Politik

Russland will Zivilisten Abzug aus Ost-Ghouta ermöglichen

Russland will trotz des anhaltenden Widerstands von verschiedenen Söldner-Gruppen dafür sorgen, dass Zivilisten sicher aus der Kampfzone in Ost-Ghouta gebracht werden können.
27.02.2018 23:13
Lesezeit: 6 min

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Russland will die Feuerpause in der von Söldnern besetzten Stadt Ost-Ghuta verteidigen. Russland und Syrien würden alles unternehmen, um den Zivilisten im Zuge der von den beiden Staaten einseitig ausgerufenen Waffenruhe das Verlassen der Stadt zu ermöglichen.

Russland erklärte kurz nach Beginn der Feuerpause, die Rebellen beschössen den humanitären Korridor mit Mörsergranaten. Die in Ost-Ghuta dominierende Söldner-Truppe Dschaisch al-Islam wies dies zurück. Am Nachmittag erklärte das russische Militär, die Rebellen hätten noch vor Ablauf der Feuerpause am Mittag eine neue Offensive mit intensivem Artillerie- und Gewehrfeuer gestartet.

Der russische Präsident Wladimir Putin hatte am Montag angeordnet, dass die Angriffe der von Russland unterstützten syrischen Streitkräfte auf die Söldner-Stellungen jeden Tag von 08.00 Uhr bis 13.00 Uhr MEZ eingestellt werden sollten. Nach den bislang schwersten Angriffen auf das von islamistischen Rebellen beherrschte Gebiet in der vergangenen Woche hatte der UN-Sicherheitsrat am Samstag zu einer 30-tägigen Waffenruhe für ganz Syrien aufgerufen. Er legte allerdings nicht fest, wann sie in Kraft treten soll. Angriffe auf den IS und a-Kaida wurden von der Pause auf Verlangen Russlands ausgenommen.

Der russische Außenminister Sergej Lawrow sagte am Dienstag in Moskau, Russland verstehe die schwierige Lage der Menschen in Ost-Ghuta und werde weiterhin für einen sicheren Korridor sorgen, damit Hilfe hineinkomme und alle Zivilisten, die es wollten, das Gebiet verlassen könnten.

"Im Rahmen dieser Pausen wurden spezielle humanitäre Korridore geschaffen, um humanitäre Hilfe und medizinische Evakuierung zu leisten und allen Zivilisten in Übereinstimmung mit der Resolution 2401 des UN-Sicherheitsrates die Möglichkeit geben sollen, die Stadt zu verlassen", sagte Lawrow laut TASS. "Außerdem werden wir in der Praxis sehen, inwieweit die Bereitschaft zur Einhaltung der Resolution 2401, die von illegalen bewaffneten Gruppen ausgesprochen wird, die sich angeblich von Jabhat al-Nusra im Osten Ghoutas distanzieren, ihren tatsächlichen Absichten entspricht."

Lawrow erinnerte auch daran, dass vor einem Jahr viele Länder die gemeinsame Operation Russlands und der syrischen Regierung zur Rückeroberung von Ost-Aleppo scharf kritisiert haben.

"In diesem Fall wurde auch eine großräumige Evakuierung von Zivilisten durchgeführt, bevor die Terroristen, die sich weigerten, Ost-Aleppo zu verlassen, besiegt wurden", sagte Lawrow. "Viele sagten damals, dass es eine sehr riskante Operation sei, weil evakuierte Zivilisten niemals in ihre Häuser zurückkehren könnten, dass dies einer ethnischen Säuberung gleichkäme und so weiter."

"Gestern erklärte der Gouverneur von Aleppo, dass 200.000 Zivilisten, die die Stadt verlassen hatten, bereits zu Hause waren, dass ein Drittel der von den Feindseligkeiten betroffenen Einrichtungen wieedraufgebaut worden war und dass dieser Prozess fortgeführt wurde", sagte Lawrow.

Ein Sprecher des Pentagon sagte den Deutschen Wirtschafts Nachrichten, dass das Pentagon keine Rolle bei der Überwachung der Feuerpause spiele. Dafür sei das US-Außenministerium zuständig. Der Sprecher wörtlich: “Wir sehen weiterhin Berichte über brutale Gewalt des Regimes, insbesondere in Ost-Ghouta, nachdem der UN-Sicherheitsrat am Samstag einstimmig dafür gestimmt hatte, eine sofortige Einstellung der Feindseligkeiten in ganz Syrien zu fordern. Wir können bestimmte Zahlen oder Vorfälle noch nicht bestätigen, aber wir können sehen, dass Russland der Einhaltung der Vorschriften nicht nachkommt.”

Frankreichs Außenminister Jean-Yves Le Drian sagte bei einem Besuch in Moskau, die Feuerpause sei ein erster Schritt, es sei aber mehr nötig. Er sprach sich zudem für einen Mechanismus zur Überwachung des Waffenstillstands aus. Nach seinen Worten haben drei Söldner-Truppen in Ost-Ghuta ihre Absicht signalisiert, sich an einen Waffenstillstand zu halten.

Ein anonymer Vertreter der Islamistengruppe Dschaisch al-Islam bestritt im Gespräch mit Reuters, die Söldner beschössen den Fluchtkorridor und hinderten Zivilisten daran, die Enklave zu verlassen: "Wir haben niemanden daran gehindert. Zivilisten treffen ihre Entscheidungen selbst."

Laut UN sind am Dienstag noch keine Hilfstransporte in das Gebiet gekommen. "Die Lage ist eindeutig nicht so, dass Konvois hinein können und medizinische Evakuierungen möglich sind", sagte Jens Laerke vom UN-Koordinierungsbüro für humanitäre Hilfen laut Reuters. Es gebe Berichte über anhaltende Kämpfe, sagte er in Genf. Russland machte die Söldner dafür verantwortlich. Ob Evakuierungen möglich seien, hänge von ihnen ab. Sie sabotierten den sicheren Korridor und hielten die Zivilisten als Geiseln, erklärte das Präsidialamt in Moskau. Russland bedauere dies und werde weiterhin daran arbeiten, dass Zivilisten das Gebiet verlassen könnten.

Der Abteilungsleiter für Internationale Zusammenarbeit beim Deutschen Roten Kreuz, Christof Johnen, sagte laut Reuters, noch gebe es keine Zusicherung aller Konfliktparteien für sicheres Geleit. Nur wenn diese vorliege, würden die Helfer des syrischen Roten Halbmondes und des Internationalen Roten Kreuzes in die Enklave fahren können. "Fünf Stunden ist dafür sehr knapp." Es bleibe noch abzuwarten, wie die Söldner reagierten. "Sobald wir grünes Licht haben, werden wir mit sehr vielen Hilfsgütern hereinfahren, um Zehntausende Menschen versorgen zu können." Auch das Internationale Komitee vom Roten Kreuz erklärte, es stehe zusammen mit dem syrischen Roten Halbmond bereit, Hilfsgüter nach Ost-Ghuta zu bringen. In nur fünf Stunden sei dies aber nicht möglich.

Die vom UN-Sicherheitsrat beschlossene Feuerpause soll über 30 Tage lang täglich andauern. Der russische Präsident hat angeordnet, dass die Feuerpause täglich  von 9 bis 14 Uhr laufen soll, berichtet der türkische Sender NTV. Der BBC-Journalist Martin Patience meldete am Dienstagmorgen: „Für den Augenblick scheint dieser Waffenstillstand zu halten”. BBC berichtet, dass die Al-Nusra-Front, Dschaisch al-Islam und Ahrar al-Scham von der Feuerpause ausgenommen sind.

Die Söldner-Truppe Failaq al-Rahman nannte die russisch-syrische Offensive in Ost-Ghouta ein „russisches Verbrechen”. Russland führe eine „Zwangsvertreibung” durch, zitiert der Guardian die Gruppe. Faylaq al-Rahman operiert durchgehend gemeinsam mit der Söldner-Truppe Dschaisch al-Islam, so der Guardian. Faylaq al-Rahman und Dschaisch al-Islam wurden von Saudi-Arabien ausgehoben und finanziert. Die Anzahl der Kämpfer beträgt zwischen 40.000 und 70.000 Mann, berichtet die Stanford University. Nach Angaben des englischsprachigen Diensts der Deutschen Welle sind in Ost-Ghouta auch die Al-Nusra-Front, Harakat Nour al-Din al-Zenki und Harakat Ahrar al-Sham al-Islamiyya aktiv. Nach Informationen der Online-Zeitung Haberler.com hat sich Katar dazu bereit erklärt, humanitäre Güter im Wert von 602.000 Dollar nach Ost-Ghouta zu entsenden.

Die Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW) untersucht unterdessen Vorwürfe des Einsatzes solcher Waffen in Ost-Ghuta. Aus Diplomatenkreisen verlautete, die OPCW werde aus Sicherheitsgründen aber nicht in die Region fahren. Sie werteten Zeugen- und Arztberichte sowie Fotos aus. In ihren bisherigen Berichten war die OPCW wegen der Unzugänglichkeit der Kampfgebiete nicht in der Lage gewesen, den Einsatz von Chemiewaffen eindeutig einer bestimmten Tätergruppe zuzuordnen.

Einem Bericht des türkischen Analysten Alptekin Dursunoğlu zufolge würde ein Sieg der syrischen Regierung in Ost-Ghouta éiner Neuauflage des Siegs der syrischen Armee in Aleppo gleichkommen. Ost-Ghouta sei strategisch wichtig, da von dort aus immer wieder Angriffe gegen die Hauptstadt Damaskus ausgeführt werden. Derzeit würden bewaffnete Gruppen in Ost-Ghouta ein Gebiet von 100 Quadratkilometer kontrollieren. In dem Gebiet würden sich 350.000 bis 450.000 Menschen befinden. Im Verlauf des Syrien-Kriegs spielten die bewaffneten Gruppen in Ost-Ghouta bei der Bestrebung, die Regierung in Damaskus zu stürzen, eine entscheidende Rolle, zumal sie sich geographisch direkt im Hinterhof des Regierungspalasts befinden.

Türkei

Der türkische Generalstab meldete am Dienstag in einer Mitteilung, dass im Verlauf der „Operation Olivenzweig” im Norden von Syrien bisher 2.083 Mitglieder der Kurden-Milizen und der Terror-Miliz ISIS entweder getötet oder gefangengenommen wurden.

Der ehemalige türkische Botschafter in den USA, Şükrü Elekdağ, warnt die türkische Regierung in einem Interview mit der Zeitung Sözcü davor, dass trotz einer erfolgreichen Operation in Afrin das Gebiet östlich des Euphrats künftig eine Gefahr für die territoriale Integrität der Türkei darstellen werde. Ost-Syrien wird derzeit von den USA und ihren verbündeten Kurden-Milizen kontrolliert. Die Regierung in Washington wolle im Osten Syriens einen „Garnisons-Staat” gründen. Der Aufbau der US-Stützpunkte in Ost-Syrien diene dem Zweck, nach dem Syrien-Krieg Ost-Syrien als Operations-Zentrum gegen den Iran einzusetzen. Die Türkei müsse der syrischen Regierung dabei helfen, alle Gebiet zurückzuerobern. Diesbezüglich müsse eine militärische Kooperation zwischen Syrien und der Türkei stattfinden. Präsident Erdoğan müsse diese Realität wahrnehmen, um unverzüglich mit Damaskus in Kontakt zu treten und eine Kooperation durchzuführen. Dies diene den nationalen Interessen der Türkei, so Elekdağ.

Kurden-Milizen

Die PKK-nahe Zeitung Yeni Özgür Politika mit Hauptsitz in Neu-Isenburg zitiert eine Mitteilung der Kurden-Milizen. Der Mitteilung zufolge sollen am Dienstag zwei Kämpfer der Kurden-Milizen bei einem türkischen Luftangriff in Raco/Afrin getötet und drei weitere worden sein. Die Kurden-Milizen hätten im Gegenzug zwei türkische Militärfahrzeuge zerstört.

In Dschindaras hätten die Kurden-Milizen in der Nacht von Montag auf Dienstag acht türkische Soldaten und Kämpfer der Freien Syrischen Armee (FSA) getötet. An allen Fronten in Afrin seien am Dienstag 55 türkische Soldaten und FSA-Mitglieder getötet und 60 verletzt worden. Drei türkische Panzer seien getroffen worden, während sechs Militärfahrzeuge zerstört worden seien.

Der britisch-chinesische Söldner Huang Lei, der in Afrin auf Seiten der Kurden-Milizen gegen die Türkei kämpft, sagte der britischen Zeitung The Times, dass die militärische Situation in Afrin aussichtslos sei. The Times wörtlich: „Huang Lei, ein britisch-chinesischer Kämpfer der kurdischen YPG-Miliz, ist einer von fünf Briten, die sich freiwillig für die Verteidigung von Afrin gegen die Türken und ihre arabischen Verbündeten einsetzen. Er sagte, dass alle (Briten, Anm. d. Red.)  die erste Runde des Kampfes mit 15 weiteren, ausländischen Kämpfern’ unbeschadet überstanden hätten. Er gab jedoch zu, dass sie aufgrund der überwältigenden Stärke der türkischen Armee (...) zu Niederlage verdammt seien”. Trotzdem wolle er weiterkämpfen, bis Afrin gefallen ist.

PKK-Kommandeur Duran Kalkan, der wie ein signifikanter Teil der gesamten PKK-Führung ethnischer Türke ist, kritisierte im Gespräch mit der PKK-nahen Online-Zeitung Roj News die russische Position in Nordsyrien. Russland habe sich nach dem Zerfall der Sowjetunion neu organisiert, um im Nahen Osten eine Macht zu werden. Doch eine Macht könne Russland nicht werden, wenn sie auf die Kooperation mit den gegenwärtigen Staaten in der Region setze. „Die Kurden im Nahen Osten verfügen über eine Bevölkerungsanzahl von 40 Millionen. Wenn man (Russland, Anm. d. Red.) im Nahen Osten einflussreich werden möchte, ist dies nicht möglich, ohne dass die Kurden mitmachen. Deshalb war es falsch, dass sie (die Russen, Anm. d. Red.) dem türkischen Staat die Tür für die Besatzung von Afrin geöffnet haben. Diesen Fehler dürfen sie nicht mehr weiterführen. Sie müssen diesen Fehler korrigieren”.

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