Das Wachstum in der britischen Volkswirtschaft beginnt sich deutlich zu verlangsamen, berichtet die Nachrichtenagentur Reuters. Das Bruttoinlandsprodukt wuchs zwischen April und Juni nur um 0,3 Prozent, wie das Statistikamt am Mittwoch in London mitteilte. Eine erste Schätzung wurde bestätigt. Zu Jahresbeginn war das Plus mit 0,2 Prozent sogar noch geringer ausgefallen. In den Quartalen zuvor war das Wachstum mit 0,7 Prozent in den Monaten Oktober bis Dezember 2016 und 0,5 Prozent im Zeitraum Juli bis September 2016 noch deutlich stärker.
Das Wirtschaftswachstum in den ersten sechs Monaten des laufenden Jahres war damit das schwächste seit dem Jahr 2012, berichtet Bloomberg. Das britische Statistikamt sprach davon, dass sich das Wachstum „markant abgeschwächt“ habe.
Die Wirtschaftsleistung auf der Insel hinkt damit der Euro-Zone inzwischen deutlich hinterher, die lange Zeit selbst als konjunktureller Nachzügler galt. Insbesondere am Bau und im Verarbeitenden Gewerbe herrschte im Frühjahr in Großbritannien Flaute.
Eine negative Überraschung gab es auch beim privaten Konsum, welcher im zweiten Quartal 2017 den Angaben zufolge ein überraschend schwaches Wachstum von 0,1 Prozent im Quartalsvergleich verzeichnete, während das Wachstum der Staatsausgaben mit 0,6 Prozent doppelt so stark wie erwartet ausfiel. Das Konsum-Wachstum von 0,1 Prozent war der schwächste Quartalswert seit dem Jahr 2014, berichtet Bloomberg. Seit Monaten ist zu beobachten, dass sich die britischen Kunden zunehmend zurückhalten oder auf billigere Produkte umsteigen.
„Das beraubt die Volkswirtschaft ihrer stabilsten und wichtigsten Säule der Unterstützung in den vergangenen zwei Jahren und bestätigt Warnungen des Vorsitzenden der Bank of England, Mark Carney, dass die Konsumenten derzeit fast am Ende ihrer Ausgabemöglichkeiten angelangt sind“, schreibt Bloomberg.
Einer Studie des Meinungsforschungsinstituts YouGov zufolge sind die konjunkturellen Aussichten alles andere als rosig. Den Verbrauchern macht die nach dem Austritts-Votum von Mitte 2016 anziehende Inflation zu schaffen, weil die Lohnzuwächse mit der Teuerungsrate nicht mehr mithalten können. Dies bekommen auch die Einzelhändler zu spüren: Einer Umfrage des Industrieverbands CBI zufolge berichteten im August nur 34 Prozent der Befragten von steigenden Umsätzen im Vergleich zum Vorjahr. 44 Prozent hatten hingegen weniger in der Kasse. Der entsprechende Saldo lag bei minus zehn Punkten und damit so niedrig wie seit Juli 2016 nicht mehr.
Laut Manager Giacomo Barisone von der Rating-Agentur Scope hat die Entscheidung Großbritanniens, die EU zu verlassen, „erhebliche Unsicherheit“ mit Blick auf die zukünftigen wirtschaftlichen und politischen Beziehungen mit Brüssel ausgelöst: „Diese hat das Potenzial, die Attraktivität Großbritanniens für internationale Investoren und den gesamten Finanzsektor nachhaltig zu beschädigen.“
Die durch das Brexit-Votum ausgelöste Pfund-Abwertung stützt allerdings die Exportwirtschaft, da ihre Produkte auf den Überseemärkten wettbewerbsfähiger werden.
Anfang 2016 mussten nur 0,70 Pfund für den Euro bezahlt werden. Inzwischen hat der Wechselkurs ein Niveau von 0,92 Pfund erreicht.
„Insgesamt betrachtet zeigen die Daten eine Abschwächung in der Volkswirtschaft an, die sich aus unserer Sicht auch im zweiten Halbjahr fortsetzen wird“, wird ein Analyst der Beratungsgesellschaft PwC zitiert. „Aber derzeit glauben wir noch nicht, dass sich daraus eine Rezession entwickelt.“ Diese Prognose ist gewagt, weil die offiziellen Zahlen schon jetzt praktisch kein Wachstum mehr signalisieren.