Deutschland

Lebensversicherer wollen ihre Versprechen an Kunden nicht einhalten

Lesezeit: 2 min
29.08.2013 01:51
Deutsche Lebensversicherer wollen ihren Kunden wegen der niedrigen Zinsen nicht die versprochenen Gewinne auszahlen. Das Problem wird sich in den kommenden Jahren deutlich verschärfen. Den Versicherten drohen enorme Verluste.
Lebensversicherer wollen ihre Versprechen an Kunden nicht einhalten

Mehr zum Thema:  
Benachrichtigung über neue Artikel:  

Die deutschen Lebensversicherer müssen per Gesetz feste Prozentsätze ihrer Gewinne an ihre Kunden weiterreichen. Bei Kapitalanlagen sind das zum Beispiel 90 Prozent. Wenn die Versicherer diesen Prozentsatz unterschreiten wollen, müssen sie einen Antrag an die Finanzdienstleistungsaufsicht Bafin stellen. Dies haben nun circa ein Dutzend der gut 90 in Deutschland aktiven Lebensversicherer getan.

Anträge der Lebensversicherer auf eine geringere Gewinnbeteiligung habe es seit dem Ausbruch der Finanzkrise 2007 mehrmals gegeben, zitiert die Frankfurter Rundschau die Bafin. Doch einen solchen Ansturm der Versicherer auf die Bafin wie jetzt hat es noch nicht gegeben.

Nach dem Ausbruch der Finanzkrise setzte eine Phase niedriger Zinsen ein, wodurch der Gewinn der Versicherer schrumpfte. Einzelne Versicherer beantragten daher, dass sie ihre Kunden in geringerem Maße an ihren Gewinnen beteiligen müssen. Doch wenn jetzt gleich ein Dutzend Konzerne auf einmal vorstellig würden, sei das bemerkenswert, so ein Experte. Es zeige, dass sich ein branchenweites Problem aufbaue.

In den 90er Jahren wurden Lebenspolicen mit einem gesetzlichen Garantiezins von bis zu 4 Prozent verkauft. Damals war das kein Problem, weil das Zinsniveau höher lag. Doch heute liegen die Leitzinsen unter 1 Prozent, und das wohl noch auf Jahre, so hat es EZB-Chef Draghi angekündigt.

Wer heute eine neue Lebens-Police abschließt, erhält deshalb nur noch 1,75 Prozent Garantiezins. Einige Lebensversicherer haben sich sogar ganz aus dem Neugeschäft verabschiedet. Doch auch sie müssen, wie die ganze Branche, ihre Versprechen aus den Altverträgen mit bis zu 4 Prozent Garantiezins erfüllen. Das wird umso schwieriger, je länger die Niedrigzinsphase andauert.

Noch erwirtschaften Lebensversicherer mit ihren Kapitalanlagen im Schnitt gut 4 Prozent Rendite. Denn sie halten in ihren Anlagebeständen noch hochverzinsliche Wertpapiere aus früheren Zeiten. Doch diese werden nach und nach fällig. Und mit neuen Anlagen können die Versicherer heute kaum mehr als 3 Prozent Rendite schaffen. Ihre Altverträge können sie damit nicht bedienen.

Die Lage wird sich also offenbar noch massiv verschlimmern. Aus einer vorübergehenden Absenkung der Gewinnbeteiligung könnte eine Dauereinrichtung werden. Den Kunden der Lebensversicherer drohen enorme Verluste. Der Bund der Versicherten (BdV) ist durch die Pläne der Lebensversicherer alarmiert. „Wir werden da nicht mitspielen“, sagt BdV-Expertin Bianca Boss. Doch wie das Problem gelöst werden könnte, kann auch der BdV nicht sagen.

Die Grünen haben eine Sondersitzung des Finanzausschusses beantragt, um von der Bundesregierung zu erfahren, was sie zu tun gedenkt. Der Bundestagsabgeordnete Gerhard Schick macht zudem die Versicherer mitverantwortlich für ihre aktuellen Probleme. Den Deutschen Wirtschafts Nachrichten sagte er:

„Die Lebensversicherer sind nicht nur wegen der Niedrigzinsphase in der Krise, sondern auch weil manche von ihnen werbewirksam zu viel versprochen haben. Jetzt trifft offenbar die BaFin klammheimlich Entscheidungen darüber, wer die Lasten tragen soll. Allem Anschein nach sind das weder Management noch Aktionäre, sondern zuvorderst die Versicherten, deren Verträge jetzt auslaufen. Wir meinen: Entscheidungen, bei der es um Lastenverteilung mit großen finanziellen Wirkungen für die Kunden geht, müssen öffentlich diskutiert werden. Davor scheut die Bundesregierung aber zurück, weil sie den Lebensversicherern zu nahe steht.“

Die Bafin bemüht sich, die Versicherten zu beruhigen. Zumindest kurz- und mittelfristig könnten die Versicherer alle Garantien erfüllen, so eine Bafin-Sprecherin. Doch langfristig handelt es sich um ein unlösbares mathematisches Problem. Wenn die Niedrigzinsphase anhält, dann können die Lebensversicherer ihre Versprechen nicht einhalten.

Doch die historisch niedrigen Zinsen in der Eurozone haben nicht nur die Lebensversicherer und ihre Kunden in massive Probleme gebracht. Auch die deutschen Sparer verlieren jedes Jahr einen zweistelligen Milliardenbetrag (hier).


Mehr zum Thema:  

DWN
Politik
Politik Kommt die Wegzugsbesteuerung für deutsche Fondsanleger? Neues Hindernis gegen die Abwanderung ins Ausland beschlossen
23.11.2024

Eine geplante Wegzugsbesteuerung bei Investmentfonds soll zunehmende Abwanderung von Geld und Fachkräften aus Deutschland stoppen! Wie die...

DWN
Politik
Politik Solidaritätszuschlag: Kippt das Bundesverfassungsgericht die „Reichensteuer“? Unternehmen könnten Milliarden sparen!
23.11.2024

Den umstrittenen Solidaritätszuschlag müssen seit 2021 immer noch Besserverdiener und Unternehmen zahlen. Ob das verfassungswidrig ist,...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Insolvenz von HH2E: Rückschlag für Habecks Energiewende - Wasserstoffprojekte in Sachsen in Gefahr
23.11.2024

Der Wasserstoff-Spezialist HH2E hat Insolvenz angemeldet, die Finanzierung durch ein britisches Private-Equity-Unternehmen ist gestoppt....

DWN
Panorama
Panorama 2050: Was erwartet Kinder in der Zukunft?
23.11.2024

Klimawandel, technologische Entwicklungen und demografische Veränderungen werden das Aufwachsen von Kindern in der Zukunft prägen, so die...

DWN
Technologie
Technologie Elektrifizierung: Wind und Solar boomen, doch Kohle bleibt der weltweit bedeutendste Energieträger
23.11.2024

Der Ausbau emissionsfreier Energieerzeugungskapazitäten schreitet in Rekordtempo voran. Doch auch die Nutzung von Kohle zur Stromerzeugung...

DWN
Panorama
Panorama Plastikmüll bekämpfen: UN-Abkommen soll globale Umweltverschmutzung eindämmen
23.11.2024

Plastikmüll ist eine wachsende Gefahr für Umwelt und Meere. Forschende aus den USA zeigen, wie vier Maßnahmen den falsch entsorgten...

DWN
Politik
Politik Deutschland prüft Vorgehen nach Haftbefehl für Netanjahu
23.11.2024

Die Bundesregierung steht nach dem Haftbefehl gegen Israels Regierungschef vor einem Dilemma. Noch ist offen, wie sie sich positioniert....

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft US-Regierung: Google muss Chrome-Browser verkaufen
23.11.2024

Die US-Regierung will vor Gericht durchsetzen, dass Google sich vom weltweit meistbenutzten Webbrowser Chrome trennen muss. Das...