Der Ökonom Gunther Schnabl von der Universität Leipzig erläutert, wie die Lufthansa das Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen aus dem Jahr 2012 missbraucht hat, um die Air Berlin möglichst billig übernehmen zu können.
Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Wie beurteilen Sie die Übernahme von Air Berlin durch die Lufthansa?
Gunther Schnabl: Aus meiner Sicht hat Lufthansa das Insolvenzrecht als Übernahmeinstrument missbraucht. Kurz vor der Insolvenz von Air Berlin wechselte der Lufthansa-Manager Thomas Winckelmann als Vorstandsvorsitzender zu Air Berlin. Er wurde mit einem Gehalt von 4,5 Millionen Euro bis 2021 großzügig finanziell abgesichert. Indem er die Insolvenz in Eigenverwaltung wählte, konnte er nicht nur das Insolvenzverfahren für die Lufthansa planen. Er konnte auch die Vertretung der Gläubiger im Sinne von Lufthansa beeinflussen. Air Berlin hat sowohl den Sachwalter (Lucas Flöther), der die Eigenverwaltung kontrolliert, als auch den Generalbevollmächtigten (Frank Kebekus), der der Insolvenzexperte wurde, persönlich angesprochen. Flöther und Kebekus gehören beide zum Gravenbrucher Kreis, aus dem noch ein weiteres Mitglied in den Gläubigerausschuss berufen wurde, um dort die Lufthansa-Tochter Eurowings zu vertreten.
Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Was war das Ergebnis?
Gunther Schnabl: Statt Air Berlin zu sanieren, wurde die Insolvenz nur verschleppt. Air Berlin hat seine Flugzeuge an die Leasing-Gesellschaft zurückgegeben. Die Lufthansa konnte kostengünstig viele Flugzeuge und Landerechte übernehmen, während sich bei Air Berlin hohe Verluste aufhäuften. Eine große Gruppe von Insolvenzanwälten und Beratern hat an dem Verfahren wohl sehr gut verdient, obwohl sie die Lage von Air Berlin nicht verbessert haben. Am Ende ließ man Air Berlin auseinanderfallen, die Beschäftigten wurden arbeitslos, die Passagiere blieben auf ihren Tickets sitzen und 150-Millionen Staatskredit ist perdu.
Welche Rolle spielte dabei das Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG) aus dem Jahr 2012?
Gunther Schnabl: Das Gesetz hat der Insolvenz in Eigenverwaltung den Weg geebnet. Die unabhängigen Insolvenzverwalter, die früher die Insolvenzverfahren geleitet haben, wurden dadurch entmachtet. Man könnte auch sagen, dass ein Stück Rechtsstaat demontiert wurde. Der Gesetzgeber hat nicht antizipiert, dass ein einflussreicher Konkurrent mit der Entsendung eines loyalen Managers in das insolvente Unternehmen die Rechte der Gläubiger unterlaufen kann.
Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Wäre das Verfahren denn ohne das neue Gesetz anders verlaufen?
Gunther Schnabl: Ein unabhängiger Insolvenzverwalter hätte nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens das Unternehmen saniert. Z.B. hätte er mit einer Verbleibensanordnung (§ 21, Insolvenzordnung) darauf dringen können, dass die Flugzeuge im Unternehmen bleiben, um den Geschäftsbetrieb aufrecht zu erhalten. Gleichzeitig hätte er die Leasing-Zahlungen aussetzen oder zumindest deutlich reduzieren können. Die Löhne übernimmt in der Insolvenz im Antragsverfahren die Arbeitsagentur. Das Unternehmen hätte dann drei Monate einen Gewinn erwirtschaftet. Es hätte teurer an einen Wettbewerber (z.B. die Unternehmer Wöhrl oder Lauda) verkauft werden können, weil es noch in Betrieb gewesen wäre. Das wäre sowohl im Sinne der Gläubiger als auch im Sinne des Wettbewerbs gewesen.
Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Wer profitiert von diesem Gesetz und auf welche Weise?
Gunther Schnabl: Es wurde die Rolle des Schuldners gestärkt, der nun seinen Informationsvorsprung gegenüber dem Gläubiger nutzen kann. Das ist insbesondere dann kritisch, wenn der wichtigste Konkurrent und potentielle Übernehmer (hier Lufthansa) in die Rolle des Schuldners (hier Air Berlin) schlüpft. Auch die Berater profitieren, weil der Schuldner auf Kosten der Gläubiger unzählige Berater beschäftigen kann, die die Entscheidungen des Schuldners gegenüber den Gläubigern in ein positives Licht setzen. Die Position der Gläubiger wurde also deutlich geschwächt.
In den USA sind Insolvenzen seit langer Zeit ein profitables Geschäft für Hedge-Fonds geworden. Diese machen Kasse, indem sie die Kontrolle über den Schuldner übernehmen und das Verfahren zu ihren Gunsten beeinflussen. Die Hedge-Fonds arbeiten in der Regel eng mit großen Anwaltskanzleien wie Freshfields zusammen, die in ihrem Sinne „beraten“ und überzeugen. Freshfields war auch bei der Insolvenz von Air Berlin tätig.
Jüngst hat eine Düsseldorfer Anwaltskanzlei dem Trigema-Chef Grupp einen Brief geschrieben. Sie haben dem Schwaben vorgerechnet, wie er mit einem Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung auf Kosten des Steuerzahlers Kasse machen kann.
Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Welche Rolle hat der Staat bei dem Vorgang gespielt?
Gunther Schnabl: Der Staat hat das Insolvenzrecht erst so reformiert, dass der Missbrauch möglich wurde. Es ist nicht ausgeschlossen, dass der Gesetzentwurf des Bundesjustizministeriums von Mitgliedern großer Anwaltskanzleien, die mit Hedge-Fonds zusammenarbeiten, beeinflusst wurde.
Die Kreditanstalt für Wiederaufbau hat Air Berlin mit einer Bürgschaft des Bundes einen Kredit von 150 Millionen Euro gewährt, obwohl in einer Marktwirtschaft der Staat in Insolvenzverfahren nicht eingreifen sollte. Nach Aussagen der Bundesregierung sollte der Kredit einen geordneten Übergang für das Unternehmen, die Beschäftigten und die Passagiere von Air Berlin ermöglichen. Kein Punkt davon, ist wirklich eingetreten.
Der Kredit hat also nur dazu gedient das Verfahren zum Vorteil von Lufthansa und den Beratern zu verlängern. Wenn Sachwalter und Generalbevollmächtigte noch viele weitere Berater beteiligen, machen sie sich in der Branche beliebt. Der damalige Verkehrsminister Alexander Dobrint (CSU) machte derweil noch gute Stimmung, indem er Lufthansa als „nationalen Champion“ anpries. Die Wirtschaftsministerin Brigitte Zypries (SPD) konterte die Kritik an gestiegenen Ticketpreisen als „Lufthansa-Bashing“. Nun ist doch – entgegen den Versicherungen der Regierung – ein großer Anteil des Staatskredits verloren und ein Monopolist ist entstanden.
Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Wer sind die Gewinner und wer die Leidtragenden der Übernahme?
Gunther Schnabl: Der große Gewinner ist die Lufthansa, die für wenig Geld nochmals deutlich an Marktmacht gewonnen hat. Es wird wohl auch das Lufthansa-Management gewinnen, weil es fortan ein noch größeres Unternehmen leitet. Thomas Winckelmann hat eine großzügige Absicherung bis 2021. Ein Heer von Beratern hat prächtig verdient.
Verlierer sind die Gläubiger von Air Berlin, deren Forderungen ausgehöhlt wurden. Es löhnt der Steuerzahler, weil der Staatkredit teilweise verloren ist. Die Passagiere blieben auf wertlosen Ticket sitzen und werden in Zukunft höhere Preise bezahlen.
Die größten Verlierer sind jedoch die Angestellten von Air Berlin. Sie sind entweder arbeitslos oder werden zu deutlich schlechteren Bedingungen als bei Air Berlin bei Lufthansa (oder einem Konkurrenten) wiedereingestellt. Das wäre anders gelaufen, wenn Air Berlin als noch laufendes Unternehmen übernommen worden wäre. Dann hätte §613a BGB sichergestellt, dass ihre Verträge gültig bleiben.
Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Entspricht das den Gesetzen der Sozialen Marktwirtschaft?
Gunther Schnabl: Nein! Die Aushöhlung der Haftung und des Wettbewerbs mit Hilfe des Staates ist weder marktwirtschaftlich noch sozial. Leider ist unserer Politik der ordnungspolitische Kompass verloren gegangen. Das bekommen immer mehr Menschen in Form schlecht bezahlter und sozial schlecht abgesicherter Arbeitsverhältnisse zu spüren.
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Gunther Schnabl ist Professor für Wirtschaftspolitik und internationale Wirtschaftsbeziehungen der Universität Leipzig, wo er das Institut für Wirtschaftspolitik leitet. Sein Forschungsinteresse gilt den wirtschaftlichen Folgen der ultra-lockeren Geldpolitik auf der Grundlage der Arbeiten des Nobelpreisträgers Friedrich August von Hayek. Mehr Informationen finden Sie auf der Forschungsplattform „Nullzinspolitik und wirtschaftliche Ordnung“.