Beim Wahlparteitag von Bündnis 90/Die Grünen präsentiert sich die Partei wie stets vor Wahlen als Alternative zu den etablierten Parteien. Ein Blick in ihr Programm für die Bundestagswahl ist jedoch eine erschreckende Ahnungslosigkeit zu erkennen.
Die Grünen leben bei Wirtschafts-Themen von der blanken Ideologie. Ihre Kenntnis der Finanz-Krise ist so gering, dass sie sich in Floskeln verlieren. Bei genauem Hinsehen offenbart sich jedoch ein Politik, der alles zuzutrauen ist – bloß nicht die Lösung der tatsächlichen Probleme.
Allerdings treibt die anti-kapitalistische Theorie die Grünen in eine Richtung, die für die deutschen Sparer und Bank-Kunden sehr teuer werden kann.
Denn die Grünen stehen vorbehaltlos und unreflektiert hinter einer europäischen Bankenunion:
„Banken müssen im Ernstfall wie andere Unternehmen auch in Konkurs gehen können. Das muss auch für Großbanken gelten, die jedoch eine staatliche Rettungsgarantie haben. Um den Teufelskreis aus Banken- und Schuldenkrise zu durchbrechen, müssen wir diese Too Big To Fail-Problematik lösen. Ein Mechanismus zur Abwicklung von Krisenbanken in der EU, eine starke europäische Bankenaufsicht und ein europäisches System zur Sicherung der Einlagen: das sind die drei Teile einer europäischen Bankenunion. Sie ist die grüne Antwort auf das Zögern und Zaudern der Merkel-Regierung, das die Haftung der SteuerzahlerInnen weiterhin zulässt und zeigt, dass mehr Europa einen echten Mehrwert bietet.“
Die Grünen stellen also gar nicht mehr in Frage, warum es eigentlich staatliche Rettungs-Garantien für Großbanken geben soll. Sollten diese Rettungs-Garantien nicht ausreichen, soll es das ominöse „europäische System zur Sicherung der Einlagen“ geben. Dieses System ist nichts anders als die Haftung der deutschen Steuerzahler für die europäischen Großbanken. Zwar wollen die Grünen nicht, dass die Steuerzahler für die Rettung der Banken zuständig sind; mit einer gemeinsamen europäischen Einlagensicherung werden sie es jedoch zwangsweise – ohne es freilich zu merken.
Denn woher sollen die hunderte Milliarden für diese Einlagensicherung kommen – wenn nicht vom Steuerzahler?
Unfreiwillig komisch ist der Hinweis auf einen europäischen Mehrwert: Der kann im Fall der Einlagensicherung nur darin bestehen, dass die deutschen Spareinlagen deutlich weniger wert werden.
Doch damit nicht genug: Die Grünen wollen auch, dass die Sparer und Anleger in Bank-Aktien die Banken retten:
„Eine wirksame Haftung ist konstitutiv für die Marktwirtschaft und ihre disziplinierende Wirkung. Für das Management von Fonds, Banken und Versicherungen heißt das: Der Kapitän geht mit dem Schiff unter. Er ist haftbar für eigene Fehler und die seiner Untergebenen, Haftpflichtversicherungen für ManagerInnen dürfen das Risiko deswegen nicht vollständig übernehmen. Gleiches gilt für KapitalgeberInnen, also GläubigerInnen und EigentümerInnen. Sie müssen um ihren Einsatz fürchten, denn nur dann werden sie das Management effektiv kontrollieren. Wir brauchen aber auch eine schlagkräftige Fusions- und Wettbewerbskontrolle auf dem Finanzmarkt, die sich dem Leitbild der vollständigen Konkurrenz in allen Teilfinanzmärkten verpflichtet fühlt und gegen Marktmacht und Marktkonzentration vorgeht.“
Es ist unklar, ob die Grünen wirklich nicht wissen, wie die Banken funktionieren. Es ist auffällig und spricht eher für eine ziemlich durchtriebene Taktik, dass die Grünen ihren Wählern mit keinem Wort sagen, worum es hier wirklich geht: Um eine Zwangsabgabe, um Enteignung (hier), um einen Zugriff auf das hart erarbeitete Geld der Bürger.
Die Gläubiger sollen das Banken-Management kontrollieren? Die größte Gläubiger-Gruppe bei allen Banken sind die Sparer und Kontoinhaber: Mit jedem Euro, den sie der Bank einzahlen, geben sie der Bank einen Kredit. Der Bankkunde hat keinerlei Rechtsanspruch darauf, dass er sein Geld zurückbekommt.
Nach grüner Lesart werden die Probleme jedoch gelöst, wenn die Bank-Kunden Angst haben: „Sie müssen um ihren Einsatz fürchten, denn nur dann werden sie das Management effektiv kontrollieren.“
Der einzelne Bank-Kunde kann das Management einer Bank nicht kontrollieren – außer vielleicht bei sehr kleinen Genossenschaftsbanken, von denen es jedoch viel zu wenige gibt.
Der Sparer ist dem Management der Bank mit Haut- und Haar ausgeliefert. Wer er, wie die Grünen wünschen, wirklich Angst um sein Geld haben muss, sollte er nicht den aussichtslosen Versuch unternehmen, die Vorstandsvorsitzenden der HSH Nordbank, der Commerzbank oder der Postbank zu kontrollieren.
Er sollte sein Geld von der Bank holen. Das wäre die wirkungsvollste Kontrolle.
Der Wunsch nach einer schlagkräftigen Fusionskontrolle ist ein Kinder-Wunsch. Es ist eines der großen Probleme, dass Kontrolleure und Regulatoren heute schon heillos überfordert sind von der Verflechtung der Banken untereinander. Ein einziger Crash bringt das ganze System zum Einsturz.
Hier von den Kontrolleuren ein wirkungsvolles Eingreifen zu erwarten, ist ein ähnlich hoffnungsloses Unterfangen wie der Einsatz von Feuerwehrleuten bei der Atom-Katastrophe in Fukushima.
Die fundamentalen Denk-Fehler der Grünen rühren daher, dass die Grünen eine im Grunde sehr konservative Systempartei sind. Sie wollen, so heißt es an anderer Stelle, die „Globalisierung gestalten“.
Früher hätten die Grünen mit der ihnen eigenen Widerspenstigkeit gesagt, sie wollen die Globalisierung dort stoppen, wo sie die Lebensgrundlagen der Menschen zerstört. Das ist im Finanzbereich genauso der Fall wie im Bereich der Ressourcen.
Aber heute gehen die Grünen von einem anachronistischen „Primat der Politik“ aus. Sie glauben allen Ernstes, dass man die aus der exponentiellen Funktion des Zins-Systems entstandenen Folgen mit gutem Zureden, moralischem Druck und sanften Klassenkampf lösen kann.
Die Grünen haben noch nicht einmal überlauert, dass von ihnen gepriesene Rettungs-Instrumente wie die Finanztransaktions-Steuer gar nicht mehr existieren (hier). Über diese Börsensteuer wollen die Grünen die Finanzkrise finanzieren.
Beim Hochgeschwindigkeits-Handel wollen die Grünen, dass eine Order eine Sekunde lang gehalten werden müsse. Dies würde den Prozess bremsen. Das ist purer Humbug. Tatsächlich wäre es notwendig – und im Übrigen auch ganz leicht durchzusetzen – dass zur Preisbildung nur die tatsächlich abgeschickte Order herangezogen wird. Das ist keine Frage der Sekunden, sondern eine der Prozess-Steuerung.
Bezeichnenderweise beschäftigen sich die Grünen im Vorfeld der Bundestagswahl am liebsten mit Koalitions-Gedanken. Sie überleben, wie sie an die Macht kommen können und mit wem.
Eine solche Karriere-Politik verstellt die Sicht auf die Probleme: Die Grünen, früher einmal eine veritable Protestbewegung, haben ihren Kompass verloren. Sie wissen nicht, wofür sie kämpfen sollen – außer die Minister-Posten, die sie im Vorfeld bereits eifrig untereinander verteilen.
Die Systemabhängigkeit der Grünen zeigt sich auch, wenn man sieht, wie ungeniert grüne Politiker die Fronten wechseln, wenn es um einen guten Job geht: Die ehemalige Staatssekretärin unter Jürgen Trittin, Margareta Wolf, wechselte nach einem jahrelangen Kampf gegen die Atomkraft zur Beratungsagentur Deekeling Arndt Advisors. Der beste Kunde dieser Agentur war zu dem Zeitpunkt das Deutsche Atomforum – die Lobby der Stromkonzerne, die Kernkraftwerke betreiben. Marianne Tritz, zuvor grüne Bundestagsabgeordnete und im Vorstand der Partei, ging zum Deutschen Zigarettenverband, also zu Tabaklobby. Und der ehemalige Straßenkämpfer Joschka Fischer berät das Pipeline-Projekt Nabucco – ein nicht gerade umweltfreundliches oder gar gemeinnütziges Konsortium der Erdöl-Industrie. Daniel Cohn-Bendit, die Lichtgestalt der 68er, ist Mitglied eines Brüsseler Lobbyvereins, der amerikanischen Internet-Konzernen Sprechstunden bei EU-Parlamentariern verkauft (hier).
Die Liste der Karriere-Verläufe (Daten von Lobbycontrol) sagt alles:
Joschka Fischer:
Politische Funktion:
• Von 1998 bis 2005 Außenminister und Stellvertretender Bundeskanzler
Tätigkeit danach:
• gründete 2007 das Beratungsunternehmen Joschka Fischer Consulting
• 2008 Berater für Madeleine Albrights Firma The Albright Group LLC
• schloss 2009 einen Beratervertrag mit den Energiekonzernen RWE und OMV ab, für die er das private Pipeline-Projekt „Nabucco" vorantrieb.
• 2009 nahm Fischer eine Beratertätigkeit für den Automobilhersteller BMW auf
• Ebenfalls 2009 wurde ein Beratervertrag mit Siemens bekannt
• 2010 wurde bekannt, dass er auch die Supermarktkette REWE berät
Margareta Wolf:
Politische Funktion:
• Von 2001 bis 2005 Parlamentarische Staatssekretärin im Wirtschafts- bzw. Umweltministerium
Tätigkeit danach:
• Ab 2007 Unternehmensberaterin bei der Strategie- und Beratungsagentur Deekeling Arndt Advisors. Größter Kunde: Das Deutsche Atomforum. Parallel dazu war sie noch bis zum 4. Januar 2008 Mitglied des Bundestages.
Matthias Berninger:
Politische Funktion:
• Von 2001 bis 2005 parlamentarischer Staatssekretär im Ministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft
Tätigkeit danach:
• Seit 2008 „Global Head of Public Policy” bei Mars Inc.
Christine Scheel:
Politische Funktion:
• von 1994 bis 2012 Mitglied des Bundestages
Tätigkeit danach:
• 2012 für einige Monate Vorstand der HEAG Südhessische Energie AG
Marianne Tritz:
Politische Funktion:
• Von 2002 bis 2005 Mitglied des Deutschen Bundestages
Tätigkeit danach:
• Von 2008 bis 2012 als Lobbyistin für den Deutschen Zigarettenverband (DZV) tätig
Andrea Fischer:
Politische Funktion:
• Von 1998 bis 2001 Bundesministerin für Gesundheit
Tätigkeit danach:
• Von 2006 bis 2009 arbeitete sie bei der PR-Agentur Pleon in München und leitete dort den medizinisch-pharmazeutischen Bereich Healthcare
• Von 2004 bis 2006 Mitglied des Führungsstabs des Beratungsunternehmens „Institut für Organisationskommunikation“ (IFOK GmbH)
Rainer Baake:
Politische Funktion:
• Von 1998 bis 2005 Staatssekretär im Umweltministerium
Tätigkeit danach:
• Ab 2006 Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe (DUH) und Geschäftsführer der DUH Umweltschutz-Service GmbH
Rezzo Schlauch:
Politische Funktion:
• Von 2002 bis 2005 Parlamentarischer Staatssekretär im Wirtschaftsministerium
Tätigkeit danach:
• Ab 2005 Beiratsmitglied bei EnBW
Viele der Grünen, die im Herbst zur Wahl antreten werden, sind in die Jahre gekommen. Sie denken in Kategorien der beruflichen Sicherheit und können daher auf moralische Kriterien nur bedingt Rücksicht nehmen.
Die Finanzkrise ist jedoch in ihrem Kern eine System-Krise. Sie ist nicht zu lösen mit Halbwissen und ideologischem Handgepäck aus längst vergangenen Zeiten.
Sie wäre zu lösen durch einen revolutionären Geist.
Durch einen kreativ-zerstörerischen Zeitgeist.
Der weht wegen der dramatischen Auswirkungen der Schuldenkrise überall in Europa.
Bei den deutschen Bundes-Grünen herrscht jedoch Flaute. Das macht sie nicht gefährlicher als die anderen Parteien.
Bei den Grünen fällt die Abwesenheit eines echten gesellschaftlichen Erneuerungswillens jedoch besonders auf, weil die Partei um keinen Deut anders ist als jenes Establishment, das sie vor einem halben Jahrhundert bis aufs Messer bekämpft hatten.