Politik

Syrien und Russland stellen Angriffe in Idlib ein

Lesezeit: 4 min
07.09.2018 17:28
Russland, die Türkei und der Iran wollen eine politische Lösung für Idlib. Den IS und die al-Nusra wollen sie jedoch militärisch ausschalten.

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Am Donnerstag hat die syrische Armee (SAA) mit Unterstützung der russischen Luftwaffe Waffenlager der Al-Nusra-Front, die sich mittlerweile Hayat Tahrir al-Scham (HTS) nennt und international als Terrororganisation eingestuft wird, im Norden von Hama und im Süden von Idlib zerstört, meldet die Nachrichtenagentur SANA. Hama ist die südliche Nachbarprovinz von Idlib. Die Angriffe richteten sich gegen Lager in der Stadt al-Tamanea - etwa 8 km östlich von Khan Sheikhoun - und im Dorf al-Teh. Zudem wurde im Dorf Tel Aas ein Trainingslager von HTS zerstört. In Kafr Zita in der nördlichen Landschaft von Hama wurde eine Höhe zerstört, die von HTS als Feldkrankenhaus genutzt wurde. Weitere Luftschläge hat es seit Donnerstagnacht nicht gegeben.

Am Freitag hatten Russen und Syrer die Kämpfe allerdings weitgehend eingestellt. Es ist unklar, ob es sich um eine taktische Pause vor einer Offensive oder um eine neue Strategie in Idlib handelt. Der Gipfel von Teheran lässt beide Schlüsse zu. 

Russland, Iran und die Türkei haben deutlich gemacht, dass sie die Extremisten-Organisationen Islamischer Staat und Nusra Front in Syrien vernichten wollen. Dies erklärten die drei Präsidenten der Länder, Wladimir Putin, Hassan Ruhani und Recep Tayyip Erdogan bei ihrem Gipfeltreffen am Freitag in Teheran. Zugleich wollten sie sich für die Einheit Syriens starkmachen, hieß es in einer gemeinsamen Erklärung. Man werde zudem versuchen, Wege zu finden, die Situation in der Rebellenhochburg Idlib zu lösen. Generell könne der Konflikt nur mit politischen Verhandlungen und nicht mit dem Militär beendet werden.

Ruhani sagte, es sei "unvermeidbar", den "Terrorismus" in der Söldner-Hochburg Idlib zu bekämpfen, berichtet die Nachrichtenagentur AFP. Nur so könnten "Frieden und Stabilität" wieder Einzug halten, sagte er bei seinem Treffen mit Russlands Präsident Wladimir Putin und dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan. Zugleich betonte Ruhani, dieser Kampf dürfe "nicht zum Leiden der Zivilisten oder einer Politik der verbrannten Erde" führen. Erdogan warnte vor einem "Blutbad" in Idlib. "Ein Angriff auf Idlib wird zu einer Katastrophe, einem Massaker und einer riesigen humanitären Tragödie führen", sagte der türkische Präsident, der seit langem die Söldner in Nord-Syrien unterstützt.

Erdogan appellierte an Putin und Ruhani, einem Waffenstillstand in Idlib zuzustimmen und sagte, dass ein solches Abkommen ein "Sieg" ihres Gipfels bedeuten würde. Die Türkei könne keine weiteren Flüchtlinge aufgrund eines Angriffs in Idlib aufnehmen, sagte Erdogan.

Putin antwortete jedoch, dass er einen Waffenstillstand ablehne, weil die Al-Nusra-Front und die dort stationierten militanten Islamisten nicht Teil der Friedensgespräche seien. Syrien müsse die Kontrolle über sein gesamtes Territorium wiedererlangen.

Der englischsprachige Dienst von Reuters zitiert Putin: "Tatsache ist, dass es hier an diesem Tisch keine Vertreter der bewaffneten Opposition gibt. Und mehr noch, es gibt keine Vertreter der Al-Nusra-Front oder ISIS oder der syrischen Armee (...) Ich denke, im Allgemeinen hat der türkische Präsident Recht. Es wäre gut. Aber ich kann nicht für sie (die syrische Armee, Anm. d. Red.) sprechen, und noch mehr kann ich nicht für die Terroristen der Al-Nusra-Front oder von ISIS sprechen."

Putin hat nach Informationen der Tass eine engere Koordinierung mit den iranischen und türkischen Geheimdiensten gefordert. "Ich schlage vor, unsere Koordination zwischen Außenministerien, Verteidigungsministerien und Geheimdiensten zu verbessern", sagte Putin.

Der Iran und Russland stützen den syrischen Präsidenten Baschar al-Assad, der mit ihrer Hilfe seit 2015 den Großteil des Landes zurückerobert hat und nun auch Idlib wieder einnehmen will. Erdogan forderte ein Ende der Luftangriffe auf Idlib und eine Waffenruhe. Russland, der Iran und die Türkei dürften als Garantiemächte der vergangenes Jahr vereinbarten "Deeskalationszone" in Idlib keine neue Welle der Gewalt in Syrien erlauben, mahnte er. Russlands Präsident Putin sagte dagegen, "die legitime syrische Regierung" Assads habe das Recht, das gesamte Territorium wieder unter Kontrolle zu bringen. Vor dem Beginn des Gipfels hatten sich Erdogan, Ruhani und Putin jeweils zu Vier-Augen-Gesprächen getroffen. Es wird erwartet, dass der Gipfel über das Ausmaß und den Zeitpunkt eines Angriffs auf Idlib entscheidet. Zwar will die Türkei eine solche Militäroffensive verhindern, doch hat Russland bereits im Vorfeld Unterstützung für einen Angriff auf die Söldner-Truppe Hajat Tahrir al-Scham (HTS) signalisiert, die den Großteil der Provinz kontrolliert.

Die türkische Zeitung Aydınlık hat Details zur "Teheran-Deklaration" veröffentlicht. Der Deklaration zufolge erklären sich alle drei Länder bereit, "die Unabhängigkeit, Souveränität und territoriale Integrität" der "Syrischen Arabischen Republik" zu unterstützen. Alle Drittparteien hätten dies zu respektieren. Die Länder lehnen die "Schaffung neuer Realitäten" zu Boden "unter dem Deckmantel des Kampfs gegen den Terrorismus" ab. Russland, die Türkei und der Iran erklären gegen jedwede separatistischen Gruppen vorzugehen, die sich in Syrien befinden, und die nationale Sicherheit der Nachbarstaaten bedrohen. Alle Gruppen, die von der UN als Terrororganisationen eingestuft werden, werden bekämpft. Das Syrien-Problem könne nicht militärisch, sondern nur auf dem Weg von politischen Verhandlungen gelöst werden - unter Berücksichtigung der Beschlüsse von Sotschi und der UN-Resolution 2254. Die Situation in Idlib werde unter Berücksichtigung der Beschlüsse der UN und der Astana-Beschlüsse gelöst werden.

RFS Media, die die Nachrichtenagentur der Freien Syrischen Armee (FSA), meldet, dass ein Attentat der Söldner-Truppe National Liberation Front (NLF) auf einen pro-syrischen Milizenführer missglückt sei. Dabei soll es sich um den Kommandanten der sogenannte "Iskenderun-Brigade", Najat Ali Kayali, handeln. Das Attentat auf Kayali ereignete sich auf der Salanfa-Straße im ländlichen Latakia in der Nähe von Idlib. Zwei der Männer von Kayali sollen bei dem Attentat ums Leben gekommen sein. Kayali wurde zuvor am 26. Oktober 2016 vor seinem Hauptquartier in der Vorstadt von Tishreen in Latakia von einem improvisierten Sprengsatz verletzt.

Kayali heisst ursprünglich Mihraç Ural und stammt aus der Türkei. In seinen Jugendjahren gehörte er der linksextremistischen türkischen Organisation THKP-C an und floh im Jahr 1982 nach Syrien, um sich dort abzusetzen. Nach Informationen der Zeitung Akşam spielt Ural eine entscheidende Rolle beim Drogen-Transit von Afghanistan nach Europa. Das Blatt wörtlich: "Ural kontrolliert den Drogenhandel von Latakia aus über den Seeweg nach Italien durchgeführt wird. Die Drogen, die somit auf den europäischen Markt gelangen, werden anschließend an die "Bingöllü-Gruppe" (Eine kurdische Drogenmafia-Gruppe aus der türkischen Stadt Bingöl, die der PKK nahe steht, Anm. d. Red.) übergeben, um die Drogen im Straßenverkauf abzusetzen. Es handelt sich bei den Drogen um Kokain, Heroin und Cannabis. Ural und die ,Bingöllü-Gruppe' spielen auch als Schleuser eine entscheidende Rolle. Sie schleusen Afghanen und Syrer nach Europa, um diese dann als Drogenkuriere einzusetzen. Nach Aussagen von in Europa inhaftierten syrischen, irakischen und afghanischen Drogenkurieren mit Flüchtlingshintergrund nehmen die Schleuser im Gegenzug für die Schleusung keine Gebühr, wenn sich die betroffenen Flüchtlinge anschließend bereit erklären, als Drogenkuriere in Europa zu arbeiten."

Joost Hiltermann, ein Nahost-Experte der International Crisis Group, sagte dem ABC, dass es unterschiedliche Ansichten darüber gebe, was mit der kurdischen Region geschehen könnte, wenn das syrische Militär Idlib zurückgewinnt. "Die Türkei will sie besiegen, weil sie sie als Terroristen bezeichnet", so Hiltermann und bezog sich dabei auf den Anspruch der syrischen Kurden-Milizen, die ein Ableger der PKK sind.

Hiltermann wörtlich: "Russland hat gesagt, dass eine Form der Dezentralisierung in Syrien keine schlechte Idee ist - es könnte beispielsweise eine kurdische Region geben. Aber Russland will auch, dass das syrische Regime überlebt (...) am Ende wird Russland vielleicht auch die PKK zurückdrängen wollen."

Dem Analysten zufolge werden nach einer möglichen Rückeroberung von Idlib Söldner-Truppen weiterhin Widerstand leisten. "Selbst wenn Idlib fallen sollte, wird die Opposition gegen die Herrschaft von Herrn Assad wahrscheinlich nicht vollständig eingestellt und terroristische Gruppen werden weiter operieren. Der Krieg ist noch nicht vorbei, ich denke nur, dass es komplizierter wird - und weniger intensiv", meint Hiltermann.


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