Politik

Nato: Staaten Osteuropas sollen um Deutschland versammelt werden

Lesezeit: 3 min
27.07.2019 07:39
Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer möchte den Wehretat im Rahmen der Nato erhöhen. Tatsächlich könnte Deutschland bald eine wichtige militärische Rolle spielen. Die osteuropäischen Staaten sollen um Deutschland herum versammelt werden.

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Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (AKK) forderte am Sonntag eine deutliche Erhöhung der Militärausgaben, um das Nato-Ziel von 2 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung zu erreichen. AKK zufolge habe Deutschland der Nato gegenüber “eine klare Verpflichtung” und es sei “klar, dass Deutschland diesen Weg gehen muss”, so AKK in einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Statistisch gesehen beliefen sich die Militärausgaben 2018 auf rund 1,24 Prozent des deutschen BIP, und die Quote dürfte sich bis 2023 nur auf 1,25 Prozent erhöhen, wenn kein zusätzliches Budget bereitgestellt wird, so der englischsprachige Dienst von AFP. “Die Nato ist und bleibt der Eckstein unserer Sicherheitsarchitektur”, so AKK. Deshalb sei es nicht realistisch, dass eine europäische Initiative die Nato ersetzen soll.

The Telegraph berichtet, dass AKKs Aussage der Ansicht des Koalitionspartners SPD widerspricht. “Das Verteidigungsministerium ist in Deutschland ein notorisch kniffliges Geschäftsfeld. Die Bundeswehr ist seit langem überfordert, wenn es um die Bekämpfung des Extremismus geht, und die Armee muss sich dem Vorwurf stellen, sie habe zu wenig getan, um den Extremismus in ihren eigenen Reihen zu bekämpfen. Frau Kramp-Karrenbauer scheint zu dem Schluss gekommen zu sein, dass ein größeres Budget der einzige Weg ist, um peinliche Schlagzeilen über defekte Hubschrauber zu vermeiden und gleichzeitig die USA im Zusammenhang mit  den Verteidigungszielen zu besänftigen.”

Problematisch ist jedoch vor allem, dass das von der SPD geführte Finanzministerium bis 2023 das Verteidigungsbudget um eine Milliarde Euro auf 44 Milliarden Euro senken möchte. Um dieses Ziel zu erreichen, müsste der aktuelle Finanzminister Olaf Scholz ersetzt, aus dem Amt gejagt, oder aber überzeugt werden. 

Bevor das Verteidigungsbudget auf 44 Milliarden Euro sinkt, soll es 2020 vorübergehend minimal auf 44,9 Milliarden Euro steigen. Das hatte das Bundeskabinett Anfang Juli festgesetzt.

Zwischen dem Finanz- und Verteidigungsministerium gibt es eindeutige Differenzen, wenn es um die Einordnung des Verteidigungsbudgets geht. Jane’s Defence Weekly hatte Anfang Juli 2019 berichtet, dass die vorübergehende Erhöhung des Verteidigungsbudgets vor allem der Nato Response Force Very High Readiness Joint Task Force (VJTF) 2023 zugute kommen. Die Landkomponente der VJTF soll von Deutschland geführt werden. 

Das vom Kabinett vorgeschlagene Budget ist “die finanzielle Grundlage” für die Aufrüstung des Puma-Infanterie-Kampffahrzeugs (IFV) und seine Fähigkeit, mit dem “Infanteristen der Zukunft” zu agieren, für neue Raketen für das Mittlere Artillerieraketensystem (Medium Rocket Artillery System, MARS), für das Mehrfachstart-Raketensystem (MLRS), für ein neues Kampfmanagementsystem und für weitere Lastwagen.

Das Rahmennationen-Konzept der Nato

Innerhalb der Nato wirkt das Rahmennationen-Konzept (FNC) derzeit als pragmatische Leitlinie für die Verteidigungszusammenarbeit. Bis vor kurzem erschienen Programme wie "Smart Defense" (Nato) oder "Pooling & Sharing" (EU) ohne Alternative. Angesichts des enormen Haushaltsdrucks, der durch die globale Finanzkrise verursacht wurde, beschlossen die Nato- und EU-Staaten, ihre Ressourcen entweder zentral zu bündeln oder gemeinsam zu nutzen, führt das Center für Security Studies der ETH Zürich (CSS/ETH) in einem Papier aus.

Das FNC wurde im Jahr 2014 von der Nato verabschiedet. Die Staaten sollen nach dem FNC freiwillig in einem äußerst agilen Format zusammenarbeiten und behalten dabei ihre volle Souveränität. Im besten Fall tun sie dies mit der Koordination der Nato und dem größtmöglichen Beitrag Wert für die Allianz. Die öffentliche Debatte in dieser Angelegenheit wird durch eine gewisse Mehrdeutigkeit in Bezug auf die Terminologie geführt, da es innerhalb der Nato drei verschiedene FNC-Ansätze gibt. Sie sind um verschiedene Rahmennationen herum gruppiert und unterscheiden sich erheblich in Bezug auf Ziele, Methoden und Struktur.

Die deutsche Gruppe innerhalb der Nato

Die deutsche FNC-Gruppe basiert  auf zwei Säulen, die teilweise voneinander abhängig sind. Die Gruppe hat sich von Anfang an auf die koordinierte Entwicklung von Verteidigungsfähigkeiten konzentriert. Dieses Konzept umfasst 16 Cluster, wie zum Beispiel die U-Boot-Kriegsführung.

Die FNC-Nationen können frei wählen, an welchen Clustern sie teilnehmen möchten. Weitere Cluster werden derzeit gebildet. Die zweite Säule des deutschen FNC ist besonders wichtig. Einige Beobachter haben es als Kern einer „europäischen Armee“ dargestellt, die möglicherweise sogar von Berlin dominiert wird. Es ist in erster Linie ein ehrgeiziger Plan für eine strukturierte und kollaborative Einsatzplanung unter deutscher Führung: Einerseits hofft man, dass eine enge Zusammenarbeit zwischen den Einheiten der FNC-Staaten, deren Kern die Bundeswehr ist, die grundlegende Interoperabilität der EU verbessert. Andererseits soll im östlichen Teil des Bündnisses eine Zusammenarbeit erfolgen, die multinationale Spaltungen verhindert, und die östlichen Nato-Staaten um Deutschland herum versammelt.

Die Rolle Deutschlands in diesen Formationen und Strukturen - ob an Land, in der Luft oder auf See - wäre von Bedeutung. Bis 2032 und damit parallel zu den nationalen Plänen Deutschlands soll der FNC-Force-Pool drei multinationale mechanisierte Divisionen bereitstellen, die jeweils bis zu fünf Panzerbrigaden befehligen können. Zwei dieser Abteilungen wurden um die deutschen Abteilungshauptsitze gebildet. Eine Multinational Air Group (MAG), die durch das FNC ermöglicht wird, prägt bereits grundlegend die Planung der Luftwaffe. Das MAG würde sich zu über 75 Prozent auf deutsche Kapazitäten verlassen. Anders ausgedrückt: Die Deutsche Luftwaffe hat der MAG effektiv ihr gesamtes Leistungsspektrum angeboten.

In jedem kollektiven Verteidigungsszenario könnte Deutschland für die meisten seiner kleineren FNC-Partner und die Nato als unverzichtbarer Rahmenstaat dienen. Auf absehbare Zeit würden jedoch alle Staaten ihre nationale politische Handlungsfreiheit behalten, um ihre Streitkräfte auszurüsten und einzusetzen. Innerhalb des FNC sind alle Staaten aufgefordert, Teile ihrer Streitkräfte in deutsche Strukturen einzubinden.

Die Stiftung für Wissenschaft und Politik (SWP) argumentiert in einer Analyse, dass die deutsche Führung im Rahmen des FNC unerlässlich sei für eine Zusammenarbeit mit der Nato. Die SWP wörtlich: "Schließlich bedarf es einer kontinuierlichen deutschen Führung, um das Potenzial der FNC und die aktuellen Planungen der Bundeswehr voll auszuschöpfen. Dies ist kein leeres Argument. Jeder Mangel an Führung durch Berlin würde wahrscheinlich die Stärke des FNC - seine Flexibilität als von den Staaten getragene Initiative - zu einer kritischen Schwäche machen. Im Verteidigungsministerium und innerhalb der Nato muss der FNC mit klaren Verantwortlichkeiten und auf hohem Niveau geführt werden."


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