Politik

EU droht Polen: Keine Steuergelder für „Errichtung von Diktatur“

Der Ton zwischen der polnischen Regierung und der EU wegen der Justizreform wird schärfer.
19.07.2017 05:49
Lesezeit: 2 min

Als Reaktion auf den Umgang der polnischen Regierung mit dem Gerichtswesen des Landes hat die EU-Justizkommissarin Vera Jourova den Entzug von EU-Fördergeldern angedroht. "Ich kann mir nicht vorstellen, dass etwa deutsche oder schwedische Steuerzahler für die Errichtung einer Art von Diktatur in einem anderen EU-Land bezahlen wollen", sagte Jourova der Neuen Osnabrücker Zeitung.

Zur Sprache kommen müsse nun die "Einhaltung von Grundrechten und rechtsstaatlichen Prinzipien als Bedingungen dafür, dass ein EU-Staat Geld vom europäischen Steuerzahler bekommt", sagte die tschechische Kommissarin. Es gehe dabei nicht um laufende Gelder, sondern erst um die Mittel der nächsten Förderperiode, die im Jahr 2021 beginnt.

Jourova kritisierte die Maßnahmen der rechtsnationalistischen Regierung in Warschau im Justizbereich scharf: "Wir sehen eine systematische Abschaffung der Rechtsstaatlichkeit in Polen, weil das Machtgleichgewicht zwischen Judikative und Exekutive zerstört wird."

Da das von der EU-Kommission eingeleitete Rechtsstaatsverfahren voraussichtlich keine Sanktionen haben werde, müssten neue Druckmittel erwogen werden: "Der Entzug von Fördergeldern ist ein harter Schritt, aber wir müssen über harte Schritte nachdenken", sagte Jourova.

Die Regierung stößt mit ihren umstrittenen Plänen auch auf Widerstand bei Präsident Andrzej Duda. Der Staatschef verlangte am Dienstag unerwartet eine Überarbeitung des kürzlich verabschiedeten Gesetzes, mit dem die Regierung ihren Einfluss auf die Besetzung von Richterstellen massiv ausweiten will. Unterstützung bekam Duda am Abend von tausenden Demonstranten. Die Regierung will aber an ihren Plänen festhalten.

Präsident Duda erläuterte seine Bedenken im polnischen Fernsehen. Das Gesetz wirke in der jetzigen Form "wie ein politisches Diktat" bei der Richterbesetzung, kritisierte Duda. Die Justiz dürfe nicht von einer politischen Partei instrumentalisiert werden. Er drohte damit, auch die geplante Reform des Obersten Gerichts zu blockieren.

Das Gesetz sieht vor, dass das Parlament künftig über die Besetzung des Landesrichterrats entscheiden soll. Das Parlament wird von der rechten Regierungspartei PiS dominiert, aus deren Lager auch Präsident Duda kommt. Dem bislang als unabhängig geltenden Rat obliegt wiederum die Besetzung der Richterposten an den ordentlichen Gerichten im Land.

Duda äußerte die Sorge, die Reform könne zu einer parteipolitischen Unterwanderung der Justiz führen. Der Richterrat dürfe nicht "einer einzigen Partei, einer einzigen Gruppierung unterworfen werden", sagte er. "Das ist nicht zulässig."

Als Kompromiss schlug er vor, die Mitglieder des Landesrichterrats künftig mit 60-Prozent-Mehrheit vom Parlament wählen zu lassen. Damit wäre die PiS für ihre Personalvorschläge auch auf Stimmen anderer Parteien angewiesen. Das Gesetz war bereits vergangene Woche im Parlament verabschiedet worden, kann ohne Dudas Unterschrift aber nicht in Kraft treten.

Ministerpräsidentin Beata Szydlo ließ am Abend keine Bereitschaft zum Einlenken erkennen. Die Partei werde "die Reformen ganz zu Ende bringen", sagte sie vor Abgeordneten.

Duda kündigte an, auch die von der Regierung angestrebte Neuordnung des Obersten Gerichts zu blockieren, wenn das Gesetz zum Landesrichterrat nicht geändert werde. Die Regierung strebt an, das Oberste Gericht ganz unter die Kontrolle des PiS-Justizministers zu stellen. Die Opposition hat diese Pläne als "Ankündigung eines Staatsstreichs " bewertet.

Präsident Duda zählt eigentlich zum politischen Lager der PiS. Deren umstrittenen Projekte hat er bislang in der Regel mitgetragen.

In mehreren polnischen Städten gingen am Abend wieder tausende Menschen auf die Straßen, um für den Bestand der Rechtsstaatlichkeit in Polen zu demonstrieren. Mit Kerzen in der Hand formierten sie sich in Warschau zu einer Lichterkette und forderten Duda auf, die Pläne der Regierung mit einem Veto zu stoppen. "Freie Gerichte, wir wollen ein Veto!", skandierten sie.

Auch außerhalb Polens wächst die Sorge um den Bestand von Demokratie und Rechtsstaat in Polen. Europäische Politiker und Institutionen forderten die Regierung in Warschau am Dienstag eindringlich zum Verzicht auf die Gesetzesvorhaben auf, welche die Unabhängigkeit der Justiz in Frage stellen.

Europarats-Präsident Thorbjörn Jagland forderte von Polen Respekt für die europäischen Justiznormen. Er erinnerte daran, dass Polen als Mitglied des Europarats dessen Prinzipien folgen müsse. "Eine effiziente, unparteiische und unabhängige Justiz ist das Fundament jedes Systems demokratischer Kontrolle", erklärte Jagland.

Der Menschenrechtskommissar des Europarats, Nils Muiznieks, bezeichnete den Entwurf als weiteren Beleg "für eine beunruhigende Tendenz hin zum Autoritarismus" in Polen. "Das Vorhaben der polnischen Regierung zielt darauf ab, die Justiz unter ihre Kontrolle zu bringen."

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