Die EU stemmt sich mit aller Kraft gegen protektionistische Tendenzen, die den internationalen Freihandel bedrohen. Immerhin weisen 17 ihrer Mitgliedsstaaten Leistungsbilanzüberschüsse auf, die teilweise enorm sind (beispielsweise Irland mit 11,7 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts; Niederlande 10,1 Prozent; Deutschland 7,8 Prozent; selbst das wirtschaftlich gebeutelte Italien erzielt ein Plus von 2,6 Prozent). Drei Länder verfügen über ausgeglichene Leistungsbilanzen, lediglich acht Länder über negative, wobei das einzige größere Land mit einem deutlichen Minus (3,7 Prozent) Großbritannien ist, also das Land, das die EU voraussichtlich in Kürze verlassen wird.
Insgesamt betrug der Leistungsbilanzüberschuss aller EU-Staaten im Jahr 2017 388 Milliarden Euro. Die EU hat also großes Interesse daran, Protektionismus zu vermeiden, den Freihandel vertraglich auszuweiten beziehungsweise bereits bestehende Abkommen zu zementieren.
Im Einklang mit diesen Zielen unterzeichneten im Juli EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und der japanische Premierminister Shinzo Abe „Jefta“, das größte Freihandelsabkommen, das die EU je ausgehandelt hat. Ungeachtet der handelspolitischen Spannungen zwischen Brüssel und Washington arbeiten Vertreter beider Seiten weiterhin an einer – wenn auch im Verhältnis zur ursprünglichen Planung leicht abgespeckten – Fassung des transatlantischen Freihandelsabkommens (TTIP) zwischen der EU und den USA. Auch mit dem südamerikanischen Wirtschaftsbündnis „Mercosur“ steht die EU derzeit in Verhandlungen, ebenso mit Mexiko, dem Tigerstaat Singapur und dem aufstrebenden Schwellenland Vietnam.
Gleichzeitig ist die EU bestrebt, Reformen und eine Modernisierung der Welthandelsorganisation (WTO) in die Wege zu leiten, um über diesen Kanal China zu einer Öffnung seiner Märkte, zur Reduzierung von Subventionen und zur Lockerung der politischen Einflussnahme auf die Wirtschaft zu bewegen (China trat der WTO im Jahr 2001 bei).
Ironischerweise hofft Brüssel dabei auf indirekte Unterstützung von demjenigen Land, dessen protektionistischen Maßnahmen für die EU derzeit das größte Problem darstellen: Den USA. Diese ist derzeit dabei, Druck auf die WTO auszuüben und sie zu Reformmaßnahmen zu zwingen. Im Dezember 2018 legten die amerikanischen Repräsentanten der WTO ein Dokument vor, das mit folgenden Worten begann: „Die Vereinigten Staaten haben sich festgelegt, das globale Handelssystem derart zu reformieren, dass es zu faireren Ergebnissen für US-amerikanische Arbeiter und Unternehmen führt und zu effizienteren Märkten für Länder in der gesamten Welt. Die US-Handelspolitik ist angetrieben von einer pragmatischen Entschlossenheit, die verfügbaren Hebel der weltgrößten Volkswirtschaft zu nutzen, um diese Ziele zu erreichen.“
Die von den USA im Sommer erlassenen Strafzölle auf Stahl und Aluminium haben der US-Wirtschaft mehr geschadet als der europäischen; die auf der Stelle eingeleiteten Gegenmaßnahmen der EU erhöhten zwar die Spannungen, führten jedoch nicht zum befürchteten Handelskrieg, zudem im Juli 2018 Gespräche zwischen US-Präsident Donald Trump und Juncker stattfanden, die zum Ergebnis hatten, dass beide Seiten vorerst keine neuen Zölle verhängen. Noch sind die von der Trump-Administration angedrohten Sonderzölle auf europäische Autos allerdings nicht vom Tisch, Gespräche darüber sollen im Januar 2019 aufgenommen werden. Angesichts der Sprunghaftigkeit der Trump-Administration und dem Umstand, dass sie weiterhin unbeirrt an ihrer Devise des „America first“ festhält, ist ein Neuaufflammen von Handelskonflikten daher nicht auszuschließen.
Protektionismus und Handelsbeschränkungen werden nach offizieller Lesart von der EU strikt abgelehnt und der freie Welthandel propagiert, aber selbst hält sich das Wirtschaftsbündnis nur bedingt an seine hehren Grundsätze. Bestes Beispiel sind Autos: Die Europäer kritisieren die von Trump angedrohten Sonderzölle vehement – ohne dabei zu erwähnen, dass sie einen Einfuhrzoll von zehn Prozent auf amerikanische Pkw erheben, die USA aber nur 2,5 Prozent auf europäische Autos. Auf Pick-ups beträgt der Zoll sogar 22 Prozent, weil sie als Nutzfahrzeuge klassifiziert werden.
Auch andere Industrieprodukte werden mit – teilweise horrenden – Zöllen belegt, so eine ganze Reihe von Stahlerzeugnissen, für die Zölle bis zu 90 Prozent fällig werden.
Besonderen Schutz genießt darüber hinaus die europäische Agrarwirtschaft, beispielsweise ist die Einfuhr von Zucker – der in Südamerika und der Karibik weitaus günstiger produziert werden kann als in Europa – mit einer Zollquote von 100 Prozent belegt. Durch die hohen Agrarzölle wird besonders Entwicklungs- und Schwellenländern der Handel mit Europa deutlich erschwert. Was den durchschnittlichen Einfuhrzoll angeht, so beträgt er in den EU 5,16 Prozent, in den USA lediglich 3,48 Prozent (in China sind es 9,92 Prozent). Viele Ökonomen werfen der EU daher eine gewisse Scheinheiligkeit vor.