Verliert Deutschland im globalen Wettbewerb um die Künstliche Intelligenz (KI) den Anschluss? Laut dem „Verein Deutscher Ingenieure“ (VDI) ist das der Fall. Eine Umfrage unter seinen Mitgliedern hat laut VDI ergeben, dass nur noch 14 Prozent die Bundesrepublik in einer Führungsposition im internationalen Wettbewerb sehen. Das ist ein spektakuläres Minus von 53 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Als die führende KI-Nation sehen die Befragten die USA, dicht gefolgt von China. Der Abstand zwischen den beiden Nationen verringere sich jedoch, glauben die Ingenieure. Die Mehrheit vertritt die Meinung, dass die Volksrepublik die Vereinigten Staaten in Kürze als führende KI-Nation ablösen wird.
Nach Auskunft des VDI habe die Umfrage ergeben, dass rund die Hälfte aller Unternehmen des produzierenden Gewerbes lieber auf heimische KI-Anbieter setzen würden, jedoch das dementsprechende Angebot fehle. Darüber hinaus falle es den Firmen - vor allem denen des Mittelstands - schwer, KI-Fachkräfte zu rekrutieren. Es werde „händeringend nach qualifiziertem Personal gesucht“; die „hohe Nachfrage und das geringe Angebot an diesen Fachkräften führen dazu, dass viele Projekte nicht verwirklicht werden können und Deutschland im internationalen Wettbewerb weiter an Boden verliert“.
Die VDI-Umfrage zeigt, dass die Einschätzung der Potentiale von KI sich wandeln. Bisher war man davon ausgegangen, dass die Technologie vor allem auf den Gebieten Fahren, Fliegen und Robotik Verwendung finden würde. Jetzt gehen immer mehr Beobachter dazu über, dass sie zunehmend in der medizinischen Diagnostik, im Bereich Aufklärung/Sicherheit sowie in der Verbesserung der öffentlichen Verwaltung genutzt werden wird. Der VDI spricht von „Anwendungen, die erstens technisch möglich sind, und zweitens voraussichtlich auf hohe Akzeptanz treffen werden und gleichzeitig einen sehr hohen Benefit versprechen.“
Siemens hat kürzlich eine Reihe von Projekten und Produkten vorgestellt, bei deren Entwicklung KI zum Einsatz kam. Das waren unter anderem die Weiterentwicklung von selbst-optimierenden Gas-Turbinen, die die Entwicklung neuer Hardware unnötig macht und dadurch Millionen einspart. Die Nutzung von KI bei der Entwicklung von Schnellzug-Infrastruktur-Projekten in Spanien, die dazu führte, dass rund 60 Prozent aller Passagiere von Inlandsflügen auf die Bahn umstiegen. Und die Rekonfiguration eines gewaltigen Werkzeug-Depots, die eine 20prozentige Zeitersparnis mit sich brachte.
Im Gespräch mit den Deutschen Wirtschafts Nachrichten bezweifelte Gerhard Engelbrecht, Senior-Wissenschaftler bei Siemens für den Bereich „Intelligente Informations- und Kommunikationstechnologie“, dass Deutschland bei der KI wirklich hinter den USA und China zurückliegt. Vor allem die Amerikaner würden zwar viele spektakuläre KI-Anwendungen entwickeln, diese seien aber häufig nur von geringem praktischem Wert. Die deutschen KI-Produkte seien zwar weniger „sexy“, dafür aber von echtem Nutzen.
Der Präsident des „Bundesverbandes der Deutschen Industrie“, Dieter Kempf, sagte der dpa in einem Interview, Deutschland habe aufgrund seiner hervorragenden industriellen Basis einen echten Wettbewerbsvorteil: „Wenn es uns gelingt, unser Industrie-Know-how mit KI-Know-how zu verbinden, werden wir uns eine hervorragende Wettbewerbsposition sichern."