Politik

Ex-Verfassungsrichter: Einfluss der EU muss beschnitten werden

Lesezeit: 2 min
02.06.2013 02:00
Die EU erlebe derzeit eine Demokratie-Krise, sagt der frühere Verfassungsrichter Hans Hugo Klein. Denn ohne jede Transparenz oder demokratische Kontrolle mutiere die EU unter der Hand zum Staat.
Ex-Verfassungsrichter: Einfluss der EU muss beschnitten werden

Mehr zum Thema:  
Europa >
Benachrichtigung über neue Artikel:  
Europa  

Die EU habe eine Demokratie-Krise über Europa gebracht, sagt der ehemalige Verfassungsrichter Hans Hugo Klein. Aufgrund unzähliger Vertragsbrüche hätten die Bürger das Vertrauen ins Recht verloren. Die fortschreitende Übertragung von Kompetenzen nach Brüssel müsse gestoppt werden.

Damit reiht sich erstmals ein prominenter Mann aus dem Dunstkreis des Bundesverfassungsgerichts in die Stimmen derer ein, die die aktuelle Entwicklung der EU als den Ausdruck von massivem Scheitern ansieht (darum geht es - hier).

Die aktuelle Finanz- und Staatsschuldenkrise in der EU sei nur ein Symptom der eigentlichen Krise Europas, schreibt Hans Hugo Klein, früherer Richter des Bundesverfassungsgerichts, in der FAZ. Nicht erst seit den Maßnahmen der Euro-Rettung gebe es eine Krise der Demokratie. Und selbst wenn der Euro gerettet werden könnte, wäre das Vertrauen der Völker Europas nicht zurückgewonnen, so Klein.

Der frühere Verfassungsrichter kritisiert zum einen die mangelnde Vertragstreue in der EU:

„Das willkürliche Vorgehen der Union gegen Österreich wegen der Regierungsbeteiligung einer rechtsgerichteten, aber keineswegs verfassungsfeindlichen Partei ist in schlechtester Erinnerung. Bei der Aufnahme einiger Staaten (Belgien, Italien, Griechenland) in die Eurozone wurden die Aufnahmekriterien nicht beachtet, der verantwortungslosen Haushaltspolitik nicht weniger Staaten wurde tatenlos zugesehen, auf Betreiben Deutschlands und Frankreichs wurde der Stabilitäts- und Wachstumspakt praktisch außer Wirkung gesetzt.“

Die Krise der Demokratie in der EU weil komme aber auch daher, dass zu viele Zuständigkeiten bei der EU lägen, schreibt Klein. „Zunehmend empfinden die Unionsbürger die Hoheitsgewalt der Union nicht als eine von ihnen selbst, sondern als eine fremdbestimmte.“ Zudem mangle es der Politik auf EU-Ebene an Transparenz. Entscheidungen würden hier „meist in undurchsichtigen exekutiven Netzwerken“ vollzogen.

Die Kompetenzverteilung zwischen der Union und ihren Mitgliedstaaten sei aus dem Gleichgewicht geraten.

„Die Union muss in die Lage versetzt werden, die Haushaltsdisziplin der Mitgliedstaaten zu gewährleisten. Der Auf- und Ausbau einer gemeinsamen europäischen Außen- und Sicherheitspolitik ist in hohem Grade wünschenswert. Den Herausforderungen des Klimawandels, des internationalen Terrorismus, der Migration und der Demographie kann nur gemeinschaftlich begegnet werden.“

Doch in der Praxis werde versucht, die Kompetenzen der EU darüber hinaus auszuweiten. Der Handlungsspielraum der Mitgliedsstaaten werde eingeengt. Die EU könne derzeit ihre Zuständigkeiten auf vielen Politikfeldern selbst bestimmen. Die EU „mutiert unter der Hand zum Staat“. Die Mitgliedstaaten und ihre Parlamente seien daran nicht mehr beteiligt. „Die Fähigkeit der Mitgliedstaaten, der europäischen Ebene demokratische Legitimation zu vermitteln, verflüchtigt sich“, schreibt Klein

In der EU-Verfassung habe nicht sicherstellen können, dass die Macht der EU gegenüber den Mitgliedsstaaten beschränkt wird. „Denn die Praxis des Europäischen Gerichtshofs ist zurückhaltend bei der Anwendung des Subsidiaritätsprinzips“, schreibt Klein. Daher sei das EU-Recht „zu einer von niemandem mehr zu überblickenden Normenmasse angeschwollen, die den politischen Handlungsspielraum der Mitgliedstaaten zu ersticken droht“.

Klein fordert eine Reform der europäischen Verträge: Erstens müsse klar geregelt werden, wie die Kompetenzen der EU eindeutig ausgelegt werden. Zweitens müsse das Subsidiaritätsprinzip präzisiert werden – „einschließlich der Befugnis der Mitgliedstaaten, bestehendes Unionsrecht unter gewissen Voraussetzungen durch nationales Recht zu ersetzen“. Drittens müsse das geltende EU-Recht einer strengen Prüfung unterzogen werden, ob es im Hinblick auf das verschärfte Subsidiaritätsprinzip weiterhin Bestand haben könne. „Diese Prüfung ist einem selbständigen Kompetenzgerichtshof zu übertragen, der nicht ein Organ der Union sein darf“, schreibt Klein.

Dem früheren Verfassungsrichter geht es um die Demokratie:

„Sollen die Unionsbürger das Gefühl behalten (oder wieder gewinnen), ihr politisches Schicksal selbst zu bestimmen, und sich nicht in wachsendem Maße einer als fremd empfundenen Macht ausgeliefert sehen, bedarf es, um das Wort des britischen Premierministers Cameron aufzugreifen, einer ‚Repatriierung‘ von Zuständigkeiten der EU und einer nachhaltigen Ausdünnung des europäischen Normengeflechts.“

Europaweit schwindet die Zustimmung der Bürger zur EU. Kürzlich hatte die EU Großbritannien verklagt und damit die Abneigung der Briten gegen die EU verstärkt (hier). Auch der französische Präsident Francois Hollande attackierte die EU-Kommission, weil er weiß, dass die Nationalstaaten von Brüssel im Grunde zu nichts gezwungen werden können (hier). In Italien hat Beppe Grillo mit den Vorbereitungen zu einem Referendum für den Austritt seines Landes aus der EU begonnen (hier). Und in Deutschland protestierten am Samstag tausende Blockupy-Aktivisten auch gegen die Politik der EU (hier).


Mehr zum Thema:  
Europa >

Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Zu Weihnachten Zukunft schenken

Gerade zu Weihnachten wünschen sich viele Menschen, etwas von ihrem Glück zu teilen und sich für diejenigen zu engagieren, die es nicht...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Quiet Quitting: Der stille Job-Rückzug mit gefährlichen Folgen
22.12.2024

Ein stiller Rückzug, der Unternehmen erschüttert: Quiet Quitting bedroht die Substanz deutscher Betriebe. Warum immer mehr Beschäftigte...

DWN
Technologie
Technologie DWN-Sonntagskolumne: Künstliche Intelligenz Hype Cycle - Zwischen Revolution und Enttäuschung
22.12.2024

Ist künstliche Intelligenz nur ein Hype oder der Beginn einer Revolution? Zwischen hohen Erwartungen, Milliardeninvestitionen und...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Psychische Gewalt am Arbeitsplatz: Ursachen, Folgen und Lösungen
22.12.2024

So können Unternehmen gegen verbale Übergriffe aktiv werden- Beleidigungen, Drohungen und Beschimpfungen: Rund ein Drittel der...

DWN
Finanzen
Finanzen Kindergeld beantragen: Tipps und wichtige Infos für 2025
22.12.2024

Wussten Sie, dass Sie Kindergeld bis zu sechs Monate rückwirkend erhalten können? Dies gilt sowohl für Ihr erstes Kind als auch für...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Märchen vorbei? Steht Deutschlands Automobilindustrie vor dem Aus?
22.12.2024

Volkswagen in der Krise, Mercedes, BMW & Co. unter Druck – und hunderttausende Jobs stehen auf dem Spiel. Wie kann der Kampf um...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Credit Suisse-Debakel: Ausschuss sieht Schuld bei Bank
22.12.2024

Die Nervosität an den Finanzmärkten war im Frühjahr 2023 groß - drohte eine internationale Bankenkrise? Für den Schweizer...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Der Volkswagen-Deal: Worauf sich VW und die IG Metall geeinigt haben
22.12.2024

Stellenabbau ja, Werksschließungen nein: Mehr als 70 Stunden lang stritten Volkswagen und die IG Metall um die Sparmaßnahmen des...

DWN
Technologie
Technologie Webasto-Geschäftsführung: „Der Einsatz von KI ist eine strategische Notwendigkeit“
22.12.2024

Angesichts des wachsenden Drucks durch die Transformation hin zur Elektromobilität und steigender Kosten in der Branche sprechen Markus...