entschließung.

Darin äußerte es harsche Kritik am Demokratieabbau in der Türkei seit dem gescheiterten Putschversuch vom Juli vergangenen Jahres. Die im Rahmen des Notstands ergriffenen Maßnahmen hätten „unverhältnismäßige und lange anhaltende negative Auswirkungen“ für viele Bürger und die Grundrechte im Lande.

Die mit großer Mehrheit angenommene Entschließung des Parlaments erinnert unter anderem an die Massenentlassungen und -inhaftierungen von Beamten, Richtern, Wissenschaftlern, Menschenrechtsaktivisten und Journalisten seit dem Putschversuch.

Besonders besorgt äußerte sich das Parlament über die Lage in dem vorwiegend von Kurden bewohnten Südosten der Türkei. Verschiedenen Berichten zufolge seien aus der Region zwischen Juli 2015 und Dezember 2016 eine halbe Million Menschen vertrieben worden. Etwa 2000 Menschen seien bei Einsätzen der Armee getötet worden.

Die Türkei habe sich längst von Europa abgewandt, sagte der Vorsitzende der Fraktion der christdemokratischen Europäischen Volkspartei (EVP), Manfred Weber (CSU). Die Beitrittsgespräche müssten gestoppt und durch einen „neuen Partnerschaftsprozess“ ersetzt werden. „Wir müssen fair und ehrlich miteinander umgehen und sollten uns nicht länger gegenseitig zum Narren halten.“

Der FDP-Abgeordnete Alexander Graf Lambsdorff forderte Deutschland und die anderen EU-Staaten auf, das „starke Signal“ des Europaparlaments nicht zu ignorieren und die Beitrittsverhandlungen auszusetzen. Der Dialog mit der Türkei solle nicht abgebrochen, sondern auf eine „ehrliche Grundlage“ gestellt werden. Es könne nicht angehen, dass die Regierung unter Präsident Recep Tayyip Erdogan „westliche Werte mit Füßen tritt und gleichzeitig Jahr für Jahr EU-Beitrittshilfen kassiert“.

Solange Präsident Erdogan die „brutale Verfolgung von Oppositionellen und unabhängigen Journalisten“ fortsetze, könne es keine Beitrittsgespräche geben, sagte die Ko-Vorsitzende der Grünen, Ska Keller.

Die geplante Verfassungsreform, der die Türken am 16. April per Referendum mit knapper Mehrheit zugestimmt haben, soll die Machtbefugnisse des Präsidenten deutlich ausweiten und die Unabhängigkeit der Justiz einschränken. Die Venedig-Kommission des Europarats, der angesehene Verfassungsexperten angehören, sieht darin eine Gefahr für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit.

Der türkische Europaminister Ömer Çelik kritisierte den Beschluss des EU-Parlaments scharf. Bereits am Mittwoch hatte das EU-Parlament damit begonnen, eine Debatte über den aktuellen Fortschrittsbericht zum Beitritt der Türkei zu führen.

Auf der Webseite des türkischen Europaministeriums wurde eine Stellungnahme veröffentlicht. Darin schreibt Çelik: „Wir lehnen den Bericht des EU-Parlaments ab. Er ist nicht verbindlich. Wir werden den Bericht ohne eine Prüfung zurückweisen. Wir haben immer einen sehr großen Wert auf Objektivität und Parteilosigkeit gelegt. Zudem schreckten wir niemals vor Kritik zurück. Stattdessen haben wir immer versucht, Kritiken als Anlass zu Verbesserungen heranzuziehen. Doch dieser Bericht ist weit entfernt von diesen Maßstäben.“

Die Kritik des türkischen Europaministers richtete sich direkt an das EU-Parlament. Die regierungsnahe türkische Zeitung Stargazete titelt: „Harte Reaktion des Europaministers Çelik auf die Skandal-Entscheidung des EU-Parlaments“. Die oppositionelle Zeitung Sözcü titelt: „Kritische Abstimmung im EU-Parlament. Schock für die Türkei.“

Johannes Hahn, EU-Kommissar für Erweiterungsfragen, befindet sich aktuell in der Türkei und hatte sich am Donnerstagvormittag mit dem türkischen Premierminister Binali Yıldırım getroffen. Der staatliche türkische Sender TRT berichtet, dass das Treffen eine Stunde lang dauerte. Hahn setzt sich dafür ein, dass die EU und die Türkei ihre Kooperation auf eine andere als die Beitritts-Ebene stellen. Doch die Regierung in Ankara lehnt dies ab, so Milliyet. Der türkische Europaminister sagte am Donnerstagnachmittag dazu: „Es widerspricht der Natur der Beziehungen zwischen der EU und der Türkei, die Beziehungen auf eine andere Ebene als die der Beitrittsgespräche zu stellen. Wenn jedoch alle 28 EU-Mitglieder ordnungsgemäß einen Abbruch der Gespräche wünschen, so ist dies eine andere Sache“.

Nach Vorgaben der EU können Beitrittsgespräche nur dann wirksam abgebrochen werden, wenn alle 28 EU-Mitglieder diesem Schritt zustimmen.


Mehr zum Thema:  
Europa >

Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Die Edelmetallmärkte

Wegen der unkontrollierten Staats- und Unternehmensfinanzierung durch die Zentralbanken im Schatten der Corona-Krise sind derzeitig...

DWN
Politik
Politik DWN-Kommentar: Deutsche müssen über Abschiebungen diskutieren - mit aller Vorsicht
26.04.2024

Liebe Leserinnen und Leser, jede Woche gibt es ein Thema, das uns in der DWN-Redaktion besonders beschäftigt und das wir oft auch...

DWN
Politik
Politik Tourismus-Branche: „In Hotellerie und Gastgewerbe ist noch nichts wieder in Ordnung“
26.04.2024

Die deutsche Tourismus-Branche, also Hotellerie und Gastronomie, firmiert neuerdings unter dem neuen Sammelbegriff „Gastwelt“ - auch um...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Bürokratieabbau: Ministerin fordert mehr Widerstandsfähigkeit und Effizienz
26.04.2024

Rheinland-Pfalz ist ein mittelständisch geprägtes Land. Gerade kleinere Betriebe hadern mit zu viel bürokratischem Aufwand.

DWN
Politik
Politik Hybride Bedrohungen: Drohnen-Flüge und psychologische Kriegsführung
26.04.2024

Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius hat eindringlich vor hybriden Bedrohungen in Deutschland gewarnt. Gegen den Einsatz von...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Gallup-Studie: Globale Führungsbewertung 2024 - wie Deutschland unter Großmächten abschneidet
26.04.2024

Die Gallup-Studie 2024 zeigt die Stabilität und Herausforderungen in der globalen Führungsbewertung für Länder wie USA, Deutschland,...

DWN
Politik
Politik Habeck kontert Kritiker: „Energiekrise gemeistert und Strompreise gesenkt“
26.04.2024

Nach Kritik an Atomausstieg: Habeck und Lemke bestätigen, die Energieversorgung sei gesichert und nukleare Sicherheit gewährleistet.

DWN
Technologie
Technologie Künstliche Intelligenz: Wie sich Deutschland im internationalen Rennen positioniert
26.04.2024

Die Deutsche Industrie macht Tempo bei der KI-Entwicklung. Das geht aus einer kürzlich veröffentlichten Analyse des Deutschen Patent- und...

DWN
Immobilien
Immobilien Commerzbank-Studie: Immobilienpreise könnten weiter fallen
26.04.2024

Deutsche Wohnimmobilien verlieren weiter an Wert. Die Commerzbank sieht ein Abwärtspotenzial von 5 bis 10 Prozent, abhängig von...