Politik

Ökonom: Wachstum in der Türkei ist nicht nachhaltig

Lesezeit: 2 min
16.08.2018 00:09
Das Wachstum der türkischen Wirtschaft ist zu stark auf Schulden aufgebaut, sagt der Ökonom Srinivas Thiruvadanthai.
Ökonom: Wachstum in der Türkei ist nicht nachhaltig

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Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Im Jahr 2018 fiel die Türkische Lira gegenüber dem Dollar um rund 45 Prozent. Was sind aus Ihrer Sicht die Hauptgründe für diesen Kurseinbruch?

Srinivas Thiruvadanthai: Die Wirtschaft der Türkei wächst angesichts ihres moderaten Exportwachstums in einem nicht nachhaltigen Tempo. Die Volkswirtschaften der Schwellenländer können ihr schnelles Wirtschaftswachstum im Allgemeinen nicht mit der Wachstumsrate ihrer Exporte in Einklang bringen. Wenn das BIP viel schneller wächst als die Exporte, das heißt, wenn die Binnennachfrage viel schneller wächst als die Exporte, dann werden die Importe auch tendenziell schneller wachsen als die Exporte, was zu einer Verschlechterung des Leistungsbilanzsaldos führt. Genau das ist in der Türkei passiert. Schlimmer noch, die Türkei finanziert ihr robustes Wirtschaftswachstum mit einem raschen Schuldenaufbau, sowohl extern als auch intern. Ohne eine starke Verlangsamung der Binnenkonjunktur dürfte sich der Leistungsbilanzsaldo nicht merklich verbessern.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Welche Länder haben ähnliche Probleme und warum?

Srinivas Thiruvadanthai: Argentinien. In viel geringerem Maße Indonesien und Indien.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Ist es möglich, dass die US-Notenbank Fed in den nächsten Monaten den Leitzins erhöht?

Srinivas Thiruvadanthai: Ja, die Fed wird die Zinsen in den kommenden Monaten erhöhen. Die angespannte Arbeitsmarktlage und die Wahrscheinlichkeit einer stärkeren Lohninflation dürften die Fed dazu veranlassen, die Zinsen stärker zu erhöhen, als die Märkte erwarten.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Mehrere Analysten sagen, dass eine Währungskrise in der Türkei auch die EU-Wirtschaft beeinflussen würde? Warum und wie?

Srinivas Thiruvadanthai: Einige europäische Banken sind in der Türkei stark engagiert. Wenn türkische Probleme zu einer Risikoaversion und einer Schwäche der Weltwirtschaft führen, werden die europäischen Exporte beeinträchtigt. Die europäische Wirtschaft ist immer noch auf Exporte angewiesen.

 

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Argentinien erhielt einen Multimilliarden-Kredit vom IWF. Ist es möglich, dass die Türkei diesem Beispiel folgt?

Srinivas Thiruvadanthai: Die Türkei hat sich bisher nicht an den IWF gewandt.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Wir sehen, dass die Staatsverschuldung in der Türkei relativ gering ist. Aber wie hoch ist der private Sektor verschuldet?

Srinivas Thiruvadanthai: Das Problem der Türkei sind die Auslandsschulden, insbesondere die kurzfristigen Auslandsschulden, die höher sind als die Reserven. Die Türkei hat im Vergleich zu anderen aufstrebenden Volkswirtschaften auch eine hohe Verschuldung des privaten Sektors.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Was bedeutet die aktuelle Krise in der Türkei für die privaten türkischen Haushalte?

Srinivas Thiruvadanthai: Sie müssen auf eine erhebliche Verschärfung der inländischen Geldpolitik und eine möglicherweise länger anhaltende Konjunkturabschwächung vorbereitet sein.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Welche konkreten Optionen gibt es für die Türkei, um die Krise zu bewältigen und zu lösen?

Srinivas Thiruvadanthai: Das hängt davon ab, was politisch akzeptabel ist. Es gibt viele Möglichkeiten, von denen keine schmerzlos sind. Der Kompromiss zwischen den verschiedenen Optionen ist: Wer trägt die Hauptlast der Umstellung? Es stehen sich kurzfristige Zweckmäßigkeit und langfristige Nachhaltigkeit gegenüber.

Srinivas Thiruvadanthai ist Direktor der Forschungs-Abteilung am Jerome Levy Forecasting Center in New York. Er untersuchte vor allem „Vermögenseffekte“ auf das Konsumverhalten und deren Auswirkungen auf Unternehmensgewinne; die anhaltende und durchdringende Überbewertung von Unternehmensgewinnen; Schwachstellen des Finanzsektors im Zuge einer Immobilienblase; die Entwicklung der japanischen Bilanzen während der Immobilien-Blase und seine Folgen; und die finanzielle Entwicklung der asiatischen Volkswirtschaften. Zudem war er über drei Jahre am indischen Kredit-Institut ICICI Bank als Darlehensberater tätig.


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