Politik

Türkei: Inflation treibt Preise für Lebensmittel in die Höhe

Die Lebensmittelpreise in der Türkei sind deutlich angestiegen.
09.07.2018 02:07
Lesezeit: 3 min

Die Direktorin der Investment-Sparte der staatlichen Halkbank (Halk Yatırım), Banu Kıvci Tokalı, sagte der Wirtschaftszeitung Dünya Gazetesi: „Wir gehen davon aus, dass sich die Inflation zum Jahresende bei 14,3 Prozent einpendeln wird, wenn es keine weiteren Schocks gibt. Im Verlauf des Jahres wird sie zwischen 14 bis 16 Prozent schwanken. Für das Jahr 2019 erwartet Tokalı eine Inflationsrate in Höhe von elf Prozent. Die türkische Notenbank werde voraussichtlich an ihrem Kurs der restriktiven Geldpolitik festhalten. Die Inflation bei den Lebensmittelpreisen ist beunruhigend. Allerdings hat auch der Wechselkurs einen Einfluss auf die Inflation”, so die Ökonomin.

Der Analyst der DenizBank, Orkun Gödek, sagt, dass die Großhandelspreisindex-Inflation (WPI-Inflation) einen großen Einfluss auf den Anstieg der Lebensmittelpreise habe. Aufgrund des Wertverfalls der Türkischen Lira werde die Inflation voraussichtlich weiter ansteigen. Während der Anstieg des Erzeugerpreisindexes (ppi) in den vergangenen drei Monaten kumulativ bei 9,42 Prozent lag, betrug dieser Anteil in den ersten beiden Quartalen des aktuellen Jahres 14,63 Prozent. Bei den Energiepreisen sei der Einfluss des ppi vor allem im Mai und Juni beobachtet worden.

Der wirtschaftliche Chefberater des türkischen Präsidenten, Cemil Erten, hatte Anfang Juni gesagt, dass die Notenbank eingreifen werde, falls die Inflationsrate steigen sollte, berichtet die Zeitung Hürriyet. Am 11. Juni 2018 meldete Ertem über den Kurznachrichtendienst Twitter, dass das „Patentrezept” gegen die Inflation eine Wirtschaftspolitik sei, die die heimische Produktion ankurbelt und damit eine Disinflation herbeiführt. In diesem Zusammenhang sollen bald Reformen erfolgen.

Dem Nachrichtensender Haberturk zufolge sind im Juni die Zwiebelpreise um 82,53 Prozent, die Kartoffelpreise um 63,34 Prozent und die Karottenpreise um 57,72 Prozent gestiegen. Der Preisanstieg bei Zitronen betrug 35,32 Prozent, bei Tomaten 23,59 Prozent, bei Äpfeln 12,49 Prozent, bei Hähnchenfleisch 8,95 Prozent und bei Gurken 6,87 Prozent. Die Preise für Olivenöl sind hingegen um 1,11 Prozent, für Bohnen um 3,17 Prozent und für Kichererbsen um 1,40 Prozent gefallen.

Der Bloomberg-Analyst Irfan Donat führt die Inflation bei den Lebensmitteln, insbesondere bei Agrarprodukten, auf eine falsche Agrarpolitik zurück. Das Fehlen einer umfassenden Kontrolle des Agrarsektors bringe das Verhältnis zwischen Angebot und Nachfrage durcheinander. Die Türkei benötige ein neues Modell. „Der Bauer wird seinem Schicksal überlassen und hat keine Motivation für die Zukunft. In einem Umfeld der durchgehenden Kostenanstiege hat der Produzent nur ein Ziel: das zu produzieren, was den höchsten Gewinn einbringt”, führt er in einer Analyse aus. Donat weist darauf hin, dass es bei einigen Agrarprodukten eine Überproduktion und bei anderen eine Unterproduktion gibt. Donat sagt: „In der vergangenen Woche sind wir mit Bauern aus Bursa zusammengekommen. Sie haben sich über die hohen Kosten bei der Produktion beschwert. Eine weitere Beschwerde betraf den Absatz ihrer Produkte. Seit zehn Jahren bewegt sich der Nektarinenpreis in Bursa bei 1,0 bis 1,5 Türkische Lira. Dabei bezahlen die Konsumenten in den Großstädten wie Istanbul mindestens 4,0 bis 5,0 Türkische Lira.

Aufgrund dieses chronischen Problems in der Region haben die Bauern aus Bursa/Gürsu die Nektarinenbäume zerschnitten, weil sie kein Geld verdienen konnten. Im Verlauf des Jahres sind die Preise für Benzin, Dünger und Pestizide um 40 Prozent gestiegen. Deshalb suchen sie nach Alternativen, um diese Kosten finanzieren zu können. Derzeit bringt die Produktion von Eisbergsalat den höchsten Gewinn ein. Deshalb sind alle Bauern dazu übergegangen, Eisbergsalat zu produzieren. Doch im kommenden Jahr könnte der Großteil der Eisbergsalate auf den Feldern bleiben, weil es ein Überangebot gibt. Nach Angaben der OECD lagen die Preise bei Agrarprodukten in der Türkei unter Berücksichtigung der Jahre 2015 und 2017 etwa 28 Prozent über dem globalen Durchschnitt.”

Expansion von Cargill

Die türkische Regierung hat in den vergangenen Jahren Ackerland an den US-Agrarkonzern Cargill veräußert. Im Jahr 1998 gründete der Konzern eine Fabrik in Bursa. Die Anlage befand sich auf einem Gebiet, die gesetzlich ihren Ackerland-Charakter behalten musste. Die Lizenz für die Errichtung der Fabrik erhielt das Unternehmen vom zuständigen Gouverneur. Doch die Staatsanwaltschaft erhob Anklage gegen den Gouverneur und die Lizenz wurde aufgekündigt.

Im Jahr 2005 entschied das AKP-Regierungskabinett, den Status des geschützten Ackerlands in eine „private Industriezone“ umzufunktionieren. Das in der Türkei als Cargill-Gesetz bekannte Vorhaben wurde 2008 vom Parlament verabschiedet und vom damaligen Präsidenten Abdullah Gül unterzeichnet, berichtet NTVMSNBC. Bauernverbände in der Türkei sahen in dieser Prozedur eine offenkundige Vorteilsgewährung für Cargill. Das Gesetz stellt einen Verstoß gegen das Gleichheitsgebot der türkischen Verfassung dar. Der Ex-Präsident der Generalversammlung der Vereinten Nationen, Miguel D’Escoto Brockmann, sagte 2008 auf der Überprüfungskonferenz zu den Millenniums-Entwicklungszielen, dass Monsanto und Cargill von den Nahrungsmittel-Krisen in der Welt profitieren würden. Sie gehören zu den Kontrolleuren der Getreidemärkte. Im Jahr der Nahrungskrise 2007 habe Monsanto seinen Gewinn um 45 und Cargill um 60 Prozent gesteigert.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
X

DWN Telegramm

Verzichten Sie nicht auf unseren kostenlosen Newsletter. Registrieren Sie sich jetzt und erhalten Sie jeden Morgen die aktuellesten Nachrichten aus Wirtschaft und Politik.
E-mail: *

Ich habe die Datenschutzerklärung gelesen und erkläre mich einverstanden.
Ich habe die AGB gelesen und erkläre mich einverstanden.

Ihre Informationen sind sicher. Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten verpflichten sich, Ihre Informationen sorgfältig aufzubewahren und ausschließlich zum Zweck der Übermittlung des Schreibens an den Herausgeber zu verwenden. Eine Weitergabe an Dritte erfolgt nicht. Der Link zum Abbestellen befindet sich am Ende jedes Newsletters.

DWN
Immobilien
Immobilien Soziale Brennpunkte: Armut, Migration und Überalterung – Wohnquartiere überfordert
09.05.2025

Armut, Migration, Wohnungsmangel, Überalterung und Einsamkeit: Immer mehr Wohnquartiere in Deutschland sind überfordert. Eine neue Studie...

DWN
Finanzen
Finanzen Commerzbank-Aktie auf Rekordkurs nach starkem Quartalsgewinn – und nun?
09.05.2025

Die Commerzbank-Aktie hat zum Start in den Börsenhandel am Freitag zugelegt – und im Handelsverlauf ein neues Jahreshoch erreicht. Das...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft EU schlägt zurück: Diese US-Produkte stehen nun im Visier von Brüssel
09.05.2025

Die Europäische Kommission hat eine umfassende Liste von US-Produkten veröffentlicht, auf die im Falle eines Scheiterns der Verhandlungen...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Daimler-Sparprogramm: Was plant Daimler Truck in Deutschland?
09.05.2025

Der Nutzfahrzeughersteller Daimler Truck strebt an, seine Wettbewerbsfähigkeit in Europa zu erhöhen und hat sich mit dem...

DWN
Panorama
Panorama Endlos-Hitze droht im Sommer: Wetterextreme betreffen jüngere Generationen erheblich stärker
09.05.2025

Endlos-Hitze droht im Sommer - diese Schlagzeile geistert an diesem Freitag durch die Medien. Klar ist, dass die Folgen der globalen...

DWN
Technologie
Technologie Datenfalle USA: Warum viele Unternehmen in Gefahr sind - ohne es zu merken
09.05.2025

Viele Unternehmen übertragen täglich Daten in die USA – und merken nicht, dass sie damit in eine rechtliche Falle tappen könnten. Das...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Chinas Exporte überraschen - Fokus auf die USA
09.05.2025

Trotz des anhaltenden Handelskonflikts mit den Vereinigten Staaten sind Chinas Exporte überraschend robust geblieben. Der Außenhandel mit...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Reiche fordert den Ausbau von Gaskraftwerken in Deutschland
09.05.2025

Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche setzt auf einen schnellen Ausbau von Gaskraftwerken in Deutschland. Die Gründe dafür...