Die Europäische Bankenaufsicht EBA hat am Freitag bei der Präsentation des Stresstests der großen Banken Beruhigungspillen verteilt. Es gebe zwar einige Probleme, aber letztlich sei alles nicht so schlimm, die Institute könnten einen starken Konjunktureinbruch und einen entsprechenden Rückgang der Erträge, begleitet von einem Preissturz bei den Immobilien, verkraften. Die Banken würden im Krisenfall 2020 statt der gewünschten 15,3 Prozent Eigenkapital der Kategorie 1 immer noch 10,1 Prozent haben. Diese Ankündigung soll offenbar die Börsianer beruhigen, die den Kursrückgang der europäischen Bankaktien mit Sorge beobachten. Allerdings ist ein Placebo nicht am Platz: Die Lage ist dramatisch und wird laufend noch schwieriger, wozu bereits im Jahr 2018 die neuen Rechnungslegungsvorschriften IFRS 9 und voraussichtlich ab 2022 die Verschärfung von Basel III unter dem Schlagwort „Basel IV“ entscheidend beitragen.
Drama Nummer 1: Der Vergleich mit den US-Banken – weniger Geschäft bei schlechtem Ertrag
Oft zitiert und noch immer relevant ist der Vergleich der jeweils zehn größten Banken in den USA und in Europa durch die internationale Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY. Obwohl in den USA steuerliche Korrekturen für eine atypische Reduktion der Gewinne sorgten, war das Ergebnis 2017 mit 74 Mrd. Euro immer noch fast doppelt so hoch wie in Europa mit 42 Mrd. Euro.
In diesem Jahr sind die US-Banken doppelt begünstigt durch die zu Beginn des Jahres in Kraft getretene Steuersenkung und die in den vergangenen Tagen und Wochen gestiegenen Kreditzinsen. Die Prime Rate für erstklassige Kunden liegt derzeit über 5 Prozent, bei Sparzinsen von bestenfalls 1,85 Prozent ergibt sich eine Spanne, von der europäische Banker nur träumen können. Aber auch schon 2017 schwankte der Zinssatz für erstklassige Kreditnehmer um die 4-Prozent-Marke bei ebenfalls bescheidenen, durch die US-Zentralbank Federal Reserve Board niedrig gehaltenen Geldeinstandskosten. Die Auswirkungen der Niedrigzinsperiode auf die Zinserträge waren also in den USA weit weniger dramatisch als in Europa, wo sich die Prime-Rate lange bei 2 Prozent und darunter bewegte.
Die Zinsen allein waren es nicht, die die US-Banken davonziehen ließen, maßgeblich war die Geschäftsentwicklung. Von 2015 bis 2018 nahmen die Kredite an Unternehmen, Konsumenten und den Immobilienbereich um über 17 Prozent zu. Leider gibt es in Europa keine brauchbare, vergleichbare Statistik, da die EZB zwar eine Flut von Daten produziert, aber keine klare Übersicht erstellt. Die bekannt gegebenen Daten über Kredite an Private Haushalte und an so genannte „nicht-finanzielle Kreditnehmer“, die also weder Banken noch Staaten sind, weisen in der Vergleichsperiode nur eine Zunahme um 3,5 Prozent aus. Somit ist eine der entscheidenden Ursachen für das schlechte Abschneiden der Europäer ein dramatischer, aber klar formulierbarer Tatbestand: Weniger Geschäft bei schlechtem Ertrag.
Zudem punkten die US-Banken im internationalen Geschäft, da sie sich freier bewegen können, womit auf den Problemkreis Nummer 2 zu verweisen ist.
Drama Nummer 2: In den USA wurde den Banken die Spekulation untersagt
Nach außen sichtbar scheinen die USA und die EU gleichermaßen durch Regulierungen und erhöhte Kapitalerfordernisse auf die Finanzkrise 2008 reagiert zu haben. Tatsächlich wirkt in den USA der 2010 beschlossene Dodd-Frank-Act, der vor allem die so genannte Volcker-Rule enthält – benannt nach dem Initiator und früheren Präsidenten der Fed, Paul Volcker. Diese Regel verbietet den Banken Spekulationen auf eigene Rechnung, sodass die Institute sich auf das Kredit- und Wertpapiergeschäft konzentrieren müssen.
In Europa wurden mit Basel III und anderen Regelwerken weit umfangreichere Beschränkungen bei der Vergabe von Krediten eingeführt als in den USA, aber den Banken die Spekulation weiterhin ermöglicht. Die niedrigen Zinsen und die Regulierungen bewirkten, dass bei dem soliden, traditionellen Bankgeschäft wenig verdient werden konnte. Die Banken versuchten daher zum Ausgleich, mit Spekulationen hohe Gewinne zu machen, wodurch, wie in der Krise 2008, weitere Milliarden verloren wurden.
Zur Erinnerung: Der einflussreichen Deutschen Bank ist es 2010 gelungen, die Übernahme der Volcker-Rule in Europa zu verhindern. Heute kämpft das Institut mit Milliarden-Problemen aus Risiko-Geschäften.
Die Lobby der US-Banken hat seit 2010 gegen den Dodd-Frank-Act gekämpft und schien sich mit Präsident Trump durchzusetzen. Allerdings hat die im Mai 2018 beschlossene Reform nur die Auflagen für die kleineren Institute gemildert. Für die Großen gab es einige, minimale Lockerungen, sodass der Dodd-Frank-Act die dominierenden Banken weiterhin vor ihrer Lust an der Spekulation bewahrt. Eine Gefahr ist allerdings, dass man sich der Kleinen bedient um zu spekulieren, weil die Volcker-Rule für die Regionalbanken de facto aufgehoben wurde.
Das Paradoxon: In Europa betreiben die Banken gegen den schädlichen Regulierungswust ein lahmes, eher zögerliches Lobbying. Man begrüße selbstverständlich die Regulierung, einige Vorschriften wären jedoch übertrieben und sollten korrigiert werden, lautet die vorsichtige Argumentation.
Die USA haben Basel III nicht wie Europa umgesetzt
Die zwei Regulierungswelten driften aber auch heuer weiter auseinander. Die EU hat die neuen Rechnungslegungsvorschriften IFRS 9 beschlossen und die Banken müssen bereits 2018 dieses äußerst problematische Regelwerk umsetzen: IFRS 9 zwingt bei allen möglichen Risiken eines Kredits oder einer sonstigen Veranlagung zu reagieren. Damit kommt es zu einer weiteren Verschärfung der schon jetzt bestehenden Verpflichtung der Banken, bei jeder nur erkennbaren Schwächeerscheinung eines Kreditnehmers auf die Bremse zu steigen, wodurch unweigerlich die Probleme der Kunden vergrößert werden. Schon bisher müssen aufgrund dieser Regel zahllose Ausleihungen als gefährdet eingestuft werden, auch wenn die Schuldner eine solide Bonität haben. In den USA wurde diese jeder Bankpraxis widersprechende Bestimmung nicht umgesetzt.
Auch bei IFRS 9 weiß man sich zu helfen. Im Rahmen der US-amerikanischen Rechnungslegung GAAP wurde als Alternative zu dem von IFRS 9 geschaffenen, engen Risiko-Korsett das so genannte CECL2 geschaffen. CECL steht für current expected credit losses, sodass mit der Bezeichnung das Ziel von IFRS angesprochen, aber weniger scharf umgesetzt wird. Ein Beispiel: Noch schärfer als unter Basel III wird unter IFRS 9 ein Kredit in der Bonität bei sich abzeichnenden Problemen schlechter gestuft. Bei CECL gibt es diese Auflage nicht. Die US-Banken werden IFRS 9 im Rahmen ihres umfangreichen internationalen Geschäfts nur dort einsetzen, wo die lokale Gesetzgebung dies vorschreibt.
Drama Nummer 3: Zwei währungspolitische Zonen
Beide Zentralbanken, die Fed und die EZB, haben mit Niedrigzinsen und einer Geldschwemme die Rezession bekämpft. In den USA erwies sich das so genannte „Quantitative Easing“ als Erfolg, in Europa wirkten hingegen die Kredit-Regeln als Staumauer, die verhinderten, dass die Milliarden in der Realwirtschaft ankamen. Das wird in der EZB geleugnet, aber die letztlich doch recherchierbaren Tatsachen sprechen eine deutliche Sprache: Die Kredite an nicht-finanzielle Schuldner betrugen im September 2015 4293 Mrd. Euro und im September 2018 4387 Mrd. Euro, sodass in drei Jahren eine Steigerung um 2,2 Prozent zustande kam. Gemeinsam mit den Ausleihungen an Private Haushalte waren es, wie eingangs erwähnt, 3,5 Prozent.
Die EZB kassiert von den Banken Strafzinsen für Einlagen, sodass die europäischen Institute an ihre Zentralbank im Jahr etwa 7,5 Mrd. Euro abliefern müssen. Die Fed zahlt hingegen den US-Banken Zinsen für ihre Einlagen, das waren 2017 26 Mrd. $ und heuer rechnet man im Gefolge der gestiegenen Zinsen mit 45 Mrd. $.
Generell gilt im Bankwesen, dass die Zinssätze, die die Zentralbanken den Kommerzbanken zahlen oder verrechnen maßgebend für die gesamte Zinslandschaft sind. Außerdem bilden die bei Geldmarkttransaktionen bezahlten Sätze eine weitere Orientierungsgröße, die aber von den Zentralbanksätzen mitbestimmt werden. Diese unter den Bezeichnung LIBOR – London Interbank Offered Rate – für den Dollar und einige andere Währungen ermittelten Sätze wie auch der EURIBOR – das Gegenstück für den Euro –bewegten sich lange auf extrem niedrigem Niveau. An diese Werte sind viele Kreditzinsen gekoppelt: Da phasenweise Minuszinsen verrechnet wurden, kam es zur grotesken Situation, dass in Europa manche Banken den Kreditnehmern Zinsen zahlen mussten statt Zinsen zu kassieren. Offenbar ist es den US-Banken besser gelungen, sich dem Diktat des LIBOR zu entziehen als den EU-Banken. Und jetzt sind die Zinsen in den USA, wie erwähnt, auf dem Weg zurück zu den historisch üblichen Sätzen.
Drama Nummer 4: Basel IV bedeutet das Ende des freien Unternehmertums der Banken
Basel III wurde in Europa mit einem großen, regulatorischen Eifer eingeführt und hat prompt zu einer Kreditbremse geführt, die die Rezession vertieft und verlängert hat. In den USA hat man Basel III ebenfalls übernommen, allerdings darauf geachtet, dass der Kreditmarkt nicht extrem eingeschränkt wird. Nun soll Basel IV, offiziell als „Endfassung von Basel III“ bezeichnet, ab 2022 gelten, mit noch dramatischeren Folgen. Wieder zeigt die Diskussion in der USA, dass man gewillt ist, den Banken den erforderlichen Freiraum zu erhalten.
Und um den Freiraum geht es.
- Basel IV sieht eine einheitliche und umfassende Berücksichtigung sämtlicher Aktiva einer Bank als Risikopositionen vor. Damit wird je nach Bank das Risikovolumen um rund ein Viertel erhöht, wodurch ein entsprechender Kapitalbedarf zur Absicherung dieser Risiken entsteht.
- Damit nicht genug. Während sich das Basel-Komitee bisher auf das Vorschreiben von Kapitalerfordernissen konzentriert hat, hat man nun die Veranlagungen im Visier. Jetzt geht es um detailliertere Klassifizierungen der Schuldner und um die Berücksichtigung der Verwendung der Kreditbeträge.
- Alle Banken sollen einem Standard-Modell bei der Risiko-Bewertung folgen, sodass überall die gleichen Regeln gelten und daher alle Institute nach einem Schema zu führen sind. Die bisher eingeschränkt, aber doch mögliche Anwendung eines eigenen Modells wird weitgehend beseitigt.
- Schon seit Basel II wird dem Rating von Unternehmen größte Bedeutung beigemessen. Diese Vorgabe wird durch Basel IV verschärft. Somit steuern die Regeln des Standard-Modells für die Beurteilung von Krediten gekoppelt mit den Bewertungen durch Rating-Agenturen das Geschäft. Die Bankenaufsicht soll unschwer kontrollieren, ob die Vorgaben eingehalten wurden, und entsprechend eingreifen können. Für Kreditnehmer, die kein Rating haben, kann keine bankeigene Beurteilung erfolgen, sodass diese Kunden von vornherein als höchstes Risiko zu beurteilen sind.
In den USA wird die drohende Gleichschaltung aller Banken abgelehnt. Nicht zufällig ist in den USA den Banken gesetzlich verboten, sich bei der Beurteilung von Kreditnehmern an die Einstufungen durch Rating-Agenturen zu halten. Im Sinne des freien Unternehmertums und der Konkurrenz unter den Banken soll jedes Geldinstitut für sich entscheiden, wem sie warum wieviel Geld leiht.
In Europa ist nach der Umsetzung von Basel III und den anderen Regelwerken damit zu rechnen, dass Basel IV implementiert wird und das europäische Bankwesen, das heuer schon mit IFRS 9 belastet wird, einen weiteren Rückschlag erleidet.
Die unendliche Ironie: Auch Basel IV wird, wie alle Basel-Regeln vorher, nicht dafür sorgen, dass Staaten wie andere Kreditnehmer einer Risiko-Analyse zu unterwerfen sind. Staaten werden weiterhin als risikolose Schuldner betrachtet, wie hoch auch immer die schon angehäuften Schulden sein mögen. Finanzierungen müssen daher nicht durch Kapital abgesichert werden.
Drama Nummer 5: Die Bekämpfung des Risikos vernichtet die Zukunft
Alle Maßnahmen der EU zielen darauf ab, das Risiko der Banken zu beseitigen. Die Übernahme des Risikos ist aber das eigentliche Geschäft der Banken. Jeder Kredit enthält die Gefahr des Ausfalls. Ohne Finanzierungen ist eine Volkswirtschaft gelähmt. In einer gelähmten Volkswirtschaft verdienen die Unternehmen wenig oder nichts und können daher Schulden weder verzinsen noch zurückzahlen. Somit muss man das Risiko akzeptieren und den Banken vertrauen, dass im Endeffekt Erfolge und Misserfolge einander die Waage halten. Es gibt in der freien Marktwirtschaft keine Erfolgsgarantie. Aber in der staatlichen Lenkungswirtschaft, die mit Basel IV für die Banken installiert wird, gibt es die Misserfolgsgarantie.
Um am lebendigen Beispiel zu demonstrieren, wie schädlich der Eingriff des Staates in alle Bereiche ist, bedarf es nicht Basel IV, das hat schon der gesamte, europäische Regulierungseifer gezeigt, in dem Basel III nur ein Element unter vielen ist:
- Die Wirtschaftsleistung der USA betrug nach der Finanzkrise 2011 knapp 15.500 Mrd. $und dürfte heuer übe 20.000 Mrd. $ erreichen. Das ist eine Steigerung um 29 Prozent.
- Die Vergleichswerte der Euro-Zone betrugen 2011 9.800 Mrd. Euro und für 2018 voraussichtliche 11.600 Mrd. Euro, womit nur ein Wachstum um 18 Prozent erreicht wurde.
- Hier sind die jeweils eigenen Währungen angegeben, weil die Kursschwankungen die Entwicklungen verzerren.
- Festzuhalten ist aber, dass beide Wirtschafträume über 300 Millionen Einwohner haben und wie auch immer man Dollar und Euro umrechnet, die USA mit Abstand eine höhere Wirtschaftsleistung erzielen.
Mit diesem Vergleich soll nicht die Übertragung des US-amerikanischen Modells auf Europa empfohlen werden. Am Beispiel der Banken und ihrer zentralen Bedeutung für die Volkswirtschaft ist aber deutlich zu sehen, dass die von Europa betriebene Politik großen Schaden anrichtet. Die historische Erfahrung zeigt, dass man den Banken das Kredit- und Wertpapiergeschäft getrost überlassen kann, das verstehen sie besser als alle Aufseher und die Ausfälle sind nicht dramatisch. Verbieten muss man den Instituten die Spekulation mit Milliarden und die hemmungslose, unkontrollierte Finanzierung von überschuldeten Staaten. Doch Europa macht Beamte zu Kreditkontrolleuren und sieht zu, wie die Banken Milliarden verspekulieren und bis zur Gefährdung des Euro Geld in marode Staaten pumpen.
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Ronald Barazon war viele Jahre Chefredakteur der Salzburger Nachrichten. Er ist einer der angesehensten Wirtschaftsjournalisten in Europa und heute Chefredakteur der Zeitschrift „Der Volkswirt“ sowie Moderator beim ORF.