Politik

Fukushima: „Die Brennelemente müssen da unbedingt heraus“

Lesezeit: 5 min
01.10.2013 01:02
In Fukushimas droht der Super-GAU: In der havarierten Atomanlage befinden sich noch immer Brennelemente in instabilen Gebäuden. Das Dilemma: Die Entleerung ist höchst riskant. Niemand weiß genau, wie das geschehen soll. Die Gefahr steigt mit jeder weiteren Minute, in der die radioaktiven Brennstäbe im Reaktor bleiben.
Fukushima: „Die Brennelemente müssen da unbedingt heraus“

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Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Im Abklingbecken des Blocks 4 befinden sich mehr als 1.300 verbrauchte Brennelemente. Das Gebäude ist instabil und weist Lecks auf. Tepco will nun diese Brennelemente herausholen. Ein höchst riskantes Vorhaben. Was kann dabei passieren?

Stephan Kurth: Das ist eines der größten Probleme, die wir in Fukushima haben. Denn in diesen Brennelementen, die jetzt noch in den Lagerbecken liegen, ist noch ein sehr sehr großes Inventar an radioaktiven Stoffen. Das ist eigentlich die wichtigste Maßnahme. Das sieht auch die Betreiber-Seite so, denn das ist ein akuter Gefahrenherd.

Die Lagerbecken sind beschädigt, Wasser läuft aus. Auch hier droht wieder ein Kühl-Problem und das Entweichen von kontaminiertem Wasser. Die Becken sind kaum noch geschützt. Besonders das Gebäude in Block 4 ist massiv geschädigt. Es wurde zwar eine Art Hülle oder Abdeckung darüber konstruiert. Das ist aber eher ein Witterungsschutz.

Bestandteil der bisherigen Maßnahmen war es, das Gebäude zu stützen und zu sichern, damit die eigentliche Arbeit möglichst risikoarm erfolgen kann: Das Herausheben der Brennelemente und das Umlagern in andere Behälter.

Das Problem ist: Eine große Anzahl von Brennelementen ist einfach vor Ort. Die müssen so oder so da weg. Dafür sind jetzt keine idealen Voraussetzungen vorhanden. Die Gebäude so sind wie sie sind – vorgeschädigt. Die Brennelemente müssen trotzdem da weg – und das möglichst schnell.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Was passiert bei einem Erdbeben oder einer anderer Naturkatastrophe?

Stephan Kurth: Die Betreiberseite sagt, das Gebäude sei nun so weit abgesichert, dass es auch ein Erdbeben aushalten werde. Wenn allerdings doch eine Neuschädigung erfolgen sollte, wäre die Gefahr, dass das Becken komplett versagt. Brennelemente könnten abstürzen oder von Trümmern beschädigt werden, sodass die dann leck werden.

 

Das würde bedeuten, dass zumindest die leicht flüchtigen radioaktiven Stoffe nach außen dringen. Das würde neue große Belastungen in der Umgebung hervorrufen. Schäden können aber auch bei Fehlern bei der Handhabung auftreten. Dann würden nur einzelne Brennelemente betroffen sein. Im schlimmsten Fall würde das Gebäude beispielsweise durch ein Erbeben komplett einstürzen, bevor das Lagerbecken entleert worden ist.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Von welcher möglichen Belastung in der Umgebung sprechen wir hier?

Stephan Kurth: Das ist eine Frage der Freisetzungsmenge und der Ausbreitung. Da sind vor allem die leicht flüchtige Stoffen. Die werden allein schon über den Wind verbreitet. Entscheidend sind dann die konkreten Witterungsbedingungen zu dem Zeitpunkt.

Deshalb ist das eine vordringliche Maßnahme: Die Brennelemente müssen da unbedingt heraus. Das ist erst die Voraussetzung für weitere Maßnahmen, wie die Sanierung der Bauwerke, die Sicherung des Reaktorkerns usw.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: In der vergangenen Woche ist es in Fukushima erneut zu einer Panne gekommen. In einer Sperre im Meer sei ein Loch entdeckt worden, durch das kontaminiertes Wasser strömt. Tepco zufolge wird das nur als „geringes Risiko“ eingestuft. Kann man das so glauben?

Stephan Kurth: Wir müssen an dem Standort ja schon länger damit leben, dass verunreinigtes Wasser ins Meer gelangt. Das ist kein neues Problem. Es wurden verschiedenen Maßnahmen getroffen: Absperrungen oder eine Schutzwand, die das Einströmen von Grundwasser verhindern sollen. Wichtig ist jedoch die Quelle zu beseitigen. Da die nicht beseitigt ist, muss man das erstmal akzeptieren.

Zum Risiko: Wenn ich mir die Grundwasserproben über einen längeren Zeitraum anschaue, ist die Aktivität gesunken. Was wir auch vor Augen haben müssen ist die deutliche Verdünnung im Meer. Insofern werden die Konzentrationen noch einmal herabgesetzt. Nichtsdestotrotz ist es absolut unerwünscht und nicht tragbar, wenn das auf Dauer so weitergeht.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Immer wieder gibt es Probleme mit kontaminiertem Grundwasser. Die Tanks weisen Lecks auf. Wie können die Lecks langfristig geschlossen werden?

Stephan Kurth: Als Quelle für die Verunreinigung haben wir die Einträge, die allein schon durch den Unfall hervorgerufen wurden. Da sind schon radioaktive Stoffe in die Umgebung, den Boden gelangt und breiten sich mit dem Grundwasser weiter aus. Außerdem bestehen immer noch Verunreinigungen, die von den zerstörten oder undichten Gebäuden ausgehen.

Wir haben immer noch einen Wasserstrom in die Gebäude, in die Keller und Fundamente und wieder heraus. Wir haben also ständig neue radioaktive Stoffe. Wenn man das in den Griff bekommen will, muss man die Quelle beseitigen. Man muss an den Reaktor oder an die undichten Gebäude herankommen. Das ist eine Voraussetzung für eine langfristige Lösung. Aber derzeit ist man noch gar nicht in der Lage, überhaupt an diese Gebäude heranzukommen.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Was müsste dafür geschehen?

Stephan Kurth: Das kommt immer auf den Teil des Reaktors an. Es gibt den Reaktorkern oder die nähere Umgebung mit extrem starker Strahlung. Auch bei dem Rest der Gebäude muss mit weitgehender Zerstörung gekämpft werden. Hier stellt sich die Frage, wie nah man überhaupt herankommen kann. Ein Versuch besteht darin, mit ferngesteuerten Robotern vor Ort zu kommen.

Der nächste Schritt wäre dann, dorthin zu gelangen, wo verunreinigtes Wasser nach außen tritt. Für eine Sanierung müssen diese Stellen bekannt und zugänglich sein und ggf. erst leergepumpt werden.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Ist es überhaupt möglich, das Wasser so zu reinigen, dass es unbedenklich ins Meer abgelassen werden kann?

Stephan Kurth: Tepco hat es geschafft, einen Kühlkreislauf zu installieren. Kühleres Wasser wird in die Nähe des Reaktorkerns eingeleitet und kommt auf einem anderen Weg wieder heraus. Auf dem Weg durch den Reaktor wird das Wasser mit radioaktiven Stoffen stark belastet. Im Kreislauf wird es gereinigt. Bestimmte Radionukleide, vor allem Schwermetalle werden mit einem Ionenaustauscher abgetrennt. Es bleibt aber ein Teil, der durch diese Filteranlagen nicht abgetrennt werden kann. Dieses Wasser wird auf dem Gelände in den Tanks gelagert.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Ist eine weitergehende Reinigung denn nicht möglich?

Stephan Kurth: Über den Ionenaustauscher wurden die Schwermetalle bereits abgetrennt. Aber beispielsweise die Tritiumbelastung bekommt man auf diesem Weg nicht heraus.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Dass das nicht mehr lange gutgehen kann, ist abzusehen. Welche Möglichkeiten gibt es?

Stephan Kurth: Wenn man das kontaminierte Wasser irgendwo weit draußen im Pazifik ablässt, hat man natürlich eine starke Verdünnung. In irgendeiner Entfernung wird das dann gar nicht mehr bemerkbar sein. Aber es ist eigentlich nicht verantwortbar, dass man so große Mengen gezielt ablässt.

Eine andere Möglichkeit wäre eine Lagerung, bis die Radioaktivität abgeklungen ist. Das würde allerdings viele, viele Jahre dauern. Das radioaktive Wasser kann auch in Betonstrukturen eingebunden werden, die dann aber wieder auf einer Deponie gelagert werden müssen.

Tepco muss sich überlegen, was mit diesen Mengen an Wasser passieren soll. Die Lagerkpazität lässt sich nicht unendlich ausdehnen. Es gibt noch keine schlüssige Strategie.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Gibt es denn überhaupt irgendeine Situation, an der sich Japan orientieren könnte?

Stephan Kurth: Nein. Wir hatten noch keinen derartig umfangreichen Reaktorunfall. Auch Tschernobyl war vollkommen anders. Tschernobyl lag nicht am Meer und man hat keinen derartigen Kühlkreislauf installieren müssen..

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Schon 2011 wurden Japan und Tepco mangelnde Transparenz vorgeworfen. Hat sich daran mittlerweile etwas geändert?

Stephan Kurth: Schaut man sich die Historie an, den Unfall selbst, die Maßnahmen, die unmittelbar darauf getroffen wurden, die Evakuierung, die späteren Sanierungsmaßnahmen. Dann erhält man ein Bild: Es besteht ein massives Kommunikationsproblem. Einerseits zwischen Betreiber und Regierung. Das versucht die Regierung nun in den Griff zu bekommen, indem der Betreiber bei bestimmten Dingen einfach herausgehalten wird.

Das betrifft aber auch die Kommunikation mit der Öffentlichkeit. Das rächt sich natürlich bei allen Schwierigkeiten und Ungereimtheiten, die jetzt auftauchen oder immer mal wieder auftauchen werden.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Inwieweit wird dabei auf internationale Hilfe zurückgegriffen?

Stephan Kurth: Es sind immer mal wieder internationale Organisationen und Experten involviert. Eigentlich müsste auch dazu die Kommunikation massiv und offensiv betrieben werden. So ein weitreichender Unfall wird am ehesten zu „bewältigen“ sein, wenn das nötige Know-How auf allen Ebenen angesprochen und miteinbezogen wird.

Stephan Kurth ist Mitarbeiter im Bereich Nukleartechnik und Anlagensicherheit beim Öko-Institut. Das Darmstädter Institut ist eine europaweit führende Forschungseinrichtung, die unter anderem Ministerien auf Bundes- und Landesebene berät.


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