Politik

US-Sanktionen: Rechtliche Möglichkeiten der EU sind begrenzt

Lesezeit: 4 min
03.08.2017 01:18
Das Völkerrecht gibt der EU nur wenig an die Hand, um gegen die US-Sanktionen gegen Russland vorzugehen.
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Die Bundesregierung sieht in dem US-Sanktionsgesetz gegen Russland, das am 2. August 2017 von US-Präsident Donald Trump unterzeichnet wurde, einen Verstoß gegen das Völkerrecht.

Ein Sprecher des Bundeswirtschaftsministeriums (BMWI) sagte den Deutschen Wirtschafts Nachrichten:

"Das Gesetz zu Russlandsanktionen sieht sogenannte extraterritoriale Sanktionen vor. Extraterritoriale Sanktionen knüpfen Wirkungen an ein Handeln, die außerhalb des US-Hoheitsgebiets, durch Staatsangehörige/Unternehmen anderer Staaten vorgenommen werden, die auch im Übrigen keinen Bezugspunkt zur US-Hoheitsgewalt aufweisen (sog. ,secondary sanctions'). Solche extraterritorialen Sanktionen können auch die Energieunternehmen in Deutschland und Europa treffen. Extraterritoriale Sanktionen verstoßen nach unserer Auffassung gegen das Völkerrecht. Wir lehnen diese daher ab. Das Gesetz räumt dem US-Präsidenten gewisse Spielräume ein. Auch sollen vor der Verhängung von Sanktionen die Alliierten, insbesondere die EU konsultiert werden. Wir stehen jederzeit zu einem Dialog bereit. Ein gutes Signal ist, dass Außenminister Tillerson angekündigt hat, mit den europäischen Partnern zu sprechen. Wenn die USA tatsächlich extraterritoriale Sanktionen verhängen, ist es an der Europäischen Union, zu prüfen, welche angemessenen Reaktionen zu treffen sind. Hierzu stehen wir mit der EU-Kommission im Austausch. Inwieweit deutsche Unternehmen betroffen sein werden, hängt davon ab, welche konkreten Maßnahmen die USA ergreifen. Das können wir nicht prognostizieren."

Ciarán Burke, Professor für Internationales Recht an der Friedrich-Schiller-Universität Jena, erläutert im Gespräch mit den Deutschen Wirtschafts Nachrichten die völkerrechtliche Problematik. Und hier zeigt sich, dass das Völkerrecht nur bedingt Handhabe gegen die US-Sanktionen bietet.

Das Problem beginnt bereits mit der Frage, ob die USA überhaupt berechtigt sind, Sanktionen zu verhängen. Burke: "Gewaltfreie Gegenmaßnahmen (auch: Repressalie; Countermeasure) sind grundsätzlich als Antwort eines Staates auf eine völkerrechtswidrige Handlung eines anderen Staates zulässig und haben unter anderem Anerkennung durch den Internationalen Gerichtshof (IGH) und die International Law Commission erhalten. Gegenmaßnahmen sind unter folgenden Voraussetzungen zulässig: Vorangegangener völkerrechtswidriger Akt des Adressaten, vorangegangene Warnung des Adressaten vor der Vornahme von Gegenmaßnahmen, Gegenmaßnahme ist gerichtet auf das Einwirken zur Wiederherstellung der Rechtmäßigkeit, Angemessenheit der Maßnahme." Die USA berufen sich in ihrem Gesetz auf die "Annexion" der Krim, die, wenn sie eine solche gewesen ist, einen Verstoß gegen das Völkerrecht darstellen würde. Allerdings gibt es auch eine andere Sichtweise: Dass nämlich die Mehrheit der Krim-Bevölkerung von ihrem Recht auf Selbstbestimmung Gebrauch gemacht hat und es sich daher beim Beitritt der Krim zur Russischen Föderation nicht um einen völkerrechtswidrigen Akt gehandelt habe.

Doch die neuen US-Sanktionen betreffen nicht nur Russland. Burke:

"Die Frage der Legalität von Gegenmaßnahmen, die dritte Parteien schädigen, sind mit den jüngsten Sanktionen der USA gegen Russland vom 12. Juni 2017 aufgekommen, hinsichtlich derer innerhalb der EU durch Frankreich, Deutschland und die EU selbst Besorgnis und Gegenreaktionen geäußert haben, sollten sie durch die Sanktionen geschädigt werden.

Vorausgesetzt, die Sanktionen der Vereinigten Staaten gegenüber Russland sind rechtmäßig, stellt sich die Frage, welche Wirkung sie gegenüber Dritten entfalten. Gemäß Art. 22 ARS ist bei rechtmäßigen Gegenmaßnahmen die Rechtswidrigkeit im Völkerrecht ausgeschlossen; eigentlich rechtswidrige Akte werden somit zu rechtmäßigen Handlungen. Allerdings greift dies dem Wortlaut nach nur in Verhältnis zum ersten Staat.

Berührt die Gegenmaßnahme also die Rechte dritter Staaten, ist hier die Rechtswidrigkeit nicht ausgeschlossen. Dies hätte eine Entschädigungsverpflichtung des reagierenden Staates zur Folge. Ausgeschlossen ist eine nur indirekte Verletzung oder eine Beeinträchtigung, die nur eine Konsequenz der Maßnahmen gegen den Adressaten der Repressalie ist.

Zu einem anderen Ergebnis führt die Beeinträchtigung von reinen Interessen anderer Staaten, auf die kein rechtlicher Anspruch besteht, bei denen keine Verletzung von Völkerrecht vorliegen soll. Die Kommentierung der Artikel zur Staatenverantwortlichkeit nennen hierfür auch indirekte Folgen des internationalen Handels."

Demnach sind die Möglichkeiten der Europäer, sich gegen die Sanktionen zu wehren, begrenzt: Denn gerade im Energie-Krieg zwischen den USA und Russland geht es vornehmlich um Interessen. Auch die Position der EU dürfte nur mit Mühe dahingehend argumentiert werden, dass es um Rechtspositionen und nicht nur um Interessen geht. Zwar können die etwa mit der Pipeline Nord Stream 2 befassten Unternehmen ihre vertraglichen Ansprüche geltend machen und Entschädigung fordern, allerdings sind solche Verfahren in der Regel langwierig, teuer und von der politischen Großwetterlage abhängig.

Diese ist im Falle Russlands nicht eindeutig: Einige Staaten wie die Balten und die Polen sind für ein hartes Vorgehen. Die Pipeline Nord Stream 2 wird von den meisten Staaten skeptisch beäugt – sie sehen darin einen Alleingang Deutschlands. Gerade nach der Griechenland- und der Flüchtlingskrise ist die Bereitschaft, Deutschland entgegenzukommen, in Osteuropa eher mäßig ausgeprägt.

Zudem sind einzelne Osteuropäer wie etwa die Polen fest im transatlantischen Lager: US-Präsident Trump hatte vor seiner Teilnahme am G20-Gipfel ostentativ Warschau besucht und mit der polnischen Regierung über eine enge Zusammenarbeit im Energiebereich gesprochen. Die Polen sind gegen Nord Stream 2, weil sie selbst eine europäischer Energie-Hub werden wollen und die damit verbundenen lukrativen Transitgebühren einstreichen wollen.

Auch die EU-Kommission hat wenig Spielraum, es allen recht zu machen.  Jean-Claude Juncker zeigte sich daher laut Reuters "grundsätzlich zufrieden", dass das US-Gesetz auf "Drängen der EU entschärft worden" sei. Die Drohung mit Gegensanktionen klingt nun, da die Fakten auf dem Tisch liegen, schon weniger energisch als noch vor einigen Tagen. Juncker laut Reuters: "Sollten europäische Interessen nicht berücksichtigt werden, behalte sich die EU jedoch Gegenmaßnahmen vor."

Prof. Dr. Hans-Georg Dederer, Völkerrechtler von der Universität Passau, sagte den Deutschen Wirtschafts Nachrichten:

Das Völkerrecht verbietet den USA nicht generell, ausländische Unternehmen und deren Tätigkeit im Ausland den eigenen US-amerikanischen Gesetzen zu unterwerfen. Das Völkerrecht setzt derartiger „extraterritorialer“ Regelungsgewalt des US-Gesetzgebers aber Grenzen. Die exakte Bestimmung dieser Grenzen ist schwierig. Für ausreichend erachtet wird, dass die sich auf ausländische Sachverhalte erstreckende US-Sanktionsgesetzgebung eine verständige, sachgerechte Anknüpfung hat. An einer solchen Anknüpfung dürfte es fehlen:

- Eine territoriale Anknüpfung (zum US-amerikanischen Staatsgebiet) dürfte sich nicht darstellen lassen, weil und soweit die ausländischen Unternehmen im Zusammenhang mit den russischen Energieprojekten allein im Ausland tätig werden und diese Auslandstätigkeit auch keine wesentlichen, gewichtigen oder unmittelbaren Wirkungen im Inland der USA hat.

- Eine personale Anknüpfung (wegen US-Staatsangehörigkeit bzw. -Staatszugehörigkeit) dürfte sich ebenso wenig darstellen lassen, weil und soweit die von den US-Sanktionen betroffenen ausländischen Unternehmen nicht die US-Staatszugehörigkeit besitzen und die US-Sanktionen auch nicht dem Schutz von Personen bzw. Unternehmen mit US-amerikanischer Staatsangehörigkeit bzw. -Staatszugehörigkeit dienen.

- Eine Anknüpfung an den Schutz wesentlicher öffentlicher (z.B. Sicherheits-) Belange der USA dürfte sich gleichfalls nicht darstellen lassen, weil und soweit die Sanktionen Russland wegen dessen Verhalten im Zusammenhang mit der Ukrainekrise (Ostukraine, Krim) treffen sollen. Gedacht werden könnte noch an den Schutz der innerstaatlichen demokratischen Willensbildung in den USA vor Einflussnahmen durch Russland. Allerdings dürfte sich kaum in nachvollziehbarer Weise darstellen lassen, inwiefern die Beteiligung ausländischer Unternehmen an russischen Energieprojekten als solche diesen (zweifellos wesentlichen) öffentlichen Belang der USA unmittelbar und ernstlich gefährden könnte.

Auch wenn danach eine verständige, sachgerechte Anknüpfung der „extraterritorialen“, d.h. ausländische Sachverhalte erfassenden US-Sanktionsgesetzgebung fehlt, muss die völkerrechtliche Bewertung differenziert ausfallen:

- Soweit eine verständige, sachgerechte Anknüpfung fehlt, wäre die US-Sanktionsgesetzgebung an sich als völkerrechtswidrig einzustufen. Allerdings dürfte die völkerrechtliche Problematik insofern entschärft worden sein, als die US-Sanktionsgesetzgebung der US-Exekutive offenbar gewisse Spielräume gewährt, z.B. bei der Feststellung der die Sanktionen auslösenden gesetzlichen Tatbestände oder bei der Entscheidung darüber, ob und wie von einer Sanktionsermächtigung Gebrauch gemacht werden soll. Solche Spielräume könnten von der US-Exekutive unter Umständen so genutzt werden, dass Völkerrechtsverstöße vermieden werden oder dass wichtige Handelspartner (wie die EU) jedenfalls keinen Anlass zu Abwehrmaßnahmen sehen.


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