Technologie

Amazon: Algorithmen entscheiden, wer entlassen wird

Lesezeit: 2 min
04.05.2019 13:57
Bei Amazon entscheiden Algorithmen darüber, welche Mitarbeiter entlassen werden.
Amazon: Algorithmen entscheiden, wer entlassen wird

Mehr zum Thema:  
Benachrichtigung über neue Artikel:  

Bei Amazon werden Versand- und Lagermitarbeiter durch Algorithmen entlassen. Laut eines Berichts des amerikanischen Technikportals „The Verge“ lässt der Online-Versandhändler die Leistungen seiner Beschäftigten minutiös elektronisch überwachen. Wer die Produktivitätsquote des genau durchgetakteten Arbeitsplans nicht erfüllt, beispielsweise nicht genügend Pakete aufs Band wuchtet, wird vom System erfasst und erhält anschließend automatisch entweder eine Abmahnung oder sogar die Kündigung. Das Eingreifen eines Vorgesetzten ist nicht notwendig, das System entscheidet autonom.

In einem Zeitraum von zwölf Monaten zwischen 2017 und 2018 sollen im Amazon-Logistik-Center in Baltimore (US-Bundesstaat Maryland) circa 300 Arbeiter aufgrund nicht erreichter Produktivitäts-Vorgaben entlassen worden sein. In dem Logistik-Center arbeiten rund 2.500 Menschen, das heißt, mehr als zehn Prozent der Belegschaft wird pro Jahr ausgetauscht. Insgesamt unterhält der Versandhandels-Riese (Jahresumsatz 2018: 232,9 Milliarden Euro/ derzeitiger Börsenwert: rund 800 Milliarden Euro/ Anzahl der Beschäftigten: knapp 650.000) in den USA 75 Logistik-Center, in denen circa 125.000 Menschen arbeiten. Amazon-Sprecher Stephan Eichenseher sagte den Deutschen Wirtschaftsnachrichten mit Blick auf die Vorwürfe, dass es sich nur um „ein Logistikzentrum in den USA“ handele, nicht um alle Logistik-Zentren in den USA. Allerdings ist es unwahrscheinlich, dass das System ausschließlich in Baltimore zum Einsatz kommt. Umgerechnet würde das bedeuten, dass jedes Jahr deutlich mehr als 12.000 Amazon-Mitarbeiter von Algorithmen entlassen werden.

Ans Licht gekommen sind die Vorgänge durch einen Rechtsstreit vorm „National Labor Relations Board“ (NLRB). Ein entlassener Arbeiter hatte die für arbeitsrechtliche Streitigkeiten zuständige US-Behörde angerufen und Amazon beschuldigt, ihn wegen gewerkschaftlicher Aktivitäten gekündigt zu haben. Amazon wies den Vorwurf zurück mit der Behauptung, der Arbeiter habe seine Produktivitätsquote nicht erreicht. Als Beweis präsentierte das Unternehmen Details der elektronischen Überwachung.

Die Anforderungen, die Amazon an seine Beschäftigten stellt, gelten als äußerst hoch. So deckte ein britischer Undercover-Journalist auf, dass die Arbeiter eines Logistik-Centers in Rugeley (bei Birmingham) in Flaschen urinierten, weil ihnen der Arbeitstakt nicht erlaubte, zur Toilette zu gehen. Die amerikanische Amazon-Kritikerin Stacy Mitchell sagt: „Man hört immer wieder von den Arbeitern, dass sie genauso beaufsichtigt und überwacht werden wie Roboter. Und zwar von Robotern.“

Amazon-Sprecher Stephan Eichenseher sagte den Deutschen Wirtschaftsnachrichten: „Wie alle Unternehmen haben auch wir Erwartungen hinsichtlich der Leistung unserer Mitarbeiter - dies allerdings ausschließlich mit Blick auf die operative Planbarkeit der Einhaltung der Kundenversprechen. Bei uns werden Produktivitätsrichtwerte nach objektiven und realistischen Gesichtspunkten festgelegt und über längere Zeiträume evaluiert. Hierbei wird insbesondere auch die durchschnittliche Leistung der Belegschaft selbst berücksichtigt. Unsere Führungskräfte arbeiten eng mit ihren Mitarbeitern zusammen, um diese zu fördern und zu coachen. Wir arbeiten gemeinsam mit unseren Mitarbeitern ständig daran, unsere Prozesse zu verbessern und die Arbeitsabläufe zu optimieren, um als Team gemeinsam jeden Tag besser und effizienter zu werden.“

Deutschland ist der größte Markt für Amazon außerhalb der USA. 2018 betrug der Umsatz hier 17,4 Milliarden Euro (8,5 Prozent des gesamten Konzern-Umsatzes). In 13 Logistik-Zentren und der Landes-Zentrale in München arbeiten circa 18.000 Mitarbeiter. Auf die Frage der DWN, ob ein Algorithmus-System wie das oben beschriebene hierzulande genutzt wird, antwortete Amazon-Sprecher Stephan Eichenseher: „Ein solches oder ein ähnliches System ist in Europa oder in Deutschland nicht im Einsatz.“

Inhalt wird nicht angezeigt, da Sie keine externen Cookies akzeptiert haben. Ändern..


Mehr zum Thema:  

DWN
Politik
Politik Machtkampf in Ostasien: „Shangri-La“ im Zeichen der Konfrontation
08.06.2023

Der Machtkampf der USA mit China prägt die Sicherheitskonferenz Shangri-La Dialogue in Singapur. Für Ostasien steht viel auf dem Spiel....

DWN
Politik
Politik Rundfunkgebühr: Ministerpräsidenten erteilen neuen Geldforderungen klare Absage
08.06.2023

Die Forderung des SWR-Intendanten und derzeitigen Vorsitzenden der ARD, Kai Gniffke, nach einer Erhöhung der Rundfunkgebühren, stößt...

DWN
Finanzen
Finanzen Schweizer Parlament gibt grünes Licht für Credit-Suisse-Untersuchung
08.06.2023

Das Schweizer Parlament macht den Weg frei für eine Untersuchung zum Zusammenbruch der Credit Suisse. Nun müssen Bankmanager fürchten,...

DWN
Politik
Politik Faeser: „Müssen das Europa der offenen Grenzen retten“
08.06.2023

Vor dem Treffen der EU-Innenminister hat sich Nancy Faeser (SPD) für eine Reform des Asylsystems stark gemacht. Grüne und Linke warnen...

DWN
Politik
Politik Trump wegen Geheimunterlagen-Affäre im Visier der Ermittler
08.06.2023

Seit Monaten untersucht ein Sonderermittler den Fund streng geheimer Geheimdienstunterlagen bei Ex-Präsident Trump. Über den Stand der...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Unternehmensinsolvenzen: Vor allem junge Firmen sind betroffen
08.06.2023

Laut Institut für Wirtschaftsforschung (IWH) sind derzeit vor allem junge Unternehmen von der Pleite betroffen. Insgesamt ging rund ein...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Russlands hohe Öl-Exporte riskieren Streit mit OPEC
07.06.2023

Russland hat eigentlich eine Drosselung seiner Rohöl-Förderung angekündigt. Doch die Exporte auf dem Seeweg sind weiter stark. Nun...

DWN
Finanzen
Finanzen Digitaler Euro: Rechtsrahmen steht noch in diesem Monat
07.06.2023

Die Einführung eines digitalen Euro nimmt immer mehr an Fahrt auf. Dabei will die Europäische Kommission noch in diesem Monat Vorschläge...