Zur Vorbereitung des EU-Gipfels Ende Juni wollen die Staats- und Regierungschefs unter anderem von Deutschland, Frankreich, Italien und Österreich am Sonntag in Brüssel zu einem Sondergipfel zum Thema Migration zusammenkommen. Dies verlautete am Mittwoch aus EU-Kreisen, berichtet Reuters.
Zuvor hatte der österreichische Kanzler Sebastian Kurz gesagt, dass es vermutlich noch in dieser Woche zu einem solchen Treffen komme. Österreich bereite sich laut Reuters intensiv auf eine mögliche Zurückweisung von Flüchtlingen durch Deutschland vor und verlangt auch Maßnahmen von Deutschland. Kurz warnte vor dem Treffen vor einer Verschärfung der Flüchtlingskrise durch den deutschen Asylstreit. "Wir müssen gerüstet sein dafür, dass die nationalen Grenzkontrollen überhaupt in Europa verstärkt werden, ausgehend von Deutschland", sagte der 31-jährige Parteichef der konservativen Volkspartei (ÖVP). In die innerdeutsche Debatte wolle er sich nicht einmischen, sagte Kurz.
Woher die unmittelbare Bedrohung kommt sagte Kurz nicht. In den vergangenen Monaten gab es zwar immer noch einen erheblichen unkontrollierten Zuzug von Migranten in die EU. Mit den Rekord-Zahlen aus dem Jahr 2015 ist die Entwicklung jedoch nicht vergleichbar. Allerdings haben sich in den vergangenen Wochen zahlreiche Söldner aus Syrien auf dem Weg in die EU gemacht, weil ihre Verbände von der Syrischen Armee und Russland in weiten Teilen besiegt worden waren. Dass die aktuellen Fluchtbewegungen wesentlich das Ergebnis der vom Westen ausgelösten Kriege in Syrien, Libyen und dem Irak sind, hat Kurz bisher nicht erwähnt.
Kurz vermied es zwar, Bundeskanzlerin Merkel direkt zu adressieren, fordert jedoch wie ihr Widersacher Horst Seehofer einen Kurswechsel in der europäischen Einwanderungspolitik. "So unangenehm es ist, wenn es in Deutschland Streit gibt und keine gemeinsame Linie in der Regierung, so positiv ist es, dass jetzt eine Bewusstseinsänderung vieler auf europäischer Ebene eintritt", sagte Kurz.
Kurz sagte im Vorfeld der EU-Ratspräsidentschaft seines Landes laut Reuters am Mittwoch bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Bayerns Ministerpräsident Markus Söder in Linz: "Wir wollen Brückenbauer sein innerhalb der Europäischen Union, um die Migrationsfrage endlich zu lösen oder zumindest einen ordentlichen Fortschritt zu erzielen."
Kurz will sich während des EU-Vorsitzes von Österreich ab 1. Juli vor allem dafür stark machen, dass es zu einer europäischen Lösung beim Thema Außengrenzschutz kommt. Unter anderem brauche es sichere Schutzzonen in Nordafrika. "Sollte der Wille nicht da sein, was ich nicht hoffe, werden wir darüber nachdenken müssen, wie wir mit einzelnen Staaten in einer kleineren Gruppe gemeinsam solche Projekte starten können", sagte Kurz.
Österreich habe diesbezüglich bereits erste gute Gespräche mit Dänemark und anderen kleineren Staaten geführt, sagte er. Söder versprach, ebenfalls Druck machen zu wollen. Die "Betriebsamkeit", innerhalb einer Woche zwei EU-Gipfel einzuberufen, gehe "sehr stark auf die Entschlossenheit Bayerns zurück". Die Ergebnisse müsse man nun aber abwarten, sagte Söder.
Die österreichische Regierungsspitze traf am Mittwoch im oberösterreichischen Linz ostentativ mit dem bayerischen Landeskabinett zusammen. Die neue österreichische Regierung aus ÖVP und FPÖ vertritt seit ihrem Antritt eine restriktive Politik und sieht sich in dieser in Übereinstimmung mit dem ungarischen Regierungschef Viktor Orban.
Orban hatte vor einigen Tagen den Druck auf seine Parteifreunde in der EVP erhöht und damit gedroht, eine eigene, EU-weite Anti-Migrations-Partei gründen zu wollen, wenn der CDU-Dachverband nicht seine Politik radikal ändere.
In einer unverhohlenen Attacke gegen Bundeskanzlerin Merkel sagte Orban in einer Rede laut der Pressestelle der ungarischen Regierung: „In Bezug auf die Wahlen zum Europäischen Parlament im Jahr 2019 wäre es beispielsweise leicht, eine Neugründung durch gleichgesinnte mitteleuropäische Parteien - oder sogar eine gesamteuropäische Anti-Einwanderungs-Formation - zu etablieren. Es besteht kein Zweifel, dass wir bei den Europawahlen 2019 großen Erfolg haben würden. Aber ich schlage vor, dass wir dieser Versuchung widerstehen und Helmut Kohls Ideale und Parteifamilie (EVP, Anm. d. Red.) beistehen. Statt Fahnenflucht zu begehen sollten wir uns der schwierigeren Aufgabe stellen, die Europäische Volkspartei zu erneuern und ihr zu helfen, zu ihren christdemokratischen Wurzeln zurückzufinden.“
Österreich übernimmt ab 1. Juli für ein halbes Jahr die EU-Ratspräsidentschaft. In dieser Zeit will sich Kurz vor allem für eine Stärkung des EU-Außengrenzschutzes Frontex einsetzen. "Wenn wir das tun, dann werden wir die Außengrenzen unter Kontrolle bringen und werden die sein die entscheiden, wer nach Europa zuwandern darf und nicht die Schlepper", sagte Kurz.