Politik

Steuergelder im Landkreis Ludwigsburg „spurlos verschwunden“

Lesezeit: 4 min
16.03.2013 02:05
In der Wohn-Siedlung Pattonville im Landkreis Ludwigsburg sind Steuergelder spurlos verschwunden. Sie waren so lange weg, bis ein mögliches Vergehen verjährt war. Ein Beirat des Zweckverbandes, bei dem die Gelder gelandet sind, hat für die Aufklärung gekämpft. Die CDU zittert, dass der schwarze Filz nun ans Licht kommen könnte.
Steuergelder im Landkreis Ludwigsburg „spurlos verschwunden“

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Die Steuerzahler in Baden-Württemberg müssen lange arbeiten, bis sie 141.257,62 Euro an die Staatskasse abgeliefert haben. Eine Friseurin muss etwa 20 Jahre arbeiten, um diesen Betrag an Steuern zu bezahlen. Man möchte glauben, dass Städte und Gemeinden schon aus Respekt vor dieser Lebensleistung sorgsam mit dem Geld umgehen. Man kann sich allerdings auch irren. Denn genau diese Summe steht lapidar als „offener Rest“ im Prüfbericht des Zweckverbandes für Pattonville für das Jahr 2006.

In der 5.900 Einwohner- Siedlung Pattonville sind in den Jahren 2004 bis 2007 öffentliche Gelder in erheblichem Ausmaß verschwunden. Zudem wurden im Jahr 2002 Gebühren für Abwasseranschlüsse von der Verwaltung nicht eingetrieben. Zu diesem Schluss kommen Prüfungsberichte der Gemeindeprüfungsanstalt Baden-Württemberg und der Stadt Ludwigsburg. Die Berichte liegen den Deutschen Wirtschafts Nachrichten vor. Der Finanz-Skandal wurde von Peter Welchering aufgedeckt. Er ist Journalist, Blogger und Beiratsmitglied der Siedlung Pattonville.

Pattonville liegt nördlich von Stuttgart. Bis 1993 lebten hier amerikanische Soldaten, die in Deutschland stationiert waren. Die Siedlung wird heute vom Zweckverband Pattonville/Sonnenberg verwaltet. Die Städte Kornwestheim, Ludwigsburg und Remseck am Neckar sind Mitglieder im Verband. Den gegenwärtigen Vorsitz hat Ursula Keck, Oberbürgermeisterin von Kornwestheim.

2010 prüfte die Gemeindeprüfungsanstalt Baden-Württemberg den Zweckverband zu den Jahren 2002 und 2003. Der Bericht kommt zu dem Ergebnis, dass Gebühren für Abwasseranschlüsse von Bauträgern vom Zweckverband nicht eingetrieben wurden. Unter dem Absatz Gesamteindruck spricht der Bericht von „Mängeln in der Sachbearbeitung sowie der Überwachung von Aufgabenerledigung und Ansprüchen des Zweckverbands“. Es wird „dringender Handlungsbedarf zur Verbesserung der Aufgabenerledigung gesehen.“

Peter Welchering berichtet auf CDU-Watch darüber, was hinter dem mysteriösen „Schwund“ steckt:

Unbestritten existierte da eine gewisse „Nähe“ der Bauträger zu Amtsinhabern des Zweckverbandes, eine Nähe, die stutzig macht. Einige Bauträger pflegen die „politische Landschaft“ eben entsprechend. Der Geruch der (mutmaßlichen) Korruption ist also mächtig zu riechen.

Ich habe in meiner Eigenschaft als Beirat in Pattonville (Beiräte werden von den Gemeinderäten der beteiligten Gemeinden Kornwestheim und Remseck entsandt) von einem unabhängigen Juristen prüfen lassen, ob die vorliegenden Indizien und Beweisstücke für die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens ausreichen.

Ergebnis: Sie würden ausreichen, allerdings sind die mutmaßlichen Straftaten, die es zu ermitteln gelte, bereits verjährt. Somit kann aus formalen Gründen kein Ermittlungsverfahren eingeleitet werden. 2007 war das entscheidende Jahr dafür, 2010 hat die Gemeindeprüfungsanstalt die Jahresrechnungen 2002 und 2003 geprüft und prompt beanstandet. Ab 2007 aber griff die Verfristung. Somit waren aus Verjährungsgründen bereits zu diesem Zeitpunkt Ermittlungen in Zusammenhang mit den §§ 266, 331, 332, 333 StGB nicht mehr möglich.

In den Jahren 2004 bis 2007 tauchen in der Buchhaltung der Zweckverwaltung „offene Reste“ auf, die nicht nachzuvollziehen sind. Zu diesem Ergebnis kommen Berichte der Abteilung Revision der Stadt Ludwigsburg. Im Jahr 2005 stellten die Prüfer „offene Reste“ in Höhe von 104.206,70 Euro fest. Das ist ein beachtlicher Betrag, denn das jährliche Gesamtbudget der Zweckverwaltung liegt bei nur knappen 2,8 Millionen Euro. Auch in den Berichten der Jahre 2006 und 2007 stellen die Prüfer der Stadt Ludwigsburg „nicht aufgeklärte Buchungsvorgänge“ fest. 2006 gibt es „offene Reste“ in einer Gesamthöhe von 141.257,62 Euro.

Trotz der offensichtlichen Mängel wird es keine weitere Aufklärung geben. „Durch Beschluss des Zweckverbandsvorsitzenden wurde festgelegt, die ‚Offene Reste Giro HH/PV’ der Jahresrechnung 2004 – 2007 derzeit nicht aufklären zu lassen“, heißt es im Bericht der Stadt Ludwigsburg. Eine Begründung für diese Entscheidung gibt es nicht.

Die Zweckverbandsvorsitzende Ursula Keck und deren Stellvertreter Karl-Heinz Schlumberger sowie der Geschäftsführer der Zweckverwaltung Dieter Girrbach waren für eine Stellungnahme nicht zu erreichen.

Ein Ermittlungsverfahren im Fall Pattonville wurde also zunächst verhindert, da die mutmaßlichen Taten bereits verjährt sind. Die Prüfer konnten nicht früher zu einem Ergebnis kommen, da die Zweckverwaltung die Jahresabschlussberichte sehr spät und teilweise unvollständig abgab. „Die Verwaltung hat die Herausgabe des Prüfberichtes an mich als Beirat noch einmal um einige Monate verzögert, und zwar exakt so lange, bis auch hier die strafrechtliche Verjährung eingetreten war“, schreibt Welchering in seinem Blog. Es kann heute jedenfalls nicht mehr nachvollzogen werden, warum und wohin so viel Geld verschwunden ist.

Welchering bekommt Gegenwind. Der Zweckverband setzt ihn unter Druck und lässt ihm per Anwalt mitteilen:

„Das öffentliche Anheizen einer Korruptionsdiskussion mit dem Erwähnen eines Anfangsverdachts einer Straftat ist durchaus geeignet, die Interessen des Zweckverbandes Pattonville/Sonnenberg zu beeinträchtigen. Auch insoweit verstoßen Sie als ehrenamtlich Tätiger gegen Ihre Treuepflichten gegenüber dem Zweckverband“.

Welchering nennt die Drohung „Unfug“ und macht weiter. Er stellt zwei Anträge, einen auf zeitnahe Prüfung der Jahresrechnungen und einen auf Aufklärung der „vergessenen“ Gebühren.

Die Folge: Die Attacken gegen den „Querulanten“ werden heftiger. Welchering berichtet:

Daraufhin passierten zwei interessante Vorfälle:

1. Ein Redakteur meines örtlichen Heimatblattes (stramme CDU-Tendenz, Leiter der Kreisredaktion CDU-Funktionär) drohte mir u.a. mit einer „Kampagne“ der Lokalzeitung, wenn ich die weitere Aufklärung der Finanzaffäre im Zweckverband Pattonville nicht endlich einstellen würde. Man könne mich beruflich und privat fertig machen.

2. Aus dem Umfeld der politischen Leitung des Zweckverbandes wurde mir schon sehr frühzeitig bedeutet, dass mein Beharren auf Aufklärung in Sache Pattonviller Finanzskandal sich ungut auf mein Mietverhältnis im Technologiezentrum Techmoteum, eine hundertprozentige Tochter der Stadt Kornwestheim, Geschäftsführer ist Bürgermeister Dietmar Allgaier (CDU), auswirken könne. Im Techmoteum habe ich Räume für ein Hörfunkstudio und ein Büro angemietet. Prompt ereigneten sich in der Folgezeit unerklärliche Ausfälle in der Infrastruktur (Leitungen, Strom, Raumtemperatur), die meine journalistische Arbeit teilweise unmöglich machten. Ich habe den Mietvertrag gekündigt und verlege Studio und Büro nach Stuttgart.

Doch Welchering lässt nicht locker: Er macht Druck über das Internet. Auf seinem Blog schreibt er:

17.000 Abrufe des enthüllenden Beitrages auf CDUWatch, mehrere hundert Tweet, einige Dutzend Mails und Briefe besorgter Netzbürger an die Oberbürgermeisterin haben erreicht, was viele Bürger in Pattonville und einige wenige verantwortungsbewusste Kommunalpolitiker der am Zweckverband beteiligten Gemeinden Kornwestheim und Remseck nicht geschafft haben.

Die CDU-Freunde knicken ein – der Aufklärer kann am 26. Januar 2013 endlich melden, dass seine Beharrlichkeit zum Erfolg geführt hat:

In der Sitzung des Pattonviller Beirats am 23. Januar 2013 ist das Thema „Finanzskandal“ noch einmal gründlich diskutiert worden. Die politische Leitung und die Verwaltung sicherten zu, dass die Buchführung der Zweckverbandsverwaltung noch einmal per Einzelbelegprüfung ab dem Jahr 2002 von einem Unabhängigen unter die Lupe genommen würde. Die Ergebnisse werden veröffentlicht, und zwar in einer nachvollziehbaren Weise.

Sie sicherten zu, dass die von den vergessenen Abwasseranschlussgebühren profitierenden Bauträger ermittelt und veröffentlicht würden. Sie sicherte weiterhin zu, eine unabhängige Stelle würde genau rekonstruieren, wie es passieren konnte, dass die Abwasseranschlussgebühren einfach vergessen wurden. Dabei soll geprüft werden, ob das „Vergessen“ der Gebühren mit gewährten Annehmlichkeiten oder Vorteilen einzelner Amtsinhaber in Zusammenhang gebracht werden muss oder kann.

Gibt es in Baden-Württemberg eigentlich Auszeichnungen für couragiertes Eintreten für die Gemeinschaft? Wir können Peter Welchering wärmstens empfehlen.


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