Politik

Massen-Demo in Bulgarien nach Selbst-Verbrennung

Lesezeit: 2 min
11.03.2013 11:36
Am Sonntag gingen erneut Tausende Bulgaren auf die Straße. Die Proteste richten sich gegen die hohen Strompreise und die katastrophale Wirtschafts-Lage.
Massen-Demo in Bulgarien nach Selbst-Verbrennung

Mehr zum Thema:  
Europa >
Benachrichtigung über neue Artikel:  
Europa  

Inhalt wird nicht angezeigt, da Sie keine externen Cookies akzeptiert haben. Ändern..

Der Vater von fünf Kindern hatte sich am 26. Februar mit Benzin übergossen und angezündet. Er habe keinen Ausweg aus seiner prekären finanziellen Lage gesehen. Selbst das Geld für Benzin, mit dem er sich später anzündete, habe sich der 53-Jährige leihen müssen, berichten Medien in Sofia. Am Sonntag erlag er seinen Wunden. Es ist bereits der dritte Tote durch Selbstverbrennung seit Beginn der bulgarischen Volkserhebung.

Die Proteste gingen indes weiter. Am Sonntag blockierten Demonstranten den internationalen Bahnhof in Sofia, um gegen die geplante Privatisierung des Güterverkehrs zu protestieren. Außerdem forderten die Demonstranten den Rücktritt von Sofias Bürgermeisterin Jordanka Fandakowa.

Auslöser der Massenproteste waren gestiegene Gas- und Strompreise. Der öffentliche Druck führte am 20. Februar zum Rücktritt der Regierung um Ministerpräsident Bojko Borissow. Bulgarien hat zwar den niedrigsten Strompreis der gesamten EU – Deutsche zahlen dreimal so viel für Elektrizität. Allerdings liegt das monatliche Durchschnittseinkommen in Bulgarien bei niedrigen 360 Euro, die Renten sogar nur bei 150 Euro. Für viele Bulgaren sind Strom und Gas aufgrund des Preisanstiegs im letzten Jahr unbezahlbar geworden.

Die Proteste stehen jedoch für mehr, als nur offene Empörung über gestiegene Strompreise. Sie sind Ausdruck für Probleme, die Bulgarien seit Jahren nicht in den Griff bekommt: Kriminalität, Korruption (mehr hier), ein schwaches und ineffizientes Justizsystem. Der Lebensstandard in Bulgarien, zusammen mit Rumänien das ärmste Land der EU, hat sich in den letzten Jahren kaum verbessert.

Nach dem Fall der Sowjetunion Anfang der 1990er, war das Balkanland zerrissen durch Streiks und den anhaltenden Einfluss der Kommunisten im Land. In den Jahren 2001 bis 2005 konnte eine neue Regierung Reformen durchsetzen, mit dem Ziel die Aufnahmekriterien der EU zu erfüllen. Die Wirtschaft wuchs, die hohe Arbeitslosigkeit von 20 Prozent fiel und die Inflation wurde eingedämmt. 2007 trat das Land der EU bei. Die Staatsverschuldung lag im Jahr 2012 bei knapp 18 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Das durchschnittliche Einkommen und der Lebensstandard vieler Bulgaren blieben jedoch niedrig.

2004 bis 2008 verzeichnete Bulgarien ein jährliches Wirtschaftswachstum von 6 Prozent, unterstützt durch Kredite und Investitionen aus dem Ausland. Als 2008 die weltweite Finanzkrise ausbrach und die Zinsen für Anleihen in die Höhe schossen, traf es Bulgarien besonders hart. Inlandskonsum, Exporte, ausländische Kapitalflüsse und Industrieproduktion gingen drastisch zurück. 2009 fiel das Bruttoinlandsprodukt um satte 5,5 Prozent. Die Arbeitslosigkeit stieg 2012 auf knapp 10 Prozent. 1,5 Millionen Bulgaren, mehr als 20 Prozent der Bevölkerung, leben heute unter der Armutsgrenze.

Die EU fordert schon seit Jahren Verbesserungen des bulgarischen Justizsystems und mehr Bemühungen der Behörden im Kampf gegen Kriminalität. 2008 verweigerte man Bulgarien sogar Hilfszahlungen in Höhe von mehreren hundert Millionen Euro, nach dem diverse Berichte gezeigt hatten, dass die Regierung im Kampf gegen die Kriminalität und Korruption versagt hatte.

Nach dem Sieg bei den bulgarischen Parlamentswahlen 2009, versprach der neu gewählte Ministerpräsident Bojko Borissow, die verbreitete Korruption in der öffentlichen Verwaltung und die Armut der Bulgarien zu beenden – sein grandioser Misserfolg besiegelte den Rücktritt seines Kabinetts. „Aus der Sicht jener, die niedrige Rechnungen und höhere Löhne wollen, hat sich nichts geändert. Wenn, dann hat sich die Situation verschlechtert“, sagt Daniel Smilov vom Centre for Liberal Strategies in Sofia.

Experten sehen nun die Chance der Extremisten und Populisten gekommen. Die kommenden Parlamentswahlen könnten die Lage Bulgariens weiter verschlimmern. Der bulgarische Staatspräsident, Rossen Plevneliev, kündigte Neuwahlen am 12. Mai an. Ein Interimskabinett, gebildet vom Präsidenten, soll das Land bis dahin regieren.


Mehr zum Thema:  
Europa >

Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Die Edelmetallmärkte

Wegen der unkontrollierten Staats- und Unternehmensfinanzierung durch die Zentralbanken im Schatten der Corona-Krise sind derzeitig...

DWN
Politik
Politik Tourismus-Branche: „In Hotellerie und Gastgewerbe ist noch nichts wieder in Ordnung“
26.04.2024

Die deutsche Tourismus-Branche, also Hotellerie und Gastronomie, firmiert neuerdings unter dem neuen Sammelbegriff „Gastwelt“ - auch um...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Bürokratieabbau: Ministerin fordert mehr Widerstandsfähigkeit und Effizienz
26.04.2024

Rheinland-Pfalz ist ein mittelständisch geprägtes Land. Gerade kleinere Betriebe hadern mit zu viel bürokratischem Aufwand.

DWN
Politik
Politik Hybride Bedrohungen: Drohnen-Flüge und psychologische Kriegsführung
26.04.2024

Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius hat eindringlich vor hybriden Bedrohungen in Deutschland gewarnt. Gegen den Einsatz von...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Gallup-Studie: Globale Führungsbewertung 2024 - wie Deutschland unter Großmächten abschneidet
26.04.2024

Die Gallup-Studie 2024 zeigt die Stabilität und Herausforderungen in der globalen Führungsbewertung für Länder wie USA, Deutschland,...

DWN
Politik
Politik Habeck kontert Kritiker: „Energiekrise gemeistert und Strompreise gesenkt“
26.04.2024

Nach Kritik an Atomausstieg: Habeck und Lemke bestätigen, die Energieversorgung sei gesichert und nukleare Sicherheit gewährleistet.

DWN
Technologie
Technologie Künstliche Intelligenz: Wie sich Deutschland im internationalen Rennen positioniert
26.04.2024

Die Deutsche Industrie macht Tempo bei der KI-Entwicklung. Das geht aus einer kürzlich veröffentlichten Analyse des Deutschen Patent- und...

DWN
Immobilien
Immobilien Commerzbank-Studie: Immobilienpreise könnten weiter fallen
26.04.2024

Deutsche Wohnimmobilien verlieren weiter an Wert. Die Commerzbank sieht ein Abwärtspotenzial von 5 bis 10 Prozent, abhängig von...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Tarifrunde der Chemieindustrie: Gewerkschaft fordert mehr Lohn
26.04.2024

Im Tarifstreit in Ostdeutschlands Chemieindustrie fordert die Gewerkschaft IG BCE eine Lohnerhöhung von 7 Prozent. Arbeitgeber warnen vor...