Daimler will gegen Diesel-Betrugsvorwürfe mit "allen rechtlichen Mitteln" vorgehen. "Auf Basis der uns vorliegenden Informationen würden wir gegen den Vorwurf einer illegalen Abschalteinrichtung durch das KBA (Kraftfahrt-Bundesamt) mit allen rechtlichen Mitteln vorgehen", erklärte der Konzern am Freitag. Der "Spiegel" berichtete, Bundesverkehrsministerium und KBA prüften schon seit Wochen Dieselautos von Daimler. Die staatlichen Prüfer vermuteten, dass in Mercedes-Modellen illegale Abschalteinrichtungen verbaut seien und zeigten sich optimistisch, das bald nachweisen zu können. Das Verkehrsministerium bestritt jedoch, dass es schon seit längerem konkrete Hinweise auf Illegales gegeben habe und man diese prüfe. Die Untersuchungen würden nach den neuen Hinweisen aufgenommen. "Das Ergebnis der Untersuchung bleibt abzuwarten", erklärte ein Sprecher des KBA.
Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt hatte am Donnerstag Vertreter von Daimler zum Gespräch zitiert. Er reagierte damit auf einen Bericht von "Süddeutscher Zeitung", NDR und WDR, wonach die Staatsanwaltschaft Stuttgart illegale Manipulation durch Abschalteinrichtungen von mehr als einer Million Dieselautos von Daimler vermutet. Die Fahrzeuge mit den Motoren OM 642 und OM 651 seien von 2008 bis 2016 in Europa und den USA verkauft worden. Eine Software sorge bei ihnen dafür, dass die die Abgasreinigung bei amtlichen Messungen auf dem Prüfstand an- und auf der Straße weitgehend ausgeschaltet sei. Das gehe aus dem Durchsuchungsbeschluss zur Großrazzia von Ende Mai hervor.
Bei dem Gespräch am Donnerstag in Berlin habe der Konzern durch Entwicklungsvorstand Ola Källenius versichert, dass sich Daimler rechtskonform verhalten habe, erklärte der Sprecher des Verkehrsministeriums. Nach dem Bericht des "Spiegel" drohte das Ministerium den Schwaben, eine weitere Rückrufaktion einzuleiten. Dem widersprachen das Unternehmen und auch das Ministerium: "Daimler wurde von Seiten des Kraftfahrtbundesamtes nicht mit einem Rückruf gedroht", sagte ein Sprecher.
Mercedes muss bereits seit dem Frühjahr 2016 knapp 250.000 Fahrzeuge zurückrufen und die Abgasbehandlung nachbessern. Das war Folge der ersten Untersuchung des Amtes, die schon kurz nach Ausbruch des VW-Dieselskandals im Herbst 2015 eingeleitet worden war. Im vergangenen Jahr waren die Behörden zu dem Schluss gekommen, dass Daimler und ein Dutzend andere Hersteller eine Ausnahmeklausel im EU-Recht überstrapazierten. Nach der ist das Aussetzen der Abgasreinigung von Stickoxid zeitweise erlaubt, wenn der Motor sonst beschädigt würde. Als Rechtsverstoß galt das Ausnutzen dieses "Thermofensters" bisher nicht. Insgesamt mussten die deutschen Hersteller - bis auf BMW - aber rund 630.000 Fahrzeuge zurückrufen. Die Vorwürfe der Staatsanwälte sollen sich wiederum vor allem auf die bisherigen Erkenntnisse des KBA stützen, wie der "Spiegel" außerdem mit Verweis auf Justizkreise berichtete.
Die seit langer Zeit ungelöste Frage, ob die gedrosselte Abgasreinigung erlaubt war oder nicht, hat das Ansehen der Autoindustrie schon beschädigt. In der Politik wächst die Angst, dass der von VW ausgelöste Skandal immer weitere Kreise zieht. "Wenn sich herausstellen sollte, dass ein weiterer deutscher Weltkonzern seine Kunden und Behörden betrogen hat, dann wäre das ein deutlicher Schaden für den gesamten Industriestandort Deutschland", sagte der Verbraucherschutz-Staatssekretär im Bundesjustizministerium, Ulrich Kelber (SPD), dem "Handelsblatt".
Der Verkehrsminister von Baden-Württemberg, Winfried Hermann, sprach im "Deutschlandfunk" von einer "Glaubwürdigkeitskrise der Branche": "Die deutsche Automobilindustrie hat in Deutschland, in Europa, weltweit ihre Kunden schwer enttäuscht und teilweise betrogen." Es sei deshalb allerhöchste Zeit, dass sie etwas gut mache. Die Branche müsse "einen großen Beitrag" dazu leisten, um die Krise zu überwinden und in den Städten für sauberere Luft zu sorgen. Die Nachrüstung von Dieselautos, mit deren Hilfe Fahrverbote in Innenstädten vermieden werden sollen, müsse "eine echte und eine wirksame sein". Hermann pochte auf eine vollständige Kostenübernahme durch die Hersteller. Am 2. August wollen Bundesregierung und Autoindustrie beraten, wie über eine Nachrüstung älterer Dieselautos Fahrverbote in Ballungsräumen vermieden werden können.
Landesverkehrsminister Hermann nannte die Vorwürfe gegen Daimler schwerwiegend und die Untersuchung der Staatsanwälte irritierend. Daimler habe so wie die anderen Autobauer im Südwesten kurz nach Ausbruch des VW-Dieselskandals gegenüber der Landesregierung erklärt, auf gar keinen Fall vergleichbare Manipulationen wie Volkswagen vorgenommen zu haben. "Nie und gar nicht, und wir waren immer legal", habe die Antwort damals gelautet. Die Justiz müsse jetzt klären, ob es wirklich illegale Abschalteinrichtungen bei Daimler gewesen seien, und wer im Management dafür verantwortlich sei.
Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) argwöhnt wegen eigener, von der Autoindustrie angezweifelten und amtlich nicht bestätigten Messungen schon lange, dass Daimler und andere Hersteller bei der Abgasreinigung tricksen. "Wir kennen im Moment keinen Hersteller, der sauber ist", sagte DUH-Chef Jürgen Resch Reuters. Er sei nicht mehr sicher, ob die Diesel-Industrie noch eine Zukunft habe. Die DUH habe "ganz starke Indizien für Abschalteinrichtungen bei vielen Autobauern gefunden". Es gebe keine andere technische Erklärung dafür, als dass die Abgaswerte auf den Prüfständen eingehalten und auf der Straße nicht.