Immobilien

Deutschlands Zukunft? Wohnquartiere als soziale Brennpunkte: Armut, Migration und Überalterung

Armut, Migration, Wohnungsmangel, Überalterung und Einsamkeit: Immer mehr Wohnquartiere in Deutschland sind überfordert. Eine neue Studie warnt vor sozialen Kipppunkten in vielen Problemvierteln, wenn die Politik jetzt nicht handelt.
11.05.2025 19:48
Lesezeit: 3 min
Deutschlands Zukunft? Wohnquartiere als soziale Brennpunkte: Armut, Migration und Überalterung
Eine Studie von GdW und InWIS warnt vor sozialen Kipppunkten in vielen Quartieren: „Die Spannungen in den Quartieren nehmen zu, die Bereitschaft zur Integration nimmt ab“, kommentiert GdW-Präsident Axel Gedaschko. (Foto: dpa) Foto: Georg Wendt

Soziale Brennpunkte: Wohnquartiere zunehmend überfordert

Der gesellschaftliche Zusammenhalt hat in den vergangenen Jahren erhebliche Risse bekommen: Die zunehmende Fragmentierung in der Gesellschaft ist für 3.000 Wohnungsunternehmen mit etwa 6 Millionen Mietwohnungen im Bestand direkt in den Wohnquartieren spürbar.

Eine neue Studie von GdW und InWIS warnt vor sozialen Kipppunkten in vielen Quartieren – und fordert eine bessere politische Steuerung, denn immer mehr Wohnquartiere in Deutschland stehen unter massivem sozialem Druck.

Studie: Immer mehr Wohnquartiere unter sozialem Druck

In bestimmten Stadtteilen bündeln sich gesellschaftliche Herausforderungen wie Armut, Migration, Wohnungsmangel, Überalterung und Einsamkeit – mit zunehmend dramatischen Folgen für den gesellschaftlichen Zusammenhalt.

Das sind Ergebnisse der Studie „Überforderte Quartiere. Engagement – Auswege – Lösungen“, die das Institut für Wohnungswesen, Immobilienwirtschaft, Stadt- und Regionalentwicklung (Inwis) für den Spitzenverband der Wohnungswirtschaft GdW erstellt hat.

Überforderte Quartiere: Wohnungswirtschaft alleingelassen?

227 Stadtteile in Deutschland werden der Studie zufolge aktuell im Programm „Sozialer Zusammenhalt“ gefördert – mindestens 345 weitere zeigen demnach ebenso kritische soziale Indikatoren, erhalten aber keine Förderung.

Gerade in den sogenannten Großwohnsiedlungen leben überdurchschnittlich viele Empfänger staatlicher Transferleistungen: Das führe zu einer Schrumpfung des Einzelhandelsangebots, zur Bildungssegregation und einem „Milieu der Ärmlichkeit“.

Soziale Probleme: Kommunen strukturell überfordert

Auch die Altersstruktur vieler Stadtquartiere hat sich in den vergangenen Jahren verändert: Der Anteil der über 65-Jährigen liegt in manchen Vierteln bereits bei mehr als 30 Prozent, Tendenz steigend.

„Unsere Analyse zeigt, dass wir es nicht mehr nur mit überforderten Nachbarschaften, sondern mit ganzen überforderten Quartieren zu tun haben“, erklärt Studienautor Prof. Dr. Torsten Bölting, Geschäftsführer des Inwis.

Diese Quartiere seien geprägt von einer Kumulation sozialer Probleme. „Die Wohnungswirtschaft allein kann diese Probleme nicht lösen, obwohl sie vielerorts zentrale Integrationsarbeit leistet. Politik und Gesellschaft müssen jetzt strukturelle Antworten liefern – nicht irgendwann, sondern sofort.“

GdW: Förderung „Whatever it takes“

Wie aus der Studie hervorgeht, sind auch viele Kommunen strukturell überfordert. Es fehlen nicht nur finanzielle Mittel, sondern auch personelle Ressourcen und Kompetenzen, um die komplexen Herausforderungen in den Quartieren aktiv zu managen. Klassische Förderprogramme reichen nicht aus, um der Lage Herr zu werden; es sind integrierte, langfristige Lösungen nötig.

„Unsere Wohnungsunternehmen sind mit rund sechs Millionen Wohnungen so etwas wie seismographische Frühwarnsysteme. Was sie heute melden, ist beunruhigend: Die Spannungen in den Quartieren nehmen zu, die Bereitschaft zur Integration nimmt ab“, kommentiert GdW-Präsident Axel Gedaschko die Ergebnisse und fordert ein Umdenken.

„Wir brauchen pragmatische Lösungen – nach dem Motto: 'Whatever it takes'“, so Gedaschko. Außerdem eine zentrale Kompetenzstelle „Zusammenleben im Quartier“ auf Bundesebene, mehr finanzielle und personelle Ressourcen für die Quartiersarbeit vor Ort und vereinfachte und flexiblere Förderrichtlinien.

Mögliche Lösungen: Wohnungsunternehmen spielen zentrale Rolle

Die Studie unterstreicht laut GdW, dass Wohnungsunternehmen durch die Nähe zu den Mietern eine zentrale Rolle spielen könnten, würden sie nur besser in die politische Steuerung und Förderung eingebunden – und würden die Quartiersarbeit, das Engagement für altersgerechtes Wohnen und die Rolle als „Kümmerer vor Ort“ systematisch unterstützt und gefördert.

Die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse sei seit der Grundgesetzreform 1994 in Artikel 72 festgeschrieben. Bund, Länder und Kommunen hätte also einen klaren Auftrag, auch wenn es um die Entwicklung der urbanen Wohnquartiere gehe.

In der Studie werden Handlungsempfehlungen formuliert:

  • Das isolierte Nebeneinander staatlicher Zuständigkeiten muss abgebaut werden. Dazu sollten alle relevanten Akteure an einen Tisch gebracht werden – von Kommunen und Wohnungswirtschaft bis hin zu Pflegekassen, Wohlfahrtsverbänden und zivilgesellschaftlichen Organisationen.
  • Es braucht neue Finanzierungsmodelle für die Daseinsvorsorge, eine systematische Evaluierung bestehender Sozialleistungen sowie regulär verfügbare, kooperative Fördermodelle vor Ort. Ziel ist es, aus überforderten Quartieren wieder stabile Nachbarschaften zu entwickeln, in denen funktionierende Infrastrukturen, Vertrauen und soziale Teilhabe den Zusammenhalt stärken.

Fazit: Sozialer Frieden in Gefahr, wenn die Politik nicht gegensteuert

In Deutschland haben sich in immer mehr Wohnquartieren der Wohnungsunternehmen in den vergangenen zehn Jahren die sozialen Konflikte verschärft. Es mangelt vermehrt an Toleranz unter den Mietern. Gegenüber Ordnung, Sicherheit und Sauberkeit wächst die Gleichgültigkeit. Zugenommen haben zudem Altersarmut und Isolation.

Der gesellschaftliche Zusammenhalt hat in den letzten Jahren erhebliche Risse bekommen. Wenn der Staat sich weiter aus den Problemen heraushält oder gar zurückzieht und die Steuergeld anderweitig ausgibt, anstatt Hilfsangebote in Brennpunkt-Wohnquartieren zu finanzieren, wird der soziale Frieden und der Zusammenhalt der Gesellschaft in Deutschland weiter schwinden.

Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Gold als globale Reservewährung auf dem Vormarsch

Strategische Relevanz nimmt zu und Zentralbanken priorisieren Gold. Der Goldpreis hat in den vergangenen Monaten neue Höchststände...

Mirell Bellmann

Mirell Bellmann schreibt als Redakteurin bei den DWN über Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Zuvor arbeitete sie für Servus TV und den Deutschen Bundestag.

DWN
Finanzen
Finanzen Goldpreis aktuell stabil: Deutsche Goldinvestments erholen sich – wie Anleger jetzt reagieren sollten
02.07.2025

In den vergangenen Wochen war die Goldpreis-Entwicklung von Volatilität geprägt. Das ist auch zur Wochenmitte kaum anders: Obwohl sich...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Hitzestress am Arbeitsplatz: Mehr Krankmeldungen bei Extremtemperaturen
02.07.2025

Extreme Sommerhitze belastet nicht nur das Wohlbefinden, sondern wirkt sich zunehmend auf die Arbeitsfähigkeit aus. Bei Hitzewellen...

DWN
Politik
Politik Europa vor dem Zerfall? Ex-Premier Letta warnt vor fatalem Fehler der EU
02.07.2025

Europa droht, zum Museum zu verkommen – oder zum Spielball von Trump und China. Italiens Ex-Premier Letta rechnet ab und warnt vor dem...

DWN
Politik
Politik Warum sprechen diese Woche alle über Trumps „Big Beautiful Bill“?
01.07.2025

Es ist Trumps größtes Prestigeprojekt. Doch welche Vor- und Nachteile hat das Gesetzespaket, das am Freitag unterschriftsreif auf dem...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Kernenergie-Aktien explodieren um 542 Prozent: Anleger warnen vor Blasenbildung
01.07.2025

Kernenergie-Aktien feiern ein spektakuläres Comeback – befeuert durch den steigenden Strombedarf für Rechenzentren. Die Branche erlebt...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Svenska Digitaltolk: Dolmetscher-Gigant kauft KI-Unternehmen – Millionenumsatz prognostiziert
01.07.2025

Schwedens Dolmetscher-Gigant will Europas Übersetzungsmarkt aufrollen – mit KI, Millionenplänen und dem Griff nach Deutschland. Doch...

DWN
Politik
Politik Grenze zu – zumindest teilweise: Polen kontrolliert ab Montag
01.07.2025

Polen wird ab kommendem Montag vorübergehend wieder Grenzkontrollen an der Grenze zu Deutschland einführen. Das kündigte...

DWN
Politik
Politik Krankenkassen schlagen Alarm: Zusatzbeiträge könnten deutlich steigen
01.07.2025

Die gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV) warnen vor Druck zu neuen Beitragserhöhungen ohne eine rasche Bremse für steigende Kosten....