Deutschland

Energiewende: Wirtschaftsweiser fordert Enteignungen von Stromtrassen

Wegen stockender Planungsverfahren geht der für die Energiewende nötige Bau neuer Stromtrassen nur schleppend voran. Ein Grund dafür ist offenbar das zögerliche Vorgehen des Staates bei Enteignungen.
19.05.2019 07:38
Lesezeit: 2 min

In Deutschland geht der Ausstieg aus Atomenergie und Kohlestrom mit großen Schritten voran. Doch der dafür notwendige Ausbau des Stromnetzes hinkt hinterher. "Der Netzausbau kommt nicht so schnell voran, wie es nötig wäre", sagte der Präsident der Bundesnetzagentur, Jochen Homann, am Donnerstag in Bonn.

Dies führt zu hohen Kosten bei der Systemsicherheit. Maßnahmen wie Leistungsanpassungen von Kraftwerken und die Vorhaltung von Reservekraftwerken kosteten laut Netzagentur allein im letzten Jahr rund 1,4 Milliarden Euro. Zahlen müssen dies letztlich die Verbraucher

Der Bau neuer Stromleitungen geht nur langsam voran

Aktuell sind laut Jochen Homann rund 7.700 Kilometer neue Stromleitungen in Deutschland geplant. Davon befinden sich 4.600 Kilometer in Planungsverfahren und nur 1.800 Kilometer sind bereits genehmigt. Von den genehmigten Leitungen wurden Stand drittes Quartal 2018 gerade einmal 950 Kilometer gebaut.

Häufig hakt es bei vielen Stromtrassen an Verzögerungen im Planungs- und Genehmigungsprozess sowie am lokalen Widerstand der Bevölkerung. Am Freitag ist deshalb das "Gesetz zur Beschleunigung des Energieleitungsausbaus" in Kraft getreten, wie das Bundeswirtschaftsministerium am Donnerstag mitteilte.

Das neue Gesetz soll die Planungsverfahren beschleunigen, gleichzeitig aber auch die Öffentlichkeit weiter einbinden und die Umweltstandards erhalten. Dies ist "ein wichtiger Schritt zur Umsetzung der Energiewende", sagte das von Peter Altmaier (CDU) geführte Bundesministerium für Wirtschaft und Energie.

Wirtschaftsweiser fordert mehr Enteignungen für Stromtrassen

Die meisten Enteignungen werden durch das Baurecht gerechtfertigt. Demnach darf der deutsche Staat bei wichtigen Infrastrukturmaßnahmen unter gewissen Voraussetzungen enteignen. Er muss jedoch angemessen entschädigen. Nach Ansicht von Lars Feld, einem der fünf sogenannten Wirtschaftsweisen, ist dieses Vorgehen "vom Grundsatz her richtig".

Vor dem Hintergrund der Energiewende dürften Genehmigungen für Stromtrassen nicht so "zögerlich wie bisher" erteilt werden, sagte der Wirtschaftsweise diese Woche gegenüber der WELT. Der Staat müsse an der einen oder anderen Stelle entschiedener vorgehen, möglicherweise sogar mit Enteignungen.

Das Mitglied des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, so der offizielle Name des Gremiums, ist jedoch gegen die Verstaatlichung ganzer Unternehmen, wie man es derzeit in Großbritannien diskutiert. Dort hat die Labour-Partei eine Verstaatlichung des Stromnetzes vorgeschlagen.

"Es ist ein Trugschluss zu glauben, dass Unternehmen im Gemeinbesitz sozialer sind als private Unternehmen", so Lars Feld. Das zeigten etwa die Erfahrungen aus Jugoslawien in den 70er und 80er-Jahren. Und auch ökologisch seien staatliche Unternehmen den privaten nicht überlegen.

Aus der Geschichte wisse man, dass staatliche Betriebe sich nicht umweltfreundlicher verhalten als private Unternehmen. "Das gilt nicht nur für die DDR, die eine verheerende Umweltbilanz hatte, sondern für ganz unterschiedliche Formen von Vergemeinschaftung", sagte der Wirtschaftsweise.

Bundesnetzagentur: Enteignungen sind "das allerletzte Mittel"

Von Enteignungen zum Trassenausbau hält Jochen Homann nur wenig. Diese seien "wirklich das allerletzte Mittel". Vielen Grundstückseigentümern gehe es vor allem ums Geld, da finde sich meist eine Lösung. "Ich wünsche mir allerdings, dass öffentlicher Grund etwas großzügiger zur Verfügung gestellt wird", sagte er.

Der Netzausbau wird die Bundesnetzagentur noch auf Jahre beschäftigen. So haben die Netzbetreiber im April eine vierte Nord-Süd-Stromautobahn von Schleswig-Holstein nach Baden-Württemberg vorgeschlagen. Auch wollen sie die Südostlink-Trasse zwischen Sachsen-Anhalt und Bayern weiter ausbauen.

Insgesamt schätzen die Netzbetreiber den Investitionsbedarf in die Stromnetze an Land bis zum Jahr 2030 auf 61 Milliarden Euro. "Wir überprüfen die Vorschläge der Übertragungsnetzbetreiber derzeit", sagte der Chef der Bundesnetzagentur.

Jochen Homann verweist zudem auf eine Studie der Netzbetreiber zum Kohleausstieg, wonach alle beantragten Ausbaumaßnahmen auch bei einem vollständigen Kohleausstieg erforderlich sind. Der Ausbau des Stromnetzes diene der Energiewende und nicht dem Transport von Kohlestrom.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
X

DWN Telegramm

Verzichten Sie nicht auf unseren kostenlosen Newsletter. Registrieren Sie sich jetzt und erhalten Sie jeden Morgen die aktuellesten Nachrichten aus Wirtschaft und Politik.
E-mail: *

Ich habe die Datenschutzerklärung gelesen und erkläre mich einverstanden.
Ich habe die AGB gelesen und erkläre mich einverstanden.

Ihre Informationen sind sicher. Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten verpflichten sich, Ihre Informationen sorgfältig aufzubewahren und ausschließlich zum Zweck der Übermittlung des Schreibens an den Herausgeber zu verwenden. Eine Weitergabe an Dritte erfolgt nicht. Der Link zum Abbestellen befindet sich am Ende jedes Newsletters.

DWN
Politik
Politik Reform Arbeitszeitgesetz: 8-Stunden-Tag nicht mehr zeitgemäß?
16.04.2025

Union und SPD schlagen vor, aus der täglichen eine wöchentliche Höchstarbeitszeit zu machen. Von der Wirtschaft gibt es Zuspruch, die...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Schlimmer als Finanzkrise oder Dotcom-Blase: Finanzexperte warnt vor einem globalen Beben
16.04.2025

Ulrik Ross, Ex-Banker bei Merrill Lynch, Nomura und HSBC, warnt vor einer Krise historischen Ausmaßes. Der globale Handelskrieg sei nur...

DWN
Panorama
Panorama „Tag des Sieges“ in Russland: Mehr als 20 Staatschefs stehen auf Putins Gästeliste
16.04.2025

Gedenken zum Ende des Zweiten Weltkriegs: Langsam zeichnet sich ab, wer am 9. Mai mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin den Sieg...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Whistleblowerin erhebt schwere Vorwürfe: Meta soll Nutzerdaten mit China geteilt haben
16.04.2025

Ein neuer Skandal erschüttert den US-Techgiganten Meta. Die ehemalige Facebook-Managerin Sarah Wynn-Williams, früher Director of Global...

DWN
Politik
Politik Taser statt Pistole: Kann die Elektrowaffe Gewalt verhindern?
16.04.2025

In Deutschland wird die Polizei immer häufiger mit Taser, auch bekannt als Distanzelektroimpulsgeräte, ausgestattet, um Gewalt zu...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Bitcoin überrascht mit starkem Wochenplus – geopolitische Spannungen treiben Anleger in digitale Zufluchtsorte
16.04.2025

Während die etablierten Finanzmärkte angesichts von Handelszöllen, geopolitischen Unsicherheiten und einem wachsenden Vertrauensverlust...

DWN
Immobilien
Immobilien Immobilien kaufen: Worauf Sie beim Wohnungskauf unbedingt achten müssen – eine Schritt-für-Schritt Anleitung
16.04.2025

Der Immobilienkauf: Wahrscheinlich eine der größten und wichtigsten finanziellen Entscheidungen, die man im Leben macht. Manche kaufen...

DWN
Politik
Politik Digitalministerium: Verpflichtende digitale Identität in Koalitionsvertrag – Hacker kritisieren Überwachung
16.04.2025

Im Koalitionsvertrags setzen CDU, CSU und SPD auf eine konsequente Digitalisierung, eine neue Behörde und eine verpflichtende digitale...